Lars Feld: Industriestrompreis droht zu einer Dauersubvention zu werden
Wenn Friedrich Merz am Dienstag zum Bundeskanzler gewählt ist, werden sich unter die damit verbundenen Hoffnungen viele Sorgen mischen. So fürchten manche Kommentatoren, dass die neue Bundesregierung Klimapolitik angesichts der Bedeutung von Wirtschafts- und Migrationswende nachrangig behandelt. Dies ist sicherlich überzogen, berücksichtigt man die Verankerung des Ziels der Klimaneutralität im Grundgesetz, wenngleich nur hinsichtlich der Verwendung des Sondervermögens Infrastruktur.
Es finden sich auch nicht wenige, die eine Fortführung der Klimapolitik der Ampelregierung fürchten, weil damit Kostensteigerungen für Unternehmen und private Haushalte verbunden sind. Vor allem die energieintensive Wirtschaft fürchtet einen Anstieg der Energiepreise aufgrund höherer CO2-Preise.
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung verspricht Abhilfe:
- Die Strompreise sollen sinken, indem die Stromsteuer auf das europäische Minimum für alle Verbraucher (und nicht nur für das produzierende Gewerbe) sinkt,
- die Netzentgelte sinken (durch Kostensenkungen beim Netzausbau und Subventionen des Bundes),
- Klimaschutzverträge weiter eingesetzt werden
- und die Pendlerpauschale erhöht wird,
- die Strompreiskompensation ausgeweitet wird
- sowie „anderweitig nicht weiter zu entlastende energieintensive Unternehmen… im Rahmen der beihilferechtlichen Möglichkeiten eine besondere Entlastung (Industriestrompreis)“ erhalten sollen.
Gleichwohl stellt sich die neue Bundesregierung hinter die CO2-Bepreisung als Leitinstrument der Klimapolitik; im Zuge der europäischen Klimapolitik soll zudem der CO2-Grenzausgleich (CBAM) verbessert werden. Was ist von diesem Maßnahmenstrauß zu halten?
Der Sachverständigenrat für Wirtschaft (SVR) hat sich im Jahr 2019 in einem Sondergutachten dezidiert für die CO2-Bepreisung als Leitinstrument des Klimaschutzes eingesetzt. Dies unterstützt der weitaus größte Teil der Ökonominnen und Ökonomen. Zum einen sollten die CO2-Preise im europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) im Zuge der Verknappung von Emissionsrechten weiter steigen; zum anderen könne Deutschland die durch das EU-ETS nicht erfassten CO2-Emissionen der Sektoren Gebäude und Verkehr durch eine nationale Regelung bepreisen, die perspektivisch in ein europäisches System übergehen sollte. Mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) vom Dezember 2019 setzte die damalige Bundesregierung dies um. Eine europäische Regelung wird mit dem EU-ETS2 avisiert.
Weitere Maßnahmen dienen dazu, die Auswirkungen der CO2-Bepreisung abzumildern. Dazu gehört eine soziale Kompensation, weil CO2-Abgaben, gleich ob als Steuer oder als Zertifikatepreis, regressiv wirken, also Personen mit relativ geringem Einkommen relativ stärker belasten als Personen mit relativ hohem Einkommen.
Die Ampelregierung nahm dafür ein Klimageld in den Blick und schuf bis zu ihrem Auseinanderfallen die administrativen Voraussetzungen dafür. Alternativ ließe sich das bestehende Steuer-Transfer-System nutzen, etwa durch die Übernahme der EEG-Umlage durch den Bundeshaushalt (in Kraft seit Juli 2022 über den Klima- und Transformationsfonds) oder die Absenkung der Stromsteuer für alle Verbraucher auf das europäische Minimum (sic!).
Das Agrardieselprivileg ist klimapolitischer Unfug
Weitere Entlastungen bei den indirekten Steuern wären möglich; Bezieher von Sozialtransfers dürfen davon ausgehen, dass höhere CO2-Preise bei den Anpassungen der Transferzahlungen berücksichtigt werden. Eine Erhöhung der Pendlerpauschale gehört nicht zu den sinnvollen Kompensationen, zumindest insofern sie die Lenkungswirkung der CO2-Bepreisung karikiert. Jedenfalls ist die ebenfalls von der Bundesregierung geplante Wiedereinführung des Agrardieselprivilegs nicht nur, aber nicht zuletzt klimapolitischer Unfug.
Subventionen an die deutsche Wirtschaft sollten nur insoweit fließen, als sie besonders starke Härtefälle abmildern. Hinzukommen könnten in Ausnahmefällen Subventionen für die Entwicklung neuer Technologien (Wasserstoff, CCS). An flächendeckende Subventionen zum Aufbau eines klimaneutralen Kapitalstocks war dabei nicht gedacht.
Keinesfalls sollten die laufenden Betriebskosten subventioniert werden. Das Vorhaben eines Industriestrompreises für energieintensive Unternehmen geht daher in die völlig falsche Richtung und droht zu einer Dauersubvention zu werden, die sinnvolle Klimapolitik karikiert.
Ein wesentlicher Vorteil der CO2-Bepreisung ist die Möglichkeit, die sie zur internationalen Koordination bietet. Kein anderes Instrument, weder Subventionen noch Ordnungsrecht, eröffnet diese Chance. So schwer es derzeit scheinen mag: Der Erfolg der klimapolitischen Vermeidungsstrategie steht und fällt mit der internationalen Einigung auf einen Mindestpreis für CO2. Ansonsten bliebe nur eine Intensivierung der Anpassung an den Klimawandel.