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Lars Felds OrdnungsrufÜber die Irrtümer in der Mindestlohndebatte

Der Mindestlohn lässt sich ordnungspolitisch konsistent in das deutsche System einfügen. Doch ist die Unabhängigkeit der zuständigen Kommission ständig von politischen Interessen bedroht.Lars P. Feld 19.08.2025 - 10:19 Uhr Artikel anhören
Der Autor: Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Direktor des dort ansässigen Walter Eucken Instituts. Foto: dpa

Wenn man sich mit dem Mindestlohn auseinandersetzt, kommt man schnell auf Details empirischer Analysen zu sprechen, die sich um die Beschäftigungswirkungen drehen. Dies hat durchaus seine Berechtigung, denn von der Höhe des Mindestlohns hängt ab, ob er ungünstig oder vertretbar ist. Grundsätzliche Aspekte des Mindestlohns als wirtschaftspolitisches Konzept drohen dabei verloren zu gehen.

Der Mindestlohn als ordnungspolitisches Konzept dient als Korrektiv asymmetrischer Beziehungen auf dem Arbeitsmarkt. Schon Walter Eucken hat in seinen Grundsätzen der Wirtschaftspolitik herausgestellt, dass es zu anomalem Angebotsverhalten kommen kann.

Im Arbeitsmarkt gilt dies dann, wenn Löhne so niedrig sind, dass sie nur das Subsistenzminimum abdecken, also gerade zum Leben reichen: Bei weiterem Lohndruck arbeiten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Anbieter von Arbeitskraft zunehmend, um ihren minimalen Lebensstandard halten zu können. Ein klassisches Beispiel für eine solche Situation ist die vielfach in der Literatur beschriebene Lage von Arbeitskräften im 19. Jahrhundert, die in prekären Verhältnissen leben mussten.

Solche Verhältnisse bestehen in Deutschland schon lange nicht mehr, selbst nicht angesichts eines immer wieder kritisierten Niedriglohnsektors. Es ist sogar nicht unumstritten, ob es diese Verhältnisse überhaupt gegeben hat. Jedenfalls hat die Gewerkschaftsbewegung seit dem 19. Jahrhundert dafür gesorgt, dass es nicht mehr zu so niedrigen Löhnen kam.

Gleichwohl hat der Mindestlohn heute seine Funktion in lokalen Arbeitsmärkten, wenn Arbeitgeber eine dominante Rolle haben und Arbeitskräfte bereit sind, ungünstige Arbeitsbedingungen aufgrund dieser Dominanz hinzunehmen. Beispielsweise öffnet das beste Hotel oder Restaurant in einer Stadt seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Tür für eine besondere Karriere in den Leading Hotels of the World oder der Spitzengastronomie. Dafür nehmen diese gegebenenfalls schlechtere Arbeitsbedingungen hin. Der Mindestlohn schützt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in solchen Situationen und sorgt zugleich dafür, dass die Wettbewerbsbedingungen in solchen Teilarbeitsmärkten nicht verzerrt werden.

Im deutschen Arbeitsmarkt haben Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf Basis der grundgesetzlich gewährten Tarifautonomie seit dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang ordentliche Bedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart. Die Sockellohnpolitik der 1980er- und 1990er-Jahre erhöhte die Löhne am unteren Ende des Tarifgitters, also für Geringqualifizierte jedoch überproportional und damit stärker, als es den Produktivitätssteigerungen dieser Gruppen entsprach. Dies sorgte für eine zunehmende strukturelle Arbeitslosigkeit, die sich insbesondere nach der Wiedervereinigung stark erhöhte.

Mindestlohn: Es ist zu verführerisch, sich im Wahlkampf auf bestimmte Beträge festzulegen

Dies führte zu verschiedenen Reaktionen:

  • Erstens bewegten sich die Tarifvertragsparteien auf eine Periode der Lohnzurückhaltung zu; die Löhne stiegen weniger stark als die Produktivität.
  • Zweitens mündete dies in den Arbeitsmarktreformen der Regierung Gerhard Schröder.
  • Drittens kündigten Unternehmen ihre Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden. Dieser Prozess hält bis heute an, wenn Unternehmen erkennen müssen, dass die Ergebnisse von Tarifverhandlungen nicht mehr für sie umsetzbar sind und bis zur Existenzgefährdung gehen.

Vor diesem Hintergrund bestimmt das Mindestlohngesetz einerseits in Anerkennung der Tarifautonomie die periodische Festlegung des Mindestlohns durch eine unabhängige Kommission. Andererseits soll sich diese nachlaufend an der Tariflohnentwicklung orientieren. Das Konzept eines Mindestlohns als Living Wage steht angesichts der in Deutschland recht umfangreichen sozialpolitischen Absicherung nicht im Vordergrund der gesetzlichen Regelungen. Der Staat hat im Gefüge der Sozialen Marktwirtschaft hierzulande die Funktion einer nachträglichen Korrektur unerwünschter Verteilungsergebnisse und nimmt sich deren extensiv an. Die Lohnpolitik bleibt hingegen Aufgabe der Tarifvertragsparteien.

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Insofern lässt sich der Mindestlohn ordnungspolitisch konsistent in das deutsche System einfügen. Allerdings ist die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission durchgehend von politischen Interessen bedroht.

Es ist zu verführerisch, sich in Wahlkämpfen auf bestimmte Beträge des Mindestlohns festzulegen, wo dies doch Aufgabe der Kommission ist. Dadurch erodiert das bisherige Konzept des Mindestlohns, und schädliche Auswirkungen lassen sich nicht mehr verhindern. An diesem Punkt ist die deutsche Politik nach zwei Wahlkämpfen, in denen dieser Versuchung nicht widerstanden wurde, nun angekommen.

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