Newsletter Shift: Warum Israel Vorbild für unsere Rentenreform sein könnte
Sie gehört zu den größten Herausforderungen der schwarz-roten Koalition: die Reform des Rentensystems. Der demografische Wandel schlägt langsam, aber sicher voll durch, denn die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, gehen in Rente.
Dass immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Rentner aufkommen müssen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Eine Kommission soll im Auftrag der schwarz-roten Koalition nun Lösungen finden. Doch neben den großen Strukturreformen, die kommen müssen, dürfte es doch irgendwo auch innovative Ansätze geben, die schnell umgesetzt werden könnten, oder?
Diese Frage hat mich zu der Lösung in Israel geführt. Dort erhält seit 2017 jedes Kind ab Geburt bis zum 18. Geburtstag monatlich umgerechnet 15 Euro vom Staat.
Das Geld können die Eltern in Eigenregie in definierte Sparpläne mit mehr oder weniger hohem Aktienanteil investieren – oder das Geld fließt in einen staatlich überwachten Fondssparplan. Zum 18. Geburtstag gibt es eine Extraprämie, in den Folgejahren weitere Anreize zum Sparen.
Einzahlung ab der Kindheit
Tatsächlich setzt die Koalition bei uns auf ein ähnliches Konzept: die Frühstart-Rente. Zehn Euro pro Monat will die Regierung ab dem sechsten Geburtstag eines jeden Kindes bis zur Volljährigkeit in ein Depot einzahlen. Allerdings: Das Modell ist verglichen mit dem israelischen schlanker, etwa weil nicht schon ab Geburt gezahlt werden soll. Außerdem sind Details offen, wie etwa das Startdatum.
Aus der Koalition heißt es lediglich, die bis zur Volljährigkeit angesparte Summe soll bis zum Renteneintritt durch eigene Einzahlungen erhöht werden können. Und die Erträge dieser Investitionen sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein.
Unklar ist, ob die zehn Euro von den Eltern ebenfalls steuerfrei aufgestockt werden könnten oder in welche Produkte das Geld überhaupt investiert werden soll.
Das alles sind in meinen Augen aber ziemlich wichtige Fragen – und deshalb müssen Antworten her. Darum muss die Koalition meines Erachtens Tempo machen:
- Jede Entlastung hilft dem Rentensystem. Egal, wie groß oder klein sie erscheinen mag.
- Der demografische Wandel führt dazu, dass sich jeder und jede Deutsche mit privater Vorsorge auseinandersetzen sollte. Der Bund würde früh die Eigenverantwortung stärken.
- Bei allen Wahlgeschenken für ältere Wählergruppen wäre die Frühstart-Rente endlich ein Zeichen an eine demografisch stark unterrepräsentierte Gruppe, dass sie von der Politik gesehen wird: Kinder und Jugendliche.
- Die Frühstart-Rente stärkt die finanzielle Bildung: Jugendliche werden an den Kapitalmarkt herangeführt und erleben die Macht des Zinseszinseffekts.
Das kann Ängste nehmen, denn auch das gehört zur Wahrheit: 83 Prozent der 18- bis 30-Jährigen in Deutschland fürchten um ihre finanzielle Sicherheit im Ruhestand, zeigt eine Umfrage im Auftrag von ING Deutschland und Visa.
Diese Sorgen treffen auf Unsicherheit. Einer Umfrage des Bankenverbands nach wünschen sich 89 Prozent der 14- bis 24-Jährigen, dass die Schulen mehr Wirtschafts- und Finanzwissen vermitteln. Dazu gibt es auf Länderebene leider nur vereinzelt Pläne: So will etwa Sachsen-Anhalt das neue Schulfach „Wirtschaft“ an Gymnasien ab dem Schuljahr 2026/27 einführen.
Die Idee dahinter ist ja klar: Wenn Kinder früh den Umgang mit Geld lernen, dann können sie davon ihr Leben lang profitieren. Und mit diesem Wissen ließe sich gleichzeitig fürs Alter vorsorgen.
Ich habe meinem Kollegen Markus Hinterberger einige Fragen zur Frühstart-Rente, zu innovativen Ansätzen und internationalen Vorbildern gestellt. Er schreibt im Finanzressort über Geld- und Anlagethemen und führt regelmäßig Interviews mit Experten über die Psychologie hinter Investments. Seine Antworten lesen Sie in der Rubrik „In Conversation“.
Welche interessanten Ansätze fallen Ihnen noch ein? Und was wäre aus Ihrer Sicht angebracht? Ich freue mich auf Ihre Antworten! Schreiben Sie mir an newsletter@handelsblatt.com.
In der kommenden Woche begrüßt Sie an dieser Stelle wieder Julia Rieder.
Bleiben Sie optimistisch!
Ihr
Justus Heinisch
In Conversation
Shift: Markus, in einem Kommentar über die Frühstart-Rente hast du geschrieben: „Wir verspielen die Zukunft unserer Kinder.“ Was meinst du damit genau?
Markus Hinterberger: Stein des Anstoßes für meinen Kommentar war die Meldung, dass sich Politiker der SPD vorstellen können, die Frühstart-Rente nicht für alle Jahrgänge starten zu lassen, sondern immer nur für einen Jahrgang. Somit würden beim Start, so sie denn 2026 kommt, nur 700.000 Kinder Geld bekommen und nicht eine gute Million.
Hat die Politik den Ernst der demografischen Lage also immer noch nicht erkannt?
Doch, ich denke schon. Aber Kinder, Jugendliche und deren Eltern haben im Vergleich zum Rest der Bevölkerung aus meiner Sicht eine zu schwache Lobby. Wenn ich als Politiker mit Mitte, Ende 50 nun für die Frühstart-Rente trommele, werde ich den Erfolg dieses Projekts wohl nicht mehr erleben.
Aber schon in meiner Generation, ich bin 27 Jahre alt, gehen einige nicht mehr davon aus, Rente vom Staat zu beziehen ...
In meiner Altersgruppe, ich bin 44, glaubt auch niemand mehr wirklich an die gesetzliche Rente. Wir kommen aber aus der gesetzlichen Rente nicht heraus und wir werden auch noch etwas herausbekommen. Daher ist es sinnvoll, weiter einzuzahlen und gleichzeitig am Aktienmarkt zu investieren.
Welche internationalen Vorbilder könnten speziell für uns in Deutschland eine Inspiration sein?
Neben dem israelischen Modell ist auch das schwedische eine gute Idee. Dort fließt, vereinfacht ausgedrückt, ein Teil des Bruttoeinkommens in einen Aktienfonds, dessen Erträge man zum Renteneintritt bekommt. In den USA können Arbeitnehmer einen Teil ihres Bruttos steuerfrei investieren. Voraussetzung ist, dass das Geld bis zur Rente nicht angerührt wird.
Wenn du in der Regierung sitzen würdest: Welche Maßnahmen würdest du in den nächsten zwölf Monaten vorantreiben?
Ich würde eine Frühstart-Rente, und zwar ab Geburt, etablieren. Das Rentendepot von Geburt an wäre kostenlos und müsste von jeder Bank angeboten werden. Eltern hätten dann die Wahl: Entweder legen sie die zehn oder, wenn es nach mir ginge, 20 Euro monatlichen Zuschuss innerhalb dieses Depots in Eigenregie an oder das Geld fließt in einen staatlich organisierten Fonds. Frühestens mit 18 kann das Kind an sein bis dahin angespartes Kapital ran. Verpflichtet sich das Kind, weiter zu sparen, bekommt es mit 18 noch einen Bonus.
Und was noch?
Zudem würde ich dafür sorgen wollen, dass bereits in den Grundschulen erklärt wird, wie ein Girokonto funktioniert, und spätestens ab der 7. Klasse, was Aktien sind und wie die Börse funktioniert.
Finanzielle Bildung ist also ein wichtiger Faktor. Braucht es dafür nicht sogar einen Zusammenschluss von Politik, Wirtschaft und Schulen, um das Thema voranzubringen?
Unbedingt! Ich bin mir sicher, dass die Zahl unseriöser und marktschreierischer Angebote aus dem Finanzsektor abnehmen wird, wenn alle Sparerinnen und Sparer gebildeter sind und Bankern, Versicherungsvertretern und Finanzvermittlerinnen mehr auf Augenhöhe gegenübertreten können.
Rente und Kapitalmarkt sind allerdings zwei Bereiche, in denen Gefühle eine große Rolle spielen: die Angst vor der Altersarmut und die Angst vor dem Totalverlust. Wie ließe sich auf die Notwendigkeit, fürs Alter zu sparen, hinweisen, ohne weitere Angst zu schüren?
Ängste wie die, im Alter arm zu sein oder alles zu verlieren, sind schwer zu nehmen. Psychologen raten in letzterem Punkt, „virtuell“ zu investieren und in sich hineinzuhorchen, was es mit einem macht, wenn ein Depot, das gestern noch 10.000 Euro wert war, heute nur noch 7000 Euro wert ist. So kann man herausfinden, welches Risiko man nehmen kann.
Welche Rolle könnten technologische Innovationen oder digitale Plattformen bei der Aufklärung und auch bei der Sicherung der Systeme spielen?
Die können eine große Rolle spielen, das A und O ist aber das Verständnis der Grundlagen. Hier sollte bereits in den Schulen oder im Elternhaus begonnen werden. Die Frühstart-Rente kann hier einen Beitrag leisten, wenn etwa Eltern und Kinder sich gemeinsam anschauen, was mit dem Geld vom Staat geschieht, wenn es investiert wird.
Danke für das Gespräch, Markus!
Dieser Text ist zuerst am 27. Oktober 2025 im kostenlosen Newsletter Handelsblatt Shift erschienen. Den Newsletter können Sie hier abonnieren.