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Prüfers KolumneDie deutsche Elite bleibt unter sich

Das obere Personal in Vorstandsetagen stammt, mit leichter Variation, immer noch aus denselben vier Milieus: Adel, Erben, Großbürgertum und sonstigem Bürgertum.Tillmann Prüfer 28.06.2025 - 11:00 Uhr
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Tillmann Prüfer: Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“. Foto: Handelsblatt

Es ist eine allgemeine Annahme, dass Deutschland sich durch besondere Nüchternheit auszeichne. Keine Monarchie, keine Edelmänner und Edelfrauen mehr. Und wenn doch, dann höchstens in Romanen von Fontane oder in der Regenbogenpresse. Der deutsche Fortschritt soll am besten grau gekleidet und ingenieurhaft daherkommen. Leistung zählt. Wer sich hocharbeitet, darf ganz oben mitreden.

In der „Süddeutschen Zeitung“ habe ich nun von einer Studie gelesen, die das Gegenteil beweist. Der deutsche Adel lebt und gedeiht – nicht in prunkvollen Schlössern, sondern in der deutschen Wirtschaft. Der Elitenforscher Michael Hartmann hat in 150 Jahren deutscher Wirtschaftsgeschichte erstaunlich wenig Wandel entdeckt.

Das obere Personal in Vorstandsetagen stammt, mit leichter Variation, immer noch aus denselben vier Milieus: Adel, Erben, Großbürgertum und sonstigem Bürgertum. Der Rest der Gesellschaft, also ungefähr 96 Prozent, darf applaudieren – oder arbeiten.

Man könnte das als beruhigend empfinden: Dass wenigstens an dieser Stelle keine Unruhe herrscht. Dass über Kriege, Krisen, Inflation und Währungsreformen hinweg auf eines Verlass war: Die deutsche Elite bleibt unter sich. Adel vergeht nicht. Jener Stand, den es offiziell gar nicht mehr gibt, ist noch erstaunlich oft in Führung.

Menschen mit Namen wie „zu“, „von“ oder „und zu“ haben zwar keine rechtlichen Privilegien mehr. Aber offenbar reicht es, mit einem entsprechenden Stammbaum aufzuwachsen, um der Schwerkraft des sozialen Abstiegs zu entkommen. Man könnte meinen, ein Adliger müsse schon ziemlich viel falsch machen, um nicht Generaldirektor zu werden.

Erbe

„Nicht-Erben ist eine Wunde“

Vielleicht ist das ja das eigentliche Problem der deutschen Wirtschaft: dass ihre Spitzen nicht durch Kompetenz, sondern durch Cousinenbesuch ausgewählt werden. Die Firmenstruktur erinnert stellenweise mehr an ein Gutshaus als an Google. Während andere Länder von Innovationskultur sprechen, betreibt man hier Ahnenforschung in der Vorstandsetage.

Die Frage ist nur: Wenn die deutsche Wirtschaft gerade schwächelt – liegt es dann daran, dass sie von Menschen geführt wird, die sehr gut in Herkunft, aber nicht unbedingt in Zukunft sind? Dass die nutzloseste Elite von allen immer noch meint, sie müsse gar nichts mehr können, weil es reicht, zu sein? Von Gottes Gnaden auserwählt?

Man kann das Ganze natürlich auch positiver betrachten: Der Adel ist vielleicht die am erfolgreichsten integrierte Minderheit in der Gesellschaft. Eigentlich eine Gruppe, die immer wieder von furchtbaren Ereignissen heimgesucht wurde – Revolutionen, Bauernaufstände. Menschen wollten ihnen immer wieder ihre Lebensweise streitig machen. Etwa das Begärtnern großer Parkanlagen oder Spaziergänge im eigenen Wald. Dass diese verfolgten Menschen, die man im französischen Nachbarland sogar mit der Guillotine bedroht hat, nun in Frieden leben können, ist ein großer Erfolg.

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Vielleicht muss man Diversität aber noch weiter fördern. Eine Adelsquote für Angestellte an Supermarktkassen wäre ein Anfang.

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