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KommentarDer Neid auf die 1000-Euro-Prämie für Arbeitslose ist nicht verständlich

Die Regierung plant eine Motivationsprämie für Langzeitarbeitslose. Kaum hetzen ein paar Laien dagegen, wollen manche Ampel-Politiker sie streichen. Dabei ist sie sinnvoll und günstig.Julian Olk 08.10.2024 - 15:00 Uhr
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Der Boulevard hat die Prämie entdeckt, und schon knicken innerhalb von Stunden die ersten Ampelkoalitionäre ein. Foto: imago/Emmanuele Contini

Es ist keine neue Erkenntnis, aber doch immer wieder erstaunlich, wie Neiddebatten funktionieren. Jüngstes Beispiel: die Hetze gegen die geplante Prämie der Bundesregierung in Höhe von 1000 Euro für Langzeitarbeitslose, wenn diese einen sozialversicherungspflichtigen Job aufnehmen. Dagegen regt sich gerade immenser Widerstand. Aus Neid, dass jene, die hart arbeiten, den Couch-Potatoes das Aufstehen nicht auch noch vergolden wollen. Das aber ist eine falsche Rechenweise.

Ein Langzeitarbeitsloser, der eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufnimmt, bringt die 1000 Euro für den Staat im Handumdrehen wieder rein, weil er keine Leistungen mehr bekommt und Steuern zahlt. 25.000 Euro kann der Einspareffekt pro Fall betragen, zeigen Berechnungen.

Es ist nicht klar, warum das ungerecht gegenüber Beziehern von kleinen und mittleren Einkommen sein sollte. Sicherlich ist es mit Unsicherheit behaftet, inwieweit auch Arbeitslosen die 1000 Euro geschenkt würden, die ohnehin einen neuen Job aufgenommen hätten.

Aber es dürfte nicht allzu viele solcher Mitnahmeeffekte geben. 2023 gab es 910.000 Langzeitarbeitslose. 129.000 ist es gelungen, einen Job aufzunehmen. Dem Rest allerdings nicht. Das lag besonders häufig daran, dass Langzeitarbeitslose nur gering qualifiziert sind. Rund 60 Prozent haben keinen Bildungsabschluss. 232.000 Langzeitarbeitslose haben 2023 aber eine Berufsausbildung begonnen oder sind in eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme eingetreten.

Damit bleiben immer noch 500.000 Langzeitarbeitslose übrig, die durch die Prämie motiviert werden könnten, intensiver nach einem Job zu suchen oder sich weiterzubilden. Gelingt das bloß bei einem Bruchteil, würde sich die Prämie schon querfinanzieren.

» Lesen Sie auch: Bundesregierung erwartet Schrumpfkurs der deutschen Wirtschaft – Ärger um Prämie für Langzeitarbeitslose

Die Regierenden hätten den Vorstoß in der Kommunikation sicherlich sensibler vorbereiten und proaktiv erklären können, dass angesichts des demografischen Wandels alle Möglichkeiten genutzt werden müssen, um den Arbeitsmarkt zu aktivieren. Das Verhetzungspotenzial kommt also nicht sonderlich überraschend daher.

Proaktiv hätte man auch dem Eindruck entgegenwirken müssen, die 1000 Euro würden jetzt freihändig verteilt. Die Schranken sind klar: Ein Jahr muss der Job mindestens laufen, er muss den Langzeitarbeitslosen komplett aus dem Bürgergeld rausbringen.

Grundlege Sozialreform dringend notwendig

Gleichzeitig gehört zur Wahrheit: Die Notwendigkeit der Prämie zeigt, wie dringlich eine grundlegende Überarbeitung des deutschen Sozialsystems ist. Die Politik muss dringend an die „Transferentzugsraten“ ran: Wenn Beschäftigte Sozialhilfe wie Bürger- und Wohngeld erhalten, dann aber eine Arbeit aufnehmen, haben sie häufig nicht mehr Nettogehalt als vorher. Der Grund ist, dass die Hilfen wegfallen und sie Steuern sowie Abgaben zahlen müssen.

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Die hohen Transferentzugsraten entziehen dem Arbeitsmarkt Personen, die dringend in der Wirtschaft gebraucht würden. Und sie kosten doppelt, wegen der Leistungen und wegen der fehlenden Steuern und Abgaben, die die Beschäftigten zahlen würden.

Eine solche Reform ist aber nicht von jetzt auf gleich gemacht. Und es ist auch ziemlich sicher, dass der Ampel die politische Kraft fehlt, das umzusetzen. Warum also nicht für den Übergang auf die Prämie setzen, mit all den beschriebenen Vorteilen?

Zuletzt: Erstaunt muss man auch immer wieder über den Zeitpunkt der Debatten sein. Die Prämie stand fast genau so bereits im Wachstumspaket, auf das sich Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner Anfang Juli geeinigt hatten. Da hat es niemanden interessiert.

Verwandte Themen Arbeitsmarkt Deutschland Wirtschaftspolitik Sozialpolitik

Jetzt hat der Boulevard das Thema für sich entdeckt, und schon knicken innerhalb von Stunden die ersten Ampelkoalitionäre ein. Das ist schwach. Warum haben sie im Juli noch nichts gesagt, wenn sie die Maßnahme so dramatisch schlecht finden – was ja eine legitime Meinung ist?

Mehr: „Schauen Sie mal nach China. Das Land mag eine Diktatur sein, macht aber eine intelligente Industriepolitik.“

Erstpublikation: 07.10.2024, 11:29 Uhr.

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