Kommentar: Berlin und London schließen im Kern eine Waffenbrüderschaft


Politik ist Wahrnehmung. Wenn Bundeskanzler Friedrich Merz und der britische Premierminister Keir Starmer am Donnerstag in London den wohl umfassendsten Freundschaftsvertrag zwischen beiden Ländern seit Ende des Zweiten Weltkriegs besiegeln, dann ist das mehr als Symbolpolitik. Großbritannien und Deutschland rücken in einer Zeit zusammen, da Europas Sicherheit bedroht ist, die Wirtschaft stagniert und die Demokratie tief in der Krise steckt. Jede Hilfe ist also willkommen.
Der sogenannte „Kensington Vertrag“ selbst liest sich wie eine Sammlung von guten Absichten. Wirklich neu ist nur, dass Berlin und London sich gegenseitig militärischen Beistand zusichern, sollte ein Land von außen angegriffen werden. Sie schließen im Kern eine Waffenbrüderschaft.
Ein ähnliches Versprechen hat Deutschland bereits 2019 im Aachener Vertrag mit Frankreich vereinbart. Und alle drei Länder sind als Nato‑Mitglieder im Bündnisfall ohnehin zum militärischen Beistand verpflichtet.
Dennoch ist die doppelte Sicherheitsgarantie ein Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und wohl auch an US‑Präsident Donald Trump, dass Berlin, Paris und London die Sicherheit Europas als eine gemeinsame Aufgabe betrachten. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass die Merz-Visite in London nur eine Woche nach dem Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in der britischen Hauptstadt kommt. Ob das Dreieck Berlin, Paris, London stark genug ist, damit sich Europa nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich im Kampf der Großmächte behaupten kann, muss sich allerdings erst noch zeigen.
Dass die wirtschaftliche Erneuerung Europas derzeit eng mit der militärischen Aufrüstung verbunden ist, könnte die Aufgabe erleichtern. Es ist deshalb richtig, wenn Merz und Starmer vereinbart haben, dass beide Länder bei der Entwicklung, Produktion von Rüstungsgütern und auch beim Streitthema Waffenexport enger zusammenarbeiten wollen. Das betrifft den Eurofighter Typhoon, den Militärtransporter Airbus A400M und den Radpanzer Boxer. Berlin und London wollen zudem neue Langstreckenraketen mit einer Reichweite von mehr als 2000 Kilometern entwickeln.
Rüstungskooperation wird zum Testfall
Zu einem ersten Härtetest für die neue Partnerschaft könnte es kommen, wenn Merz und Starmer über die Lastenverteilung bei der Militärhilfe für die Ukraine ringen. Zwar sind sich beide einig, Kiew im Kampf gegen die russische Aggression zu unterstützen. Dass die USA jetzt wieder Waffen an die Ukrainer liefern wollen, haben die Regierungschefs deshalb mit Erleichterung aufgenommen.
Allerdings sollen die Europäer die US‑Waffen bezahlen oder aus ihren Beständen an Kiew weiterreichen. In London ist die Staatskasse jedoch leer, und in Berlin sind es die Waffenlager.
Damit verbunden ist die ungelöste Grundsatzfrage, ob es bei der militärischen Arbeitsteilung „Die Deutschen bezahlen, die Briten kämpfen“ bleiben kann. Zwar ist Berlin in vielen Krisenherden mit eigenen Soldaten inzwischen ins Risiko gegangen, bei der „Koalition der Willigen“, die eine Friedenstruppe für die Ukraine bilden wollen, hat sich auch Merz bislang jedoch weggeduckt.






Wenn Berlin im Sicherheitsdreieck mit Paris und London nicht stumpf bleiben will, wird sich das ändern müssen. Denn auch hier gilt: Politik ist, was die Menschen wahrnehmen.
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