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KommentarBidens Europa-Besuch: Amerika ist zurück

Die USA nehmen unter Joe Biden wieder ihre Rolle als Ordnungsmacht wahr. Doch das allein reicht nicht, um westliche Werte zu verteidigen – Europa wird seinen Beitrag leisten müssen.Jens Münchrath 23.03.2022 - 08:53 Uhr Artikel anhören

Der amerikanische Präsident ist zum westlichen Gegenspieler Putins geworden. Er hat Amerika nach langer Zeit wieder zur Schutzmacht für Freiheit und Demokratie gemacht.

Foto: AP

Als „Sleepy Joe“ verspottete der damalige US-Präsident Donald Trump seinen Herausforderer Joe Biden während des Wahlkampfs. Und selbst die größten Biden-Fans mussten zugeben: Da hatte Trump einen Punkt gemacht. Bei seinen Auftritten wirkte der 79-Jährige oft fahrig, verhaspelte sich und zog mitunter sinnfreie Schlüsse. Kurzum: Biden stand nicht eben für das, was man einen mitreißenden Redner oder charismatischen Staatsmann nennt.

Seit Russland vor knapp vier Wochen seinen Eroberungsfeldzug in der Ukraine startete, blicken nicht nur die Amerikaner, sondern vor allem auch die Europäer nun auf einen anderen Joe Biden – einen ebenso umsichtigen wie entschlossenen, einen strategisch und taktisch gut agierenden US-Präsidenten, einen Mann, dem man anmerkt, dass er seine politische Sozialisation im Kalten Krieg erfahren hat.

Am Donnerstag besucht der Präsident seine europäischen Partner – und es gibt einige Gründe, ihm dankbar zu sein. Die Amerikaner sind es, die Berlin immer davor gewarnt haben, sich von russischen Energieimporten zu abhängig zu machen – während die Bundesregierung sich hinter ihrer in der Rückschau politisch höchst naiv anmutenden Formel „Wandel durch Handel“ versteckte.

Die Amerikaner waren es, die die Invasion in die Ukraine vorhersagten – während die deutsche Politik immer noch verklärend bemüht war, Putins Aggressionsverhalten der vergangenen Jahre mit der Nato-Osterweiterung zu erklären, manchmal sogar zu rechtfertigen.

Und es sind die Amerikaner, die als Einzige in der Lage sind, China zu einer klaren Positionierung in diesem epochalen Konflikt zu zwingen. Auf die Seite derjenigen, die souveräne Staatengleichheit als elementares Prinzip des Völkerrechts anerkennen und die territoriale Integrität ebenso für unverzichtbar halten wie die Herrschaft des Rechts – oder auf die Seite jener, für die sich die Grenzen der Macht eines Landes allein in dessen militärischen Kapazitäten bemessen.

Joe Biden macht Amerika zur Schutzmacht

Biden hat sich als starker westlicher Gegenspieler Putins inszeniert. Er hat mit seinem Engagement den Glauben an das transatlantische Bündnis revitalisiert, ebenso an die zwischenzeitlich „hirntot“ geglaubte Nato. Er hat die weitgehende Geschlossenheit des Westens organisiert, neben den Sanktionen das wirksamste Mittel, um den Aggressor einzudämmen. Summa summarum: Amerika kann mit Fug und Recht behaupten, dass es nach langer Abstinenz wieder die Rolle als Schutzmacht für Freiheit und Demokratie einnimmt.

Mehr zu Joe Biden:

Biden nannte es die „heilige Pflicht“ der USA, im Ernstfall „jeden Zoll“ des Nato-Gebiets gegen Russland zu verteidigen. Was wäre die Sicherheit Europas noch wert, gäbe es dieses Vertrauen heute nicht mehr? Was wäre, wenn Donald Trump, der Putins Invasion für „genial“ hielt und die Nato für „obsolet“, jetzt im Weißen Haus säße?

Die neue Stärke der USA als Ordnungsmacht offenbart einmal mehr die frappierende Schwäche vor allem der größten europäischen Volkswirtschaft. Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten die Verantwortung für die Landesverteidigung an die USA delegiert. Es hat seinen Energiebedarf nach Russland ausgelagert und sein ökonomisches Schicksal weitgehend an China verpfändet.

In einem Telefonat haben sich der US-Präsident und der chinesische Staatschef am Freitag über die Ukraine ausgetauscht. Biden versuchte, China davon abzuhalten, Russland zu unterstützen.

Foto: dpa

Das alles funktionierte nur so lange gut, wie es einen Garanten für eine mehr oder weniger auf Regeln basierende Weltordnung gab, auf der die deutsche Wirtschaft nahezu perfekt gedeihen konnte. Die USA waren und sind die militärische Schutzmacht, Deutschland griff die Friedensdividenden ab.

Doch diese Zeiten sind vorbei, historisch betrachtet war die relative Stabilität der vergangenen 30 Jahre ohnehin die Ausnahme. Der Ukrainekrieg zeigt jetzt die strategische Naivität in aller Deutlichkeit.

Hätte Deutschland seit dem Fall der Mauer wie versprochen seinen Zwei-Prozent-Anteil der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben, wären Mehrausgaben in Billionenhöhe fällig geworden. Und das spiegelt nur einen kleinen Ausschnitt dessen wider, was eine stabile Weltordnung wert ist.

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Europa und vor allem Deutschland haben sich lange einer postimperialen Illusion hingegeben – und dabei leisteten ihre Gesellschaften sich stets einen latenten Antiamerikanismus.
Joe Biden wird in Brüssel die neue westliche Einheit beschwören. Und er wird einen deutlich höheren Beitrag der Europäer zur Verteidigung westlicher Werte einfordern – zu Recht.

Europa redet viel von Emanzipation, von der Sprache der Macht, die der Kontinent lernen müsse, und von der geopolitischen Souveränität. All das ist richtig, nur wirkt es immer noch wie Wunschdenken.
Amerika ist zurück, ja. Die Frage ist, wie lange es bleibt. 2024 sind Präsidentschaftswahlen – und eine Rückkehr Trumps, der während seiner Amtszeit einen beträchtlichen Anteil bei der Demontage einer westlich geprägten Weltordnung geleistet hat, ist nicht ausgeschlossen. Joe Biden würde dann als 82-Jähriger seine zweite Amtszeit antreten, sollte er wiedergewählt werden. Auch das ist nicht unbedingt ein verheißungsvolles Szenario. Viel Zeit, seine mitunter blauäugige Sicht auf die Welt anzupassen, hat Europa nicht.

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