Kommentar: China und USA: Eine Reise entblößt die gegenseitige Abhängigkeit

Der Besuch der Handelsministerin in Peking hat gezeigt: In der Krise brauchen die beiden Giganten einander mehr denn je.
Foto: APEigentlich ist Gina Raimondo als China-Falkin der US-Regierung bekannt, also als Unterstützerin eines aggressiven Kurses gegenüber dem Systemrivalen. Doch bei ihrem jetzigen Besuch in Peking schlägt die Handelsministerin von Präsident Joe Biden überraschend versöhnliche Töne an. Auf Anregung der USA vereinbarten beide Seiten, sich regelmäßig über Handels- und Investitionsfragen auszutauschen.
Es ist immerhin das erste Dialogformat seit langer Zeit, auf das sich die rivalisierenden Wirtschaftsgiganten einlassen. Die neue Offenheit ist aus der Not heraus geboren: Bei einem jährlichen Handelsvolumen von 700 Milliarden US-Dollar steht auch für die USA viel auf dem Spiel. Die Volksrepublik durchlebt derzeit eine ausgeprägte ökonomische Schwächephase, und auch in den USA warnen Analysten, dass das Rezessionsrisiko steigt.
In der Krise brauchen beide Giganten einander mehr denn je, als die übliche Rhetorik in Washington und Peking es vorgaukelt. Das hat der Raimondo-Besuch deutlich gemacht. So bemühte sich die Handelsministerin darum, dass der amerikanische Flugzeugbauer Boeing seine 737-Max-Jets nach jahrelanger Zwangspause wieder nach China liefern darf. 2019 waren zwei der Maschinen nach Systemfehlern abgestürzt, eine chinesische Comeback-Hilfe wäre für Boeing äußerst lukrativ.
Das Beispiel Boeing zeigt, dass die Amerikaner im Zweifelsfall nicht auf die chinesische Marktmacht verzichten können – auch wenn sich im laufenden Präsidentschaftswahlkampf die US-Parteien mit China-Kampfparolen überbieten. Und natürlich geht die Eindämmungspolitik in sicherheitsrelevanten Bereichen weiter.
Erst in diesem Monat hat das Weiße Haus angekündigt, einige US-Investitionen in sensible Technologien in China verbieten zu wollen. Und bereits im Oktober drohen neue Exportkontrollen gegen moderne chinesische Halbleiter. China wiederum provoziert mit Drohgebärden gegen Taiwan und blockiert die Geschäfte von US-Reisen wie Intel und Micron.
>> Lesen Sie auch: Biden reguliert US-Investitionen in sensible Technologien in China
Derzeit ist eine zweigleisige Strategie zu beobachten: auf oberster Ebene Stärke demonstrieren, aber auf den unteren Ebenen durchaus Pragmatismus zulassen.
Natürlich ist es möglich, dass auch die milden Töne Raimondos sich schnell wieder verschärfen. Doch für den Moment können sich China und die USA auf ein Mindestmaß an Pragmatismus einigen. Sie wollen in bestimmten Bereichen zusammenarbeiten – oder besser: Sie müssen es.