Kommentar Chinas digitale Kommandowirtschaft führt in die Sackgasse

Chinas Präsident Xi Jinping bei einer Show zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei.
Die jüngsten Attacken der kommunistischen Regierung in Peking auf die von ihr selbst hochgezüchteten Superstars der Digitalwirtschaft haben weltweit ein Rätselraten darüber ausgelöst, was hinter dem Techlash made in China steckt.
Die möglichen Motive reichen von berechtigten wettbewerbspolitischen Bedenken gegenüber der wachsenden Marktmacht großer Tech-Konzerne wie Alibaba und Tencent über eine machtpolitische Maßregelung selbstbewusster Tech-Ikonen wie Jack Ma bis hin zu einer strategischen Kurskorrektur des Masterplans von Staatspräsident Xi Jinping, der das Land bis zum 100. Jahrestag seiner Gründung 2049 zur führenden Technologiemacht der Welt machen will.
Xi selbst hat in seinen Äußerungen zum wirtschaftlichen Kurs seines Landes zwar immer wieder die positive Rolle von Chinas Digitalwirtschaft gerade in der Pandemie gelobt. Zugleich bleibe aber die Realwirtschaft das Fundament der chinesischen Volkswirtschaft, sagte der Präsident in einer wegweisenden Rede im April vergangenen Jahres.
Bei allen Bemühungen der chinesischen Führung, den Konsum des Landes anzukurbeln und dadurch die Exportabhängigkeit zu verringern, setzt Peking nicht auf eine servicebetonte Plattform-Ökonomie nach dem Vorbild der USA, sondern will zur führenden digitalen Industrienation aufsteigen. Nach Meinung von Experten liebäugelt Xi eher mit dem „Modell Deutschland“ mit seinem Update Industrie 4.0.
Mal davon abgesehen, dass Deutschland mit seiner holprigen Digitalisierungsstrategie nur bedingt als Vorbild taugt, verkennt Pekings Vision einer industriellen Supermacht im 21. Jahrhundert nicht nur die unternehmerische Dynamik des digitalen Wandels, sondern ist auch von dem politischen Wunsch nach einer technologischen Autarkie getrieben. Weniger Abhängigkeit von anderen, mehr Abhängige von China, das sind die beiden Ziele von Xis Planwirtschaft einer „dualen Zirkulation“.
Es geht um die Kontrolle strategischer Knotenpunkte der Digitalwirtschaft
Kein Land der Welt, das einen wirtschaftlichen Führungsanspruch erhebt, kann seine industrielle Basis aufgeben. Das hat übrigens auch US-Präsident Joe Biden längst gemerkt, der nicht müde wird, einer Renaissance der Industriepolitik das Wort zu reden. Mit der von ihm angeordneten Überprüfung globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten versucht Biden Schlüsselindustrien wie die Chip- und Batteriefertigung gezielt in den USA zu verankern.
Dass der große Rivale in Peking mit seiner „Made in China 2025“-Strategie genau das Gleiche tut, ist kein Zufall. Beide Supermächte versuchen die globale Technologieführerschaft eben auch dadurch zu erringen, dass sie die strategischen Knotenpunkte der Digitalwirtschaft kontrollieren. Das schützt die eigene nationale Sicherheit und verwandelt globale Lieferketten notfalls in eine politische Waffe.
Xi ist mit seinem Fokus auf die digitalen Schlüsselindustrien also nicht allein, sondern steht damit in direkter Konkurrenz zu den USA und auch der EU. Setzen die Rivalen dabei mehr auf strategische Autarkie als auf eine internationale Arbeitsteilung, wird aus dem „Win-win“ des Freihandels schnell ein Nullsummenspiel des modernen Merkantilismus.
China verschafft seinen Tech-Konzerne einen Rückstand gegenüber der US-Konkurrenz
Diese politischen Risiken machen Chinas industrielle Strategie riskant. Noch gravierender ist jedoch, dass Peking das Wesen des digitalen Wandels falsch einschätzt. Die Plattform-Ökonomie der großen US-Konzerne ist durch einen geringen Kapitalbedarf und hohe Profite gekennzeichnet, wie die riesigen Quartalsgewinne der Big Five aus dem Silicon Valley es gerade noch einmal unterstrichen haben. Dadurch verfügen die US-Konzerne über enorme Investitionsreserven, die sie für eine Expansion in industrielle Gefilde nutzen. Google entwickelt das autonome Fahren, Apple denkt über eine Automobilplattform nach, Amazon-Chef Jeff Bezos zündet Raketen ins All, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg will die nächste Generation des Internets erschaffen.
Mit ihrem technologischen Know-how, aber auch mit ihren finanziellen Muskeln ist Big Tech längst dabei, die Industrie umzukrempeln. Die Plattform-Ökonomie und ihre Protagonisten sind dabei zu den Schlüsselspielern in den fälschlicherweise oft als „Old Economy“ abgestempelten Branchen geworden.
Dass Xi diese schöpferische Erneuerung der Industrie von der Kommandobrücke der staatlich gelenkten chinesischen Volkswirtschaft aus nicht erkannt hat, ist nicht verwunderlich. Der digitale Wandel ist im Kern ein mikroökonomischer Prozess, der von der Kreativität und dem unternehmerischen Mut zahlloser Akteure gesteuert wird. Gut möglich also, dass Pekings industriepolitischer Kurs in die Sackgasse führt. Das sollte all jenen eine Warnung sein, die dem chinesischen Modell nacheifern wollen.
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