Kommentar Das amerikanische Dilemma

Er produziert das Geld, das die Regierung ausgibt.
Jerome Powell und Janet Yellen gelten als das Dream-Team des neuen Kapitalismus, in dem Geld- und Finanzpolitik Hand in Hand arbeiten, ohne dass es einen offiziellen Abstimmungsmechanismus gibt. Die Aufgaben sind klar verteilt: Die Regierung gibt Geld aus, die Notenbank stellt es durch Anleihekäufe zur Verfügung. Oder, glaubt man den Anhängern der Modern Monetary Theory (MMT): Die Regierung, die so betrachtet auch die Notenbank umfasst, druckt einfach Geld und soll das ruhig immer weiter machen, so lange die Inflation nicht steigt.
Powell, der Chef der US-Notenbank, und seine Vorgängerin Yellen in dieser Position, die gerade zur Finanzministerin wurde, kennen sich durch jahrelange Zusammenarbeit. Sie gehören offiziell verschiedenen politischen Strömungen an, Yellen den Demokraten, Powell den Republikanern. Aber tatsächlich ähneln sie sich auch politisch: Beide sind pragmatisch, beide wollen eine gut laufende Wirtschaft, beide haben den Arbeitsmarkt und dort vor allem die sozial schwachen Amerikaner im Blick.
Und beide stecken zusammen in einem Dilemma. Denn der Plan von US-Präsident Joe Biden, mit einem weitgehend durch Schulden finanzierten Konjunkturpaket von 1,9 Billionen Dollar die Amerikaner in der Pandemie zu unterstützen, hat nicht nur die Ökonomen, sondern auch die Märkte in Aufruhr versetzt. Die Renditen der US-Staatsanleihen ziehen an. Powell kann dagegen arbeiten, indem er noch mehr Staatsanleihen kauft. Aber dann treibt er auf mittlere Sicht wahrscheinlich die Inflation hoch – und deswegen jetzt schon die Inflationserwartungen, und damit auch wieder die Renditen. Ein Teufelskreis. Er hat Auswirkungen auch für Yellen: Sie muss als Finanzministerin höhere Zinsen zahlen. Ob das später tatsächlich durch mehr Inflation ausgeglichen wird, ist aber noch nicht klar.
Investoren lieben Sicherheit
Durch dieses Dilemma entsteht eine Menge Unsicherheit. Investoren lieben zwar theoretisch freie Märkte, aber praktisch doch auch ein bisschen Kontrolle durch die Notenbank. Und die ist jetzt nicht mehr sichergestellt.
Wie soll Powell reagieren? Einfach laufen lassen? Dann könnte es passieren, dass die Märkte noch nervöser werden und der Mechanismus – Renditen rauf, Aktien runter – unerfreulich für die gesamte US-Wirtschaft wird. Stärker verbal intervenieren? Das beschädigt seine Glaubwürdigkeit, wenn es nicht funktioniert.
Ein Ausweg wäre die aus Japan bekannte direkte Kontrolle der längerfristigen Renditen, als Yield Curve Control (YCC) bekannt. Sie funktioniert im Prinzip sehr einfach: Die Fed sagt explizit, dass sie eine Rendite von zum Beispiel 1,5 Prozent, das wäre das heutige Niveau, sehen will und alles einsetzt, um das zu erreichen. In vielen Fällen funktioniert sogar mit weniger tatsächlichen Anleihekäufen als ohne diese explizite Ansage. Aber was, wenn die Märkte diese Ansage testen? Wie viel Papiere muss die Fed dann noch kaufen? Außerdem klingt YCC nach kapitalistischer Planwirtschaft, das wird nicht jeder mögen.
Eine direkte Kontrolle des Anleihemarktes käme auch dem MMT-Konzept näher. Allerdings sagen sogar dessen Anhänger: Geld produzieren und ausgeben funktioniert nur so lange problemlos, bis die Inflation anspringt. Und dafür gibt es jetzt ja in den USA schneller als erwartet erste Signale.
Es gibt auch Chancen
Diese schwierige Situation bietet auch Chancen. Wenn alles gut geht, dann beginnt jetzt ein, wenn auch zuweilen holpriger, Weg in die lang erhoffte Normalisierung. Wieder reale Zinsen, eine etwas höhere Inflation, die einen Risikopuffer gegen das Abgleiten in Deflation und der Notenbank mehr Spielraum in der klassischen Zinspolitik geben: Das haben sich doch alle gewünscht. Die allzu hohen Bewertungen vieler Aktien, Exzesse in zinslosen Vermögensklassen wie der Bitcoin: Das galt doch lange schon als bedenklich. Vielleicht löst sich das amerikanische Dilemma am Ende doch so auf, dass die Europäer neidisch herüberschauen.
Schon kehrt jetzt ein Gedanke wieder, der vor einigen Jahren bereits kursierte: Die Fed sollte ihr Inflationsziel von zurzeit zwei Prozent erhöhen, zum Beispiel auf drei Prozent. Denn würden die Preise etwas schneller steigen, könnte die Fed insgesamt mit höheren nominalen Zinsen arbeiten, ohne die Wirtschaft real - also nach Abzug der Inflation - zu sehr zu belasten. Außerdem erleichtert höhere Inflation Anpassungsprozesse, zum Beispiel am Arbeitsmarkt: Eine Nullrunde bei drei Prozent Inflation ist einfacher zu vereinbaren als eine Lohnkürzung um zwei Prozent bei einem Prozent Inflation.
Europa ist noch weit entfernt von amerikanischen Verhältnissen. Wir spüren hier zwar die Ansteckung der höheren Renditen. Aber man müsste sich schon sehr anstrengen, um über kurzfristig vorübergehende Effekte hinaus ernsthafte Anzeichen einer höheren Inflation zu erkennen. Bei uns gibt es auch kein Finanz- und geldpolitisches Dream-Team, wenn auch in Italien immerhin mit Mario Draghi einen Ex-EZB-Chef als Regierungschef agiert.
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