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Kommentar Das Vorgehen in der Afghanistanfrage erschüttert das Vertrauen in die USA

Joe Bidens Krisenmanagement in Afghanistan ist enttäuschend. In seinem eigenen Land muss ihm das nicht unbedingt schaden – doch seine internationalen Partner sollten aus dem Desaster lernen.  
24.08.2021 - 22:49 Uhr Kommentieren
Der US-Präsident sieht sich mit gleich mehreren Krisen konfrontiert. Quelle: AP
Joe Biden

Der US-Präsident sieht sich mit gleich mehreren Krisen konfrontiert.

(Foto: AP)

Washington Neuerdings läuft im Weißen Haus einiges anders. Termine werden spontan anberaumt, verworfen, wieder angesetzt. Wann immer US-Präsident Joe Biden öffentlich auftritt, ist er spät dran. Im Anschluss an das G7-Treffen am Dienstag waren es gleich mehrere Stunden. 

Es ist ein deutlicher Kontrast zu den ersten sieben Monaten von Bidens Präsidentschaft, die von einer betäubenden Berechenbarkeit geprägt waren. Jetzt wirft die Afghanistankrise seine Pläne durcheinander, und gleichzeitig sät sie Zweifel an jenen Eigenschaften, derentwegen Biden ins Amt gewählt wurde: Verlässlichkeit, Erfahrung, Urteilsvermögen. Kurzum, all das, was Donald Trump fehlte.

Zum Gesamtbild gehört, dass das Desaster in Afghanistan nicht die einzige Krise ist, mit der Biden kämpft. Es kommt gerade viel für ihn zusammen.

Der Rückfall in eine Pandemie, die noch im frühen Sommer nahezu als unter Kontrolle galt, ist das mit Abstand größte Problem seiner Amtszeit. Auch sein Versprechen, überparteiliche Erfolge zu liefern, ist bislang nicht eingelöst: Die Zukunft der Infrastruktur-Billion liegt in den Händen eines gespaltenen Kongresses. Der chaotische Truppenabzug aus Afghanistan spielt jetzt nicht nur seinen politischen Gegnern in die Hände – er sorgt auch für eine Entzauberung in seiner eigenen Partei.

Angesichts knapper Mehrheiten und extremer Polarisierung in den USA sind dauerhafte Zweifel an seiner Führungskraft eine reale Gefahr für Biden. Sollte es Terroranschläge geben oder weitere Verfehlungen rund um Afghanistan ans Licht kommen, gilt Biden dauerhaft als geschwächt. Jede neue Eskalation würde Afghanistan im Fokus der Aufmerksamkeit halten – und es den US-Bürgern, zynisch ausgedrückt, schwerer machen, das Schicksal eines fernen und fremden Landes zu ignorieren. 

Biden macht vieles richtig

Und doch sind Prognosen verfrüht, dass Afghanistan Biden langfristig schaden wird. Zumindest innenpolitisch spricht einiges dafür, dass er die Krise übersteht.

Zum einen zeigt die Geschichte, dass Außenpolitik in den USA selten Wahlentscheidungen beeinflusst. Zum anderen sind US-Amerikaner Schmach gewohnt: Der Irakkrieg basierte auf einer Lüge, und Barack Obama entschied sich wider seine moralischen Maßstäbe gegen eine Militäroperation in Syrien. Trump schüttelte Diktatoren die Hand, seine Außenpolitik war oft erratisch und destruktiv.

Biden macht im Gegensatz zu seinen Vorgängern vieles richtig: Die meisten US-Bürger unterstützen den Abzug aus Afghanistan, sie stehen in der Sache hinter dem Präsidenten. Läuft die Evakuierung einigermaßen stabil und verschwindet Afghanistan allmählich aus den Schlagzeilen, könnte Biden eine Blamage in Anerkennung umwandeln. Schließlich hat er einen Krieg beendet, der schon lange als verloren galt.

Für seine Beziehung zu internationalen Partnern hat die jüngste Krise aber in jedem Fall weitreichende Folgen. Hier markiert Afghanistan einen „defining moment“, der irreparablen Schaden angerichtet hat.

Die Partner der USA werden nicht vergessen, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden und Biden seinen Zeitplan zunächst mit niemandem teilte – nachdem man 20 Jahre Seite an Seite in Afghanistan gekämpft hatte. Was bleibt, ist der Eindruck einer dramatischen Fehleinschätzung.

Biden warnt vor möglichen Angriff von Terrorgruppe „ISIS-K“

Jeder westliche Partner, der bislang mit Ehrfurcht auf Geheimdienste und militärische Fähigkeiten der Supermacht USA schaute, muss in Zukunft skeptischer sein. Die Entzauberung, sie findet auch auf internationaler Ebene statt: Dass der Blitzvormarsch der Taliban das Weiße Haus überraschte, ist nach Jahrzehnten der Präsenz vor Ort ein Armutszeugnis. Und dass die US-Regierung bürokratische Hindernisse für afghanische Visa-Anwärter nicht viel früher beseitigte, ist nicht nur Trumps Schuld, sondern auch Bidens.

Das Vertrauen ist erschüttert

Eine Haupterkenntnis des G7-Treffens ist, dass die USA am längeren Hebel sitzen – und im Zweifelsfall für sich und ihre Interessen entscheiden. Dass Washington das Datum des geplanten Truppenabzugs vorerst nicht, wie von Frankreich und Großbritannien gefordert, verschiebt, ist ein gutes Beispiel dafür.

Aktuell können andere Nationen ihre Bürger und afghanischen Helfer nur deshalb evakuieren, weil das US-Militär den Flughafen Kabul sichert. Sobald sich die USA endgültig zurückziehen, könnte neues Chaos ausbrechen. Dann sind die Nato-Partner erneut auf sich allein gestellt.

Unterm Strich ist Washington zwar noch immer der wichtigste Verbündete für Berlin und Brüssel, das werden die USA immer sein. Und nach wie vor war die Abwahl von Donald Trump die bestmögliche Nachricht für die transatlantischen Beziehungen. Aber das Vorgehen der Amerikaner in der Afghanistanfrage hat das Vertrauen in die USA erschüttert.

Der Westen wird nun gemeinsam retten müssen, was zu retten ist: im Sinne einer stabilen Entwicklungshilfe, einer Antiterrorkooperation und eines wie auch immer ausgestalteten Umgangs mit den Taliban. Die Rolle der USA gleicht zunehmend der eines pragmatischen Partners, der mitunter enttäuscht. Im Moment können die Verbündeten Washingtons nicht mehr erwarten.

Mehr: Die USA wollen die Rettungsmission am Kabuler Flughafen nicht mehr lange sichern – trotz Bitten der G7-Partner. Boris Johnson kündigt nun ein Abkommen mit den Taliban an.

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