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Evakuierung Nach dem Afghanistan-Desaster kämpft der Westen beim G7-Gipfel um seine Reputation

In London wollen die Staaten ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren. Voraussausetzung dafür wäre eine Einigung auf eine Verlängerung der US-Truppenpräsenz. Doch Biden zögert – noch.
24.08.2021 - 04:00 Uhr Kommentieren
Der Evakuierungseinsatz der USA ist vorerst bis Ende August befristet. Quelle: ddp/ZUMA
Flughafen in Kabul

Der Evakuierungseinsatz der USA ist vorerst bis Ende August befristet.

(Foto: ddp/ZUMA)

Washington, Düsseldorf, Berlin Jener hoch abgesicherte Raum im Weißen Haus, von dem aus amerikanische Präsidenten ihre kriegerischen Aktivitäten steuern, heißt „Situation Room“. Von hier aus hatte Joe Biden vor zehn Jahren, damals noch Vizepräsident unter Barack Obama, die von US-Spezialkräften ausgeführte Tötung des Al-Qaida -Chefs Osama Bin Laden beobachtet.

Jetzt ist Biden selbst Präsident und „Commander in Chief“ – und hat eine tägliche morgendliche Sitzung im Situation Room angeordnet. Er und sein Sicherheitsteam sehen von dort aus kriegsähnliche Bilder aus Kabul: in Panik fliehende Menschen, die auf dem Flughafen Kabul zu Tode getrampelt werden, westliche Soldaten, die sich Schießereien mit den Taliban liefern.

Nun versuchen die Industriestaaten, vereint im Klub der G7, auf ihrem virtuellen Gipfel in London wenigstens ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Doch bereits im Vorfeld zeichnen sich schwer überwindbare Konflikte ab.

Der britische Premier und G7-Vorsitzende Boris Johnson will Biden dazu bewegen, amerikanische Truppen auch über den 31. August hinaus in Afghanistan zu belassen, um die weitere Evakuierung sicherzustellen. Biden hatte das bislang kategorisch ausgeschlossen. Jetzt sagt er erstmals, die Umstände am Kabuler Flughafen könnten „eine Ausweitung erfordern“. Er hoffe aber, „das wird nicht notwendig sein“, ergänzte der Präsident. Eine klare Mehrheit der US-Bürger begrüßt den Truppenabzug der Amerikaner.

Doch am Montag meldeten sich die Taliban zu Wort – und drohten für den Fall einer längeren westlichen Truppenpräsenz mit Konsequenzen. „Das ist eine rote Linie für uns“, sagte Taliban-Sprecher Suhail Shaheen. Die Taliban hatten die Evakuierungen am Flughafen bislang geduldet.

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Sie gegen den Willen der neuen Machthaber fortzusetzen, würde die Sicherheitslage in Kabul verschärfen. Noch immer warten Tausende Bürger aus westlichen Ländern und Zehntausende afghanische Flüchtlinge auf ihre Ausreise. Ohne Absicherung durch US-Truppen ist eine Evakuierung unmöglich.

Außenminister Maas präsentiert Fünf-Punkte-Plan

Genau diesen riskanten Schritt hat nun der deutsche Außenminister Heiko Maas ins Gespräch gebracht, als er seinen Fünf-Punkte-Plan für eine Bewältigung der Afghanistankrise vorstellte.

Erstens sei man mit der Türkei und den USA, aber auch den Taliban im Gespräch, ob der Flughafen Kabul nach dem 31. August auch zivil weiterbetrieben werden könne, um Menschen auszufliegen, sagte Maas am Montag.

Zweitens spreche man mit den Nachbarstaaten Afghanistans, damit diese Flüchtlinge aufnehmen, die das Land auf dem Landweg verlassen. Dafür habe man 100 Millionen Euro bereitgestellt. Zudem sollten deutsche Botschaften in den Nachbarstaaten Menschen schnell und unkompliziert Visa für eine Einreise nach Deutschland ausstellen.

Viertens werde dort das Personal in den diplomatischen Vertretungen aufgestockt, um einen reibungslosen Ablauf zu ermöglichen. Fünftens werde das Programm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen um weitere zehn Millionen Euro erhöht.

London will Washington davon überzeugen, den Evakuierungseinsatz zu verlängern. Quelle: laif/CAMERA PRESS/ROTA
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson

London will Washington davon überzeugen, den Evakuierungseinsatz zu verlängern.

(Foto: laif/CAMERA PRESS/ROTA)

Die Lage um den Flughafen habe sich in den vergangenen Stunden „weiter chaotisiert“, sagte Maas. „Aus diesem Grund empfehlen wir nicht, sich auf eigene Faust zum Flughafen zu begeben.“ Es sei nicht gewährleistet, dass die Menschen dann auch den inneren Ring des Flughafens betreten könnten.

Das transatlantische Vertrauensverhältnis bröckelt

Wie angespannt die Situation derzeit ist, zeigte sich am Montagmorgen: Am Kabuler Flughafen kam es zu einem Feuergefecht mit unbekannten Angreifern, an dem neben US-amerikanischen auch deutsche Soldaten beteiligt waren. Eine afghanische Sicherheitskraft wurde dabei getötet, drei weitere verletzt.

Weil der Zugang zum Flughafen immer schwieriger wird, sind Bundeswehrsoldaten nun auch außerhalb des massiv gesicherten Geländes im Einsatz, um Menschen in Sicherheit zu bringen. Daran sind übereinstimmenden Berichten zufolge auch Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte beteiligt.

„Es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft zusammenarbeitet, um sichere Evakuierungen zu gewährleisten, eine humanitäre Krise zu verhindern und das afghanische Volk dabei zu unterstützen, die Errungenschaften der letzten 20 Jahre zu sichern“, twitterte Johnson . Der Brite steht innenpolitisch unter Druck, nachdem auch Mitglieder seiner konservativen Partei in den vergangenen Tagen den fluchtartigen Abzug der US-Truppen scharf kritisiert hatten.

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Der frühere britische Premier Tony Blair, der zusammen mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush vor 20 Jahren die Intervention in Afghanistan startete, warf Biden vor, sich von „einem schwachsinnigen politischen Slogan über die Beendigung der ‚ewigen Kriege‘ leiten zu lassen“.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 habe es eine einzigartige Bündnissolidarität gegeben, sagte Lord George Robertson, damaliger Nato-Generalsekretär, auf einer Veranstaltung der Denkfabrik Atlantic Council. „Das Vertrauen wurde durch den Unilateralismus des US-Präsidenten nun zerstört.“

Die „einseitige Rückzugsentscheidung der USA markiert auch das Ende unseres Vertrauens in die Maxime „in together – out together“, sagt auch Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Es stellt sich die Frage, „ob wir denn beim nächsten Nato-Militäreinsatz auf angemessene Konsultation zwischen den USA und europäischen Partnern vertrauen können“.

Neben der Evakuierung wird es beim G7-Treffen auch um den Umgang mit den neuen Machthabern in Kabul gehen. Die Gruppe solle Wirtschaftssanktionen in Erwägung ziehen und Hilfen zurückhalten, falls die Taliban Menschenrechte missachteten oder Terrorgruppen Unterschlupf gewährten, hieß es aus Regierungskreisen in London.

Bislang zögert der US-Präsident noch, den Evakuierungseinsatz zu verlängern. Quelle: Reuters
Joe Biden

Bislang zögert der US-Präsident noch, den Evakuierungseinsatz zu verlängern.

(Foto: Reuters)

Die USA betrachten die Taliban schon seit Langem als Terrororganisation und haben die Gotteskrieger mit Sanktionen belegt. Sollten diese jetzt auf Afghanistan ausgeweitet werden, müssen auch westliche Unternehmen und Banken mit Strafen rechnen, wenn sie mit afghanischen Regierungsstellen weiter Geschäfte machen.

Die beiden amerikanischen Zahlungsdienstleister Western Union und Money Gram International haben ihre Aktivitäten in Afghanistan deshalb gestoppt. Auf die Frage, ob er Großbritanniens Vorstoß für Sanktionen unterstützen würde, wenn die Taliban Übergriffe begehen, sagte Biden: „Die Antwort ist Ja. Es kommt auf das Verhalten an.“

China und Russland sollen eingebunden werden

Parallel zu den Bemühungen der G7 arbeiten Briten und Franzosen auch an einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UN) zur Lage in Afghanistan. Ein Treffen der ständigen Mitglieder USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien wird noch in dieser Woche erwartet.

Der britische Außenminister Dominic Raab hatte sich am Wochenende dafür ausgesprochen, auch „Länder mit einem potenziell mäßigenden Einfluss wie Russland und China“ mit einzubeziehen, so unbequem das auch sein mag.

Noch völlig unklar ist hingegen, welche Lehren die G7-Länder langfristig aus dem Scheitern des Westens in Afghanistan ziehen wollen. „Der Club der G7-Staaten sollte seine Werte-Monstranz etwas tiefer hängen und sich realpolitischen Fragen stellen“, forderte Josef Braml, Amerika-Experte an der Universität Bonn.

Um eine weitere Destabilisierung der für Europa sicherheitsrelevanten Nachbarschaft zu verhindern, sei es ratsam, sich vor allem auch mit Russland und China ins Benehmen zu setzen. „Nach der militärischen Bankrotterklärung der westlichen Staaten könnten nun finanzielle Anreize besser helfen, das Leid der Menschen vor Ort zu lindern, Flüchtlingsströmen vorzubeugen sowie absehbaren Sicherheitsgefährdungen durch Drogenanbau und Terrorismus zu begegnen“, sagte Braml.

Druck auf Biden zur Verlängerung der Abzugsfrist wächst

Präsident Biden bekräftigte im Vorfeld des G7-Gipfels in London erneut, dass er mit dem Truppenabzug „die absolut richtige Entscheidung getroffen“ habe. „Die Geschichte wird zeigen, dass es der logische und rationale Schritt war.“ Allerdings betonte er auch, dass der „gemeinsame Ansatz“ mit internationalen Partnern unverzichtbar sei.

Ob es diesen gemeinsamen Ansatz überhaupt noch gibt und ob das Bündnis der westlichen Industriestaaten, das ohnehin an Bedeutung verloren hat, überhaupt noch einen Daseinszweck besitzt, das wird nicht zuletzt dieses G7-Treffen zeigen – noch vor 20 Jahren repräsentierten die G7-Länder zwei Drittel der Weltwirtschaft. Heute sind es nur noch 45 Prozent.

Mehr: Forscher der Bundeswehr-Uni: „Wir haben in Afghanistan eine korrupte Klasse gefüttert“

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