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US-Präsident Joe Biden verspricht: „Wir bringen Sie nach Hause“ – doch das Afghanistan-Desaster schadet ihm

Die Afghanistan-Krise bereitet US-Präsident Joe Biden auch innenpolitisch Probleme. Zum ersten Mal seit Amtsantritt fallen seine Zustimmungswerte unter 50 Prozent.  
20.08.2021 - 23:23 Uhr Kommentieren
Die Afghanistan-Krise stellt den US-Präsidenten vor große Herausforderungen. Quelle: AP
Joe Biden

Die Afghanistan-Krise stellt den US-Präsidenten vor große Herausforderungen.

(Foto: AP)

Washington Am Ende seiner bislang schwersten Woche im Amt wirkte der US-Präsident stolz und selbstgewiss. Die Evakuierungsmission aus Afghanistan sei „die größte, die schwierigste Luftbrücke“ in der Geschichte, erklärte Joe Biden. „Und das einzige Land, das zu dieser Höchstleistung fähig ist, sind die USA“. In seiner zweiten Ansprache zur Afghanistan-Krise versprach der US-Präsident allen Amerikanern, die festsitzen: „Wir bringen Sie nach Hause. Als Oberbefehlshaber kann ich Ihnen versichern, dass ich alle Ressourcen mobilisieren werde“.

Fünf Tage nach dem Sturm der Taliban auf die afghanische Hauptstadt Kabul geht Biden in die Offensive: Washington hat Geldströme an die Taliban blockiert und für Donnerstag einen virtuellen G7-Gipfel anberaumt. Binnen Tagen wurden 13.000 US-Bürger und afghanische Helfer von Militärjets ausgeflogen, dazu einige Tausend mehr in Chartermaschinen. Die US-Armee hat den Flughafen Kabul für den Moment gesichert, rund 6000 US-Soldaten werden auch nach dem offiziellen Abzugsdatum am 31. August im Krisengebiet verbleiben. „Wir haben jetzt eine Aufgabe: Den Abzug zu Ende zu bringen“, betonte Biden am Freitag. 

Der Präsident muss Entschlossenheit demonstrieren, denn er erlebt die erste große Krise in der Außenpolitik. Schnell hat sie sich zu einer innenpolitischen Krise entwickelt, denn Biden wird aus allen Lagern angegriffen, von Demokraten und der republikanischen Opposition gleichermaßen.

Es ist schwer vorherzusagen, wie sich Afghanistan langfristig auf den Erfolg seiner Regierung auswirkt. Schließlich spielt Außenpolitik im US-Wahlkampf oft eine untergeordnete Rolle, dazu erfüllte Biden mit dem Truppenabzug den Wunsch von zwei Drittel der US-Bevölkerung. Doch der kurz- und mittelfristige Effekt des Afghanistan-Desasters ist verheerend. Zum ersten Mal seit Amtsantritt sind Bidens Zustimmungswerte unter 50 Prozent gefallen. 

Bidens Botschaft des Neustarts hat sich abgenutzt

Laut Brian Gardner, politischer Chefstratege beim Investmentbanking-Unternehmen Stifel, enttäuscht Biden gerade viele Menschen – besonders „Wechselwähler, die 2020 Donald Trump ablehnten und sich für Werte wie Normalität und Kompetenz entschieden haben“. Diese Wähler werden „vom Chaos im Ausland, von der Situation an der Grenze zu Mexiko und von innenpolitischen Querelen abgeschreckt“, so Gardner. Schaffe es Biden nicht, sie wieder von sich zu überzeugen, hätten es die Demokraten schwer, ihre Kongressmehrheit bei den Zwischenwahlen 2022 zu verteidigen. 

Die Analyse-Website FiveThirtyEight erklärte, es sei noch zu früh, um die Auswirkungen der Afghanistan-Krise zu erfassen. Doch eines sei klar: Biden sei schon vor dem Vormarsch der Taliban „angeschlagen“ gewesen, seine Botschaft des Neustarts habe sich abgenutzt. Wie lange etwa der Wirtschaftsboom anhält, ist angesichts der vierten Corona-Welle ungewiss. Landesweit füllen sich die Krankenhäuser, selbst Kinder landen inzwischen auf den Intensivstationen. Inflation und steigende Preise sorgen für Verunsicherung. Noch dazu ist unklar, ob sich der US-Kongress im Herbst, wie von Biden versprochen, auf ein rund eine Billion schweres Infrastrukturpaket einigen kann

In dieser Gemengelage scheint Afghanistan wie ein Brandbeschleuniger zu wirken. Von der Welle der Kritik, die Biden in den vergangenen Tagen entgegenschlug, ließ sich der Präsident am Freitag trotzdem kaum etwas anmerken. Er trat im üppig verzierten East Room des Weißen Hauses auf und stützte beide Hände aufs Rednerpult, den Blick fest in die Kameras gerichtet. Flankiert wurde er von Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken, beide in schwarzer Maske, beinahe regungslos.

Biden ging sogar soweit, zu behaupten, dass westliche Verbündete vom überstürzten Rückzug aus Afghanistan nicht irritiert seien. „Niemand stellt unsere Glaubwürdigkeit in Frage. Ganz im Gegenteil“, sagte Biden, der in den vergangenen Tagen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Großbritanniens Premier Boris Johnson und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefonierte.  

Und doch will die Entschlossenheit im Weißen Haus kaum zusammenpassen mit der erschütternden Realität. Bilder von Menschen, die sich an startende Militärjets klammern und in den Tod stürzen, haben sich eingebrannt. Zuletzt ging eine Szene um die Welt, in der afghanische Eltern ihren Säugling über einen Stacheldrahtzaun in die Hände amerikanischer Soldaten reichten, in der Hoffnung auf Rettung. Dazu kommen Berichte, dass noch immer Tausende US-Bürger nicht zum Flughafen gelangen, und dass Taliban Jagd auf afghanische Helfer machen, die dem Westen als Dolmetscher, Haushaltskräfte oder Vermittler dienten. 

Das Weiße Haus machte viele Fehler

Das Weiße Haus leistete sich nicht nur strategische Fehler in Afghanistan, sondern auch in den USA selbst. So verbrachte Biden die ersten Tage nach dem Fall Kabuls in Camp David, dem präsidialen Landsitz. Fragen von Journalisten beantwortete er lange keine, was ihn noch verwundbarer machte. „Biden setzt mal wieder auf Bunker-Strategie“, lästerte der rechtskonservative Sender Fox. „Es ist wie im Wahlkampf 2020, als er am liebsten in seinen vier Wänden hockte“.

Und selbst Biden-Sympathisanten, so hörte man in Washington, vermissten Mitgefühl von einem Präsidenten, der sonst bei jeder Gelegenheit Empathie zeigt. Am Freitag lieferte Biden schließlich einige Worte des Beileids nach. „Die vergangene Woche war herzzerreißend. Niemand kann die Bilder aus Kabul sehen und keine Schmerzen empfinden.“

Für Biden geht es jetzt auch um eines seiner wichtigsten Attribute: Glaubwürdigkeit. „Präsidenten werden nicht nur nach ihren Entscheidungen beurteilt, sondern auch danach, wie sie diese Entscheidungen umsetzen“, sagte Leon Panetta, ehemaliger US-Verteidigungsminister und CIA-Chef, dem „Wall Street Journal“. Panetta zweifelt am Narrativ des Weißen Hauses, das Chaos beim Abzug der US-Truppen sei unvermeidbar gewesen. In den vergangenen Tagen hatte sich eine Reihe von Geheimdienstmitarbeitern in US-Medien zu Wort gemeldet, die erklärten: es habe durchaus Warnungen an das Weiße Haus gegeben, sie wurden nur nicht gehört.

Die Nachrichtenagentur AP berichtete, amerikanische Diplomaten in Kabul hätten Washington schon vor Wochen dazu gedrängt, mit den Evakuierungen zu beginnen – ohne Erfolg. Und auch wenn die Amerikaner inzwischen einen Rettungsflug nach dem nächsten nach Kabul schicken, bleibt der Eindruck von Überforderung: Noch immer kann die US-Regierung nicht genau beziffern, wie viele Menschen mit Anspruch auf Evakuierung sich überhaupt noch im Land befinden.  

Zumindest in naher Zukunft dürfte Biden die Afghanistan-Krise nicht abschütteln können. Die Terroranschläge vom 11. September, Auslöser für den Afghanistan-Krieg, jähren sich im September zum 20. Mal. Demnächst kommt der US-Kongress aus der Sommerpause, dann werden mehrere Ausschüsse die Rolle der Geheimdienste und mögliche Versäumnisse der Biden-Regierung untersuchen.

Dabei hatten Bidens Demokraten bis vor Kurzem eigentlich nur eines im Blick: Billionen für Infrastruktur, Klimaschutz und Sozialreformen auf den Weg zu bringen. Laut Experte Gardner wird der Druck nun noch mehr steigen, dass eines oder mehrere Pakete verabschiedet werden. „Die Demokraten brauchen mehr denn je einen Sieg“. 

In der Außenwirkung scheint das Weiße Haus inzwischen darauf bedacht, dass Biden Präsenz in Washington zeigt. Eigentlich wollte der Präsident am Wochenende in sein Zuhause nach Delaware zurückkehren, gefolgt von einem Strandurlaub. Beide Reisen wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.  

Mehr: Die Zwei-Klassen-Rettung - der Westen betreibt Schadensbegrenzung in Afghanistan

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