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Analyse Für Joe Biden geht es nach der Zustimmung des Senats zum Infrastrukturpaket um alles

Die Reform des US-Präsidenten hat eine entscheidende Hürde im Kongress genommen. Die Demokraten peilen schon das nächste Billionenpaket an. Am Ende könnten sie aber mit leeren Händen dastehen.
10.08.2021 - 19:06 Uhr Kommentieren
Der US-Präsident braucht die Unterstützung der Opposition. Quelle: dpa
Joe Biden

Der US-Präsident braucht die Unterstützung der Opposition.

(Foto: dpa)

Washington Von „historischen Investitionen“ sprach Joe Biden, kurz nachdem seine wohl wichtigste Reform eine entscheidende Hürde im US-Kongress genommen hatte. Der US-Präsident feierte den Durchbruch für ein 1,2 Billionen schweres Infrastrukturpaket, das Amerikas Straßen, Brücken, Wassersysteme, Breitband und Stromnetze sanieren soll.

Nach monatelangem Ringen entschied der US-Senat, eine von zwei Kammern des Kongresses, am Dienstag über die Reform. 69 Senatoren stimmten mit Ja, 30 stimmten mit Nein – die Mehrheit im hundertköpfigen Senat war damit stabil.

Das Paket war im Kompromiss mit der republikanischen Opposition entstanden, insgesamt 19 Republikaner stimmten gemeinsam mit den Demokraten. Der Schulterschluss setzte ein überparteiliches Zeichen, das selten geworden ist in Washington. Und sollte das Paket im September final vom gesamten US-Kongress verabschiedet werden, handelt es sich um die erste große Infrastrukturreform seit über 50 Jahren. 

Biden ist seinem Ziel, nach eineinhalb Jahren Pandemie den wirtschaftlichen Neustart zu gestalten, einen Schritt näher gekommen. Im März hatte der Kongress bereits ein knapp zwei Billionen Dollar teures Covid-Programm beschlossen, das Infrastrukturpaket soll nun ein Fundament für langfristige Investitionen liefern. Doch bis aus dem rund 2000 Seiten dicken Entwurf ein Gesetz wird, das Biden unterschreiben kann, ist es noch ein weiter Weg.

„Die nächsten Wochen werden einfach nur irre“

Denn die Demokraten im Kongress wollen eine zusätzliche Mega-Reform in Höhe von 3,5 Billionen durchdrücken – und zwar im Alleingang, ohne die Republikaner, ohne Kompromisse. Nur dann, droht der linke Flügel im Repräsentantenhaus, der zweiten Kongresskammer, werde man der Infrastrukturreform überhaupt zustimmen.

Schon jetzt haben Unternehmen aller Branchen mehr als 2000 Lobbyisten auf die Infrastrukturgespräche angesetzt, schreibt die „Washington Post“. Das Ringen um weitere Investitionen in Sozialreformen und Klimaschutz dürfte noch mehr Interessengruppen auf den Plan rufen. „Die nächsten Wochen werden einfach nur irre“, kommentierte das Magazin „Politico“. 

Um den Kampf um die Billionen zu verstehen, lohnt ein Blick auf die einzelnen Schritte, die jetzt bevorstehen. Grundsätzlich muss das 1,2 Billionen Dollar teure Infrastrukturpaket von beiden Kammern des Kongresses beschlossen werden – das Votum im Senat am Dienstag ist eine wichtige Hürde, aber es reicht nicht für ein Gesetz. Immerhin konnte Biden aber ein Dutzend Republikaner im Senat für sich gewinnen. Der Kongress, gespalten in extrem knappe Mehrheiten, scheint nicht komplett blockiert, wie es unter Donald Trump häufig der Fall war. 

Einen spürbaren Push für die Wirtschaft erwarten Ökonomen zwar nicht. Denn verglichen mit fast sechs Billionen US-Dollar Covid-Nothilfen, die 2020 und 2021 bewilligt wurden, ist das Infrastrukturpaket kleiner. Dafür sollen die Investitionen länger wirken, über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren.

  • Bei rund der Hälfte des Pakets handelt es sich um komplett neue Investitionen, der Rest würde aus bereits bewilligten Mitteln umgeschichtet. Für die Finanzierung wurden verschiedene Einnahmequellen ausgelotet, unter anderem über Krypto-Regulierung. Dennoch, schätzen Experten im Kongress, würde das Defizit durch die Reform binnen zehn Jahren um 256 Milliarden Dollar steigen. 
  • Das Geld ist für Straßen, Brücken, öffentlichen Nahverkehr, Breitband oder Ladestationen für E-Autos vorgesehen. Alte Wasserleitungen sollen von Blei befreit, Häfen modernisiert, Stromnetze stabilisiert werden. Dazu gibt es Investitionen in sauberen Wasserstoff oder die Entgiftung von Flüssen, Quellen, alter Ölquellen und Minen. Auch Kernreaktoren werden gefördert, die – anders als in Deutschland – Teil des Energiemixes bleiben sollen. 
  • Kleine und große Unternehmen in fast allen Regionen der USA könnten vom Paket profitieren: An der Westküste sind Mittel für die San Francisco Bay vorgesehen, im Herzen der USA sollen die Great Lakes instand gehalten werden, an der Atlantikküste sind neue Verkehrswege für die Chesapeake-Bucht geplant. „Wir retten nicht nur unsere bröckelnde Infrastruktur, sondern auch unsere Wettbewerbsfähigkeit“, lobte die Chamber of Commerce, die größte Lobbygruppe der USA. 

Der Plan der Demokraten, zusätzliche 3,5 Billionen durchzusetzen, ist ein Wagnis. Der Chef-Demokrat im Senat, Chuck Schumer, will noch in dieser Woche den Verfahrensweg frei machen, damit nach der Sommerpause im September über das zweite Megapaket abgestimmt werden kann. Und die Demokraten-Chefin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, stellte klar: Sie werde die Abstimmung über das Infrastrukturpaket so lange von der Tagesordnung fernhalten, bis der Senat beide Pakete abgesegnet hat. 

So wollen die Demokraten noch mehr Billionen durchsetzen

Genau an diesem Punkt beginnt das politische Risiko – für die Demokraten und für Bidens Präsidentschaft. Denn das Infrastrukturpaket allein hat zwar eine bequeme Mehrheit im Senat, wie am Dienstag bewiesen wurde. Doch das 3,5-Billionen-Paket wird von der Opposition als „linke Fantasterei“ gebrandmarkt: Es enthält eine ganze Palette demokratischer Ziele, von Mutterschutz und bezahlbarer Kinderbetreuung über massive Investitionen in grüne Energien bis hin zu Sozial- und Gesundheitsreformen. Dafür zahlen sollen Unternehmen und Privatvermögende über höhere Steuern. Dass sich Republikaner dem Paket anschließen, ist so gut wie ausgeschlossen. 

Doch können die Demokraten wirklich auf eigene Faust weiterkommen? Theoretisch ist eine Solo-Abstimmung möglich, durch die Verfahrensregel der sogenannten „budget reconciliation“. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein mächtiges Instrument, mit dessen Hilfe Ex-Präsident Barack Obama 2010 seine Gesundheitsreform durchsetzte und Ex-Präsident Donald Trump 2017 seine Steuerreform. Biden selbst nutzte es für das Covid-Hilfspaket im März.

Die Regel ermöglicht es, bestimmte Haushaltsgesetze im hundertköpfigen Senat mit einfacher Mehrheit zu beschließen, anstatt mit 60 Stimmen, die die meisten Gesetze erfordern. Aktuell halten die Demokraten 50 Sitze. Die zusätzliche Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris bringt sie bei Bedarf über die Zielmarke von 51 Stimmen – allerdings nur dann, wenn die Reihen geschlossen bleiben. Im Repräsentantenhaus kann sich die Partei nicht mehr als drei Abweichler leisten. 

Laut, jung, weiblich: Die Macht linker Aktivistinnen

Anders als bei den Covid-Nothilfen im März kann Biden beim geplanten 3,5-Billionen-Paket aber wohl nicht auf vollständigen Rückhalt bauen. Moderate demokratische Senatoren wie Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona lehnen hohe Steuern oder eine radikale Energiewende eher ab. Ihre Stimmen sind aber zwingend notwendig, wenn das Megapaket im Senat eine Chance haben soll.

Im Repräsentantenhaus wiederum spielt die linke Flanke ihre Macht aus, angefeuert von einer Clique junger Frauen um die Demokratin Alexandra Ocasio-Cortez. Sie habe „mehr als genug“ Stimmen zusammen, um das Infrastrukturpaket blockieren zu können, drohte die Abgeordnete aus New York. Und ihre Vertraute Cori Bush kündigte an: „Wir sind Aktivisten. Die Dinge laufen ab jetzt anders, als die Leute es gewohnt sind.“ Bush hatte kürzlich vier Nächte lang auf den Stufen des Kapitols campiert, um auf Zwangsräumungen in der Pandemie aufmerksam zu machen. Am Ende gab die Biden-Regierung dem Druck nach und verlängerte ein Moratorium für von Räumung bedrohte Mieter.

Raufen sich die Demokraten nicht zusammen, könnte sowohl das Infrastrukturpaket als auch das 3,5-Billionen-Paket im Kongress stecken bleiben. Dann stünden der Präsident und die Demokraten am Ende mit leeren Händen da. Die Zeit für neue Anläufe wird knapp: Bereits im kommenden Jahr könnten die Demokraten ihre hauchdünne Mehrheit im Kongress verlieren, dann stehen die wichtigen Kongresswahlen an. 

Bis Mitte September sollen die Ausschüsse im Kongress konkrete Vorschläge, erarbeiten, dann geht das Ringen um die Billionen in die nächste Runde. Zumindest im Moment scheint es, als ob es noch viel Potenzial für Streit gibt. „Viel Glück bei der Sabotage von Kinderbetreuung und Klimaschutz“, twitterte Ocasio-Cortez an die Zentristen ihrer Partei gerichtet. Die Moderate Sinema machte klar, dass sie sich vom linken Flügel nicht in die Ecke drängen lassen werde. „Politische Schlachten um alles oder nichts enden meist im Nichts“, schrieb sie. 

Mehr: Wie zwei Bundesstaaten die Delta-Zahlen in den USA hochtreiben

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