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KommentarEntwickelt sich Deutschland zum kranken Mann Europas?

Lehrermangel, marode Infrastruktur, Investitionsschwäche: Das Problem ist nicht Deutschlands aktuelle wirtschaftliche Schwäche.Frank Specht 20.09.2023 - 12:18 Uhr
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Die durch Lehrermangel und Unterfinanzierung ausgelöste Bildungsmisere verschlechtert die Zukunftsaussichten Deutschlands.

Foto: dpa

Viele Schüler sind nach der Rückkehr aus den Ferien gleich wieder mit der harten deutschen Bildungsrealität konfrontiert worden – Unterrichtsausfall. Für einige mag das eine willkommene Verlängerung der Sommerferien gewesen sein. Doch in Wahrheit werden schwächere Schüler durch den verbreiteten Lehrermangel und die Unterfinanzierung des Schulsystems ihrer Bildungschancen beraubt.

Es ist ein Armutszeugnis für die (noch) größte Volkswirtschaft Europas und selbsternannte „Bildungsrepublik“, dass jedes Jahr 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen und 2,6 Millionen junge Erwachsene keine Berufsausbildung haben.

Die Bildungsmisere ist nur ein Beispiel, wie zukunftsvergessen Deutschland agiert und seinen Wohlstand leichtfertig zu verspielen droht. Ein zweites ist die Infrastruktur. Nur wo sie funktioniert, kann eine Volkswirtschaft prosperieren.

Wer aber im Stau vor der maroden Autobahnbrücke steht oder am Bahnsteig auf den verspäteten ICE oder im Mobilfunkloch auf den Datendownload wartet, der kann den Stillstand in Deutschland gut am eigenen Leib erfahren.

Ohne Investitionen kann kein Morgen gebaut werden

Nicht viel besser sieht es bei den Investitionen aus. Wirtschaftliche Erfolge von morgen erfordern heute den Mut und die Bereitschaft, auch Geld dafür in die Hand zu nehmen. Doch Überregulierung, hohe Steuern und Energiepreise sowie der Fachkräftemangel lähmen die Investitionstätigkeit der Unternehmen, ohne die kein Morgen gebaut werden kann.

Erfolgreich kann eine Wirtschaftsnation auch nur sein, wenn sie sich immer wieder neu erfindet, wenn Überkommenes dem Neuen Platz macht. Doch während sich die Firmenpleiten häufen, nähert sich die Zahl der Neugründungen ihrem Allzeittief. Wo aber Mutlosigkeit regiert, kann nichts Innovatives entstehen.

>> Lesen Sie hier: Zu viel Unsicherheit, zu wenig Personal: Chemie- und Pharmafirmen bremsen bei Forschung in Deutschland

Zukunftsvergessenheit spricht auch aus dem Entwurf für den Bundeshaushalt. Der Etat des Arbeitsministers, aus dem vor allem die Renten finanziert werden, wächst, während die Forschungsministerin im Vergleich zur ursprünglichen Finanzplanung nächstes Jahr mit weniger Geld auskommen muss.

Und das, obwohl das Europäische Patentamt im vergangenen Jahr so wenige Patentanmeldungen aus Deutschland registriert hat wie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr. Hinzu kommt, dass die Regierung mit schuldenfinanzierten Schattenhaushalten künftigen Generationen weniger Gestaltungsmöglichkeiten lässt, weil Zins und Tilgung der Schulden ihren finanziellen Spielraum einengen.

Die Selbstheilungskräfte der Volkswirtschaft werden immer schwächer

Selbst um die einstige Schlüsselbranche für den industriellen Wohlstand ist es schlecht bestellt. Während in Deutschland noch über Technologieoffenheit und die Förderung von ineffizienten E-Fuels diskutiert wird, präsentieren chinesische Hersteller auf der Münchner Automesse Dutzende neue Elektrofahrzeuge, die die behäbig gewordenen deutschen Produzenten alt aussehen lassen. Zu langes Festhalten an Althergebrachtem kann den schleichenden Tod bedeuten.

Momentan ist wieder viel von Deutschland als dem kranken Mann Europas die Rede. Dass die Bundesrepublik unter den Industrieländern bei den Wachstumserwartungen ganz am Ende rangiert, ist dabei aber nicht das Schlimmste. Eine vorübergehende Schwäche kann das Land aushalten.

Zu denken geben muss vielmehr, dass Deutschland viel zu wenig dafür tut, zukünftiges Wachstum zu ermöglichen. Bund, Länder und Teile der Wirtschaft verspielen leichtfertig die Zukunftsaussichten Deutschlands.

Die Selbstheilungskräfte, die eine soziale Marktwirtschaft aus der Krise ziehen können, werden immer schwächer. Dazu gehören gute Bildung, eine funktionierende Infrastruktur, ein Umfeld, das Investitionen und Innovationen fördert, und das Hinterfragen althergebrachter Geschäftsmodelle.

Verwandte Themen Deutschland Wirtschaftspolitik Konjunktur Industriepolitik

Diese Selbstheilungskräfte gilt es mit vereinten Kräften rasch wieder zu stärken. Sonst droht Deutschland wirklich bald zum kranken Mann Europas zu werden – und lange zu bleiben.

Mehr: Le Maire fordert von Deutschland andere Prioritäten in der Wirtschaftspolitik

Erstpublikation: 17.09.2023, 11:25 Uhr.

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