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KommentarDie deutsche Wirtschaft muss sich auf eine Entkopplung von China einstellen

Das befürchtete „Decoupling“ wird Realität, zumindest in strategisch wichtigen Bereichen. Jedoch nicht, weil die USA dies verlangen, sondern weil China darauf hinarbeitet.Moritz Koch 12.07.2021 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Deutsche Unternehmen haben von Chinas Einbindung in die Globalisierung stark profitiert, daher sind sie nun besonders bedroht.

Foto: Reuters

Brüssel. Wieder geht es um Menschenrechtsverstöße und Hightech-Überwachung in der Uiguren-Provinz Xinjiang: Die USA haben neue Sanktionen gegen China verhängt. 14 Unternehmen und Organisationen sind betroffen, schon im Juni hatten die Amerikaner fünf chinesische Firmen gelistet.

Meldungssplitter wie diese fügen sich in ein Weltbild, das gerade in Deutschland gepflegt wird, ein Weltbild, in dem Gut und Böse ziemlich klar verteilt sind. Auf der einen Seite gibt es darin kalte Krieger, die aus ihren Machtzentren in Washington und in Peking Frieden und Wohlstand bedrohen. Auf der anderen Seite gibt es die Europäer, die weise die Lehren der Ostpolitik verinnerlicht haben, Dialog und Diplomatie hochhalten.

Stellvertretend für große Teile der Bundespolitik hat Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ gerade rhetorisch gefragt: „Alle diplomatischen Beziehungen abbrechen und alle Arten des Handels zu verbieten – wäre das klug?“ Die Antwort erübrigt sich natürlich, die Frage allerdings auch. 

Niemand verlangt von Deutschland, die diplomatischen Beziehungen zu China zu kappen. Niemand fordert die deutsche Wirtschaft auf, den Handel mit China einzustellen. Was man aber erwarten darf, ist, dass sich die deutsche Außenpolitik an der Realität ausrichtet.

Es ist Zeit, mit der Legende des „Decoupling“ aufzuräumen, die Laschet bedient. Sie hat, wie die meisten Legenden, einen wahren Kern, aber nicht mehr. Sie zeichnet ein Zerrbild von der internationalen Lage, in der sich Europa befindet. Der Legende nach verfolgen die USA das Ziel, Europa zum Abbruch der ökonomischen Verbindungen zu China zu zwingen.

Zu Zeiten der Regierung von Donald Trump wurde eine solche Politik diskutiert, das ist der wahre Kern. Doch spätestens mit dem Amtsantritt der neuen US-Führung wurden die Planspiele für eine erzwungene Entkopplung verworfen. Präsident Joe Biden hat seine Außenpolitik darauf ausgerichtet, die Europäer als Partner zu gewinnen, nicht als Untergebene herumzukommandieren.

Decoupling-Legende wendet Blick in die falsche Richtung

Die Decoupling-Legende konstruiert einen Gegensatz zwischen Europa und den USA, der in der suggerierten Schärfe nicht existiert. Schlimmer noch: Sie wendet den Blick in die falsche Richtung. Die Entkopplungsschritte, die für die deutsche Wirtschaft am gefährlichsten sind, unternehmen nicht die Amerikaner, sondern die Chinesen selbst. 

Die Wirtschaftsplaner in Peking trachten danach, Fortschrittlichkeit mit Autarkie zu verbinden: so viel Handel wie nötig, so viel Abschottung wie möglich. Die Industriestrategie China 2025 ist darauf ausgerichtet, die Volksrepublik zum Marktführer in Schlüsselbranchen zu verwandeln und Importe überflüssig zu machen – insbesondere dort, wo die deutsche Industrie bisher noch führend ist: im Maschinenbau zum Beispiel

Auf dem Weg dahin ist dem Regime fast jedes Mittel recht, Hackerangriffe, der systematische Diebstahl geistigen Eigentums, Wettbewerbsverzerrung durch subventionsgedopte Staatskonzerne. Die Nachricht, dass China im vergangenen Jahr zum weltweit wichtigsten Lieferland für Maschinen und Anlagen aufgestiegen ist, muss ein Weckruf für Deutschland sein.

Auch das Vorgehen der chinesischen Behörden gegen den Fahrdienstservice Didi ist Ausdruck der chinesischen Entkopplungspolitik. Das Unternehmen war eine Erfolgsstory, bis es in New York an die Börse ging und damit den Zorn des Regimes auf sich zog. Mit der Anweisung an App-Stores, alle Angebote von Didi aus dem digitalen Sortiment zu nehmen, unterstreichen Chinas Machthaber ihre Willkür, vor allem aber ihre Entschlossenheit. Worum es ihnen geht, stellten sie mit der Ankündigung klar, die Regeln für Börsengänge im Ausland zu verschärfen. Das Ziel ist es, die heimische Wirtschaft vom westlichen Finanzmarkt abzutrennen, so wie das chinesische Internet schon heute abgeschottet ist. Das ist sie, die Degobalisierung mit chinesischen Eigenschaften.

Peking erhebt Ansprüche auf außenpolitische Einflusszonen

Die nächste Bundesregierung muss darauf eine Antwort geben, die jetzige hat es versäumt. Deutsche Unternehmen haben von Chinas Einbindung in die Globalisierung stark profitiert, daher sind sie nun besonders bedroht. Gefragt ist eine Strategie, die Deutschland auf eine Entkopplung in wichtigen Wirtschaftsbereichen vorbereitet. Nicht weil die USA dies verlangen, sondern weil die Chinesen darauf hinarbeiten.

Es ist offenkundig, dass sich das chinesische Regime nicht mehr damit zufriedengibt, den Wohlstand der eigenen Bevölkerung zu mehren. Peking erhebt Ansprüche auf außenpolitische Einflusszonen – und gerät so in einen Hegemonialkonflikt mit den USA.

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Die Frage, wie sich Deutschland, wie sich Europa in dieser Konfrontation positioniert, ist die entscheidende der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Sie erfordert ernsthafte Debatten. Wer stattdessen Legenden fortspinnt, weckt Zweifel an seiner Eignung, das Land in schweren Zeiten zu führen.

Mehr: Nach Schlag gegen Didi: China verschärft Regeln für Auslandsbörsengänge seiner Tech-Konzerne

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