Kommentar: Die Grünen müssen entscheiden, wer sie sein wollen


Es klingt wie eine historische Zäsur. Die Grünen haben bei ihrem Parteitag am Sonntag Annalena Baerbock und Robert Habeck gedankt – und, wenn man ehrlich ist, verabschiedet. Beide wollen keine führende Rolle mehr spielen. In den vergangenen Jahren haben Baerbock und Habeck als Parteichefs und Minister die Grünen so sehr geprägt wie nur wenige in der Historie. Doch dass die Zäsur über die Personen hinausgeht, davon kann bislang keine Rede sein.
Dabei haben die Grünen gar keine Alternative, nach der Wahlschlappe müssen sie sich in der Opposition neu erfinden. Das ist keine leichte Aufgabe, klar, aber die Grünen scheinen sie bislang noch gar nicht richtig angenommen zu haben.
Nicht dass sie nicht wollten. Den Parteitag am Sonntag hat die Parteispitze extra zur Aufarbeitung der Wahl einberufen. Doch der elfseitige Leitantrag des Bundesvorstands atmet den Geist des Vergangenen. Er ist ein Sammelsurium aller Positionen, die man von den Grünen so kennt. Sie wollen weiterhin alles sein: Bündnispartei, Klimapartei, Volkspartei, Sozialpartei.
Natürlich: Die Grünen können nicht einfach nur weiter nach links oder nach rechts rücken. Das gibt schon die Konstellation im Bundestag nicht her, eingeklemmt zwischen Linkspartei, schwarz-roter Koalition und großer AfD.
Vielleicht wäre es deswegen eine kluge Option, wenn die Grünen wieder grüner würden. Das heißt, wieder klarstellen und sagen, was sie eigentlich wollen. Beim Klimaschutz, in der Sozialpolitik, in der Migrationspolitik. Bei der Wahl haben die Leute Gründe gefunden, die Grünen nicht zu wählen. Das wird so bleiben, der Zeitgeist wird sich nicht von jetzt auf gleich drehen. Die Grünen haben es aber versäumt, den Leuten Gründe zu geben, sie zu wählen.
Grüne haben keine Positionen, nur Korridore
Die Folgen ihrer basisdemokratischen Organisation werden bei den Grünen immer präsenter. Auf Parteitagen werden in Nachtsitzungen bei jedem noch so kleinen Punkt Formelkompromisse zwischen den verschiedenen Lagern geschlossen. Daraus folgt, dass die Grünen oft keine Positionen haben, sondern Positionskorridore – und die bieten genug Raum, dass potenzielle Wähler sich verlaufen, also ihr Kreuz nicht bei den Grünen machen.





Die Spitzen von Partei und Fraktion müssen deshalb jetzt ein strategisches Zentrum bilden, erst recht nach den Abgängen von Habeck und Baerbock. Es drängt sich niemand als neuer Star der Partei auf. Die Grünen haben keine Wahl, sie müssen mehr Inhalte- und weniger Personenpartei sein – ohnehin hat Letzteres ja auch nicht funktioniert.
Eine Inhaltepartei muss sich umso mehr durch Klarheit auszeichnen. Die Parteispitze will auch an der Parteistrukturen etwas ändern. Dabei wird sie den basisdemokratischen Gedanken nicht abschaffen können, das soll auch gar nicht das Ziel sein und wäre auch nicht sinnvoll. Aber die Spitze muss strategisch stärker führen, klarer vorgeben, welche Position nun sinnvoll ist. Und nicht wie jetzt beim Parteitag nur einen strategischen Korridor darlegen.
Mehr: Habeck hat alles auf eine Karte gesetzt – und verloren






