Kommentar: Die Lehrer müssen einsehen, dass in der Krise ein Extrabeitrag notwendig ist

Die Lehrerverbände wollen wieder mehr Hybridunterricht – also abwechselnd Distanz- und Präsenzunterricht.
Noch vor wenigen Wochen war sich die Republik einig: Schulen müssen so lange wie möglich offen bleiben. Auch deshalb haben Bund und Länder entschieden, Restaurants, Kneipen und Kultureinrichtungen flächendeckend zu schließen. Nicht weil das Virus dort überall so viel stärker wütet, sondern um die Gesamtzahl der Kontakte zu begrenzen und so das Virus zurückzudrängen. Die Logik lautet: Wir gehen nicht ins Kino oder ins Restaurant, damit unsere Kinder in die Schule können.
Nun fordern die Lehrerverbände, die Kultusminister müssten bei höheren Infektionsraten wieder schneller auf Distanzunterricht umsteigen. Es sind zum Teil dieselben, die uns im Frühjahr erklärt haben, dass Schüler im Online-Unterricht nur einen Bruchteil des Stoffes lernen und das auch nie wieder aufholen. Und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet will die Weihnachtsferien verlängern. Das ist hochgradig ärgerlich.
Basis der Argumentation der Verbände sind 300.000 Schüler und 30.000 Lehrer, die derzeit angeblich in Corona-Quarantäne sind – doch diese Zahlen sind nur eine Schätzung. Zudem geht es um Quarantäne, also um Vorsichtsmaßnahmen. Angesichts von insgesamt elf Millionen Schülern, 800.000 Lehrern und 40.000 Schulen besteht also vorerst kein Grund zur Panik.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass hinter den Funktionären nicht nur um ihre Gesundheit besorgte Lehrer stehen, sondern auch solche, denen der ganze Aufwand mit den Masken und der Lüfterei in den Klassenzimmern schlicht zu viel ist.
So geht das nicht. Schule ist wichtiger als fast alles andere, denn es geht um Chancen unserer Kinder – und die Zukunft unserer Wissensgesellschaft. Bildungsökonomen haben eindrücklich vorgerechnet, dass Unterrichtsausfall Lücken reißt, die noch Jahrzehnte später messbar sind. Dazu kommt die Belastung der entnervten Eltern, denen man nicht zumuten kann, weitere Monate ihre Kinder auch nur jede zweite Woche zu Hause zu betreuen, weil der Staat versagt.
Teil der Kinder wird durch Hybridunterricht immer wieder abgehängt
Die Verbände wollen wieder mehr Hybridunterricht – also abwechselnd Distanz- und Präsenzunterricht. Doch auch das bedeutet, dass ein Teil der Kinder immer wieder abgehängt wird, weil sie zu Hause nicht unterstützt werden oder noch keine Leihgeräte haben.
Und selbst dort, wo die Schüler digital gut ausgestattet sind, fehlt es vielfach nach wie vor an der Infrastruktur – und an digital versierten Lehrern. Auch in der neuesten Bitkom-Umfrage geben die Eltern dem Homeschooling die Note mangelhaft. Und es ist illusorisch zu erwarten, dass sich das binnen Monaten grundlegend ändert.
Schulen sind systemrelevant – die Lehrer müssen einsehen, dass sie in dieser Notlage besonders gefordert sind und einen Extrabeitrag bringen müssen – ähnlich wie die Pflegekräfte. Letztere haben dieses Jahr teilweise bis zur Erschöpfung gearbeitet und Urlaub vertagt.
Wie wäre es, wenn Lehrer helfen würden, das Ansteckungsrisiko zu minimieren, indem sie für eine gewissen Zeit mehr arbeiten? So könnte man Klassen teilen und je zur Hälfte vormittags und nachmittags unterrichten.
Potenzial gibt es reichlich: Insgesamt arbeitet in Deutschland gut jeder Vierte Teilzeit. Bei den Lehrkräften sind es satte 40 Prozent – in den Grundschulen sogar 47 Prozent. In Baden-Württemberg gibt es zum Leidwesen der gegen den Lehrermangel kämpfenden Kultusministerin sogar mehr Teilzeit- als Vollzeitkräfte. Würde nur ein kleiner Teil unserer ausgesprochen gut bezahlten Lehrer sich dazu bereitfinden, bis zum Ende der Pandemie ihr Deputat aufzustocken – der Dank und Respekt der Republik wären ihnen gewiss.
Schulen müssen weiter offen bleiben
Unabhängig davon muss das Virus in den Schulen natürlich weit besser bekämpft werden. Es darf nicht in Räumen unterrichtet werden, wo man die Fenster nicht öffnen kann und keine Luftreiniger vorhanden sind. Maskenpflicht ist überall angezeigt, natürlich auch in der Grundschule. Es hat sich gezeigt, dass das problemlos geht. Lehrer müssen vorrangig getestet – und sobald ein Impfstoff verfügbar ist, auch geimpft werden.
Bisher gelten Schulen den Virologen noch immer nicht als Treiber der Pandemie. Weitere Studien sind aber überfällig. Die Kultusminister sind in der Pflicht, die Infiziertenzahlen in den Schulen – wie schon vor Wochen zugesagt – nicht nur zu erheben, sondern auch bundesweit zu sammeln und zu veröffentlichen.




Alle Beteiligten müssen wissen, woran wir sind. Sollte die Zahl der Infizierten besorgniserregende Dimensionen erreichen, muss in den betroffenen Regionen auch über Hybridunterricht oder teilweise Schulschließungen geredet werden. Aber erst dann.
Generell muss weiter gelten: Auch wenn wir die Pandemie nur eindämmen können, indem wir die Kontakte noch weiter reduzieren, müssen die Schulen so lange wie möglich offen bleiben. Damit das möglich ist, sollten wir dann im Zweifel – wie im Frühjahr – aufs Einkaufen verzichten. Die Adventszeit wäre vermutlich beschaulicher.





