Kommentar: Diese Schuldenregeln sind eine Gefahr für Europa


In der Kunst gibt es den Spruch: „Ist das Kunst, oder kann das weg?“ Auf die neuen EU-Schuldenregeln gemünzt ließe sich der Satz ohne Umschweife beantworten: Das ist Müll, das kann weg. Und zwar sofort.
Die Reform der europäischen Schuldenregeln war gut gemeint, ist aber schlecht gemacht. Und spätestens nach dem Schulden-Deal zwischen Brüssel und Berlin sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Schlimmer noch: Die Regeln sind zu einer Gefahr für Europa geworden.
Die im vergangenen Jahr in Kraft getretenen neuen EU-Schuldenregeln sollten stärker die ökonomische Realität abbilden, statt nur abstrakte numerische Vorgaben vorzugeben. So weit, so nachvollziehbar. Doch statt wie früher ein nachvollziehbares Regelset zu haben, hat die EU-Kommission ein finanzpolitisches Schattenreich geschaffen.
Die Regeln sind eine einzige Blackbox. Sie sind so komplex, dass selbst die Crème de la Crème der europäischen Ökonomenzunft sie nicht nachvollziehen kann. Wie auch, wenn die EU-Kommission in politischen Dunkelkammern mit den Mitgliedstaaten irgendwelche Hinterzimmerdeals ausheckt, wobei nur die Verhandlungspartner die Annahmen kennen?
Für die Politik ist das natürlich eine wunderbare Sache. Für sie sind die Regeln ein einziges Schlaraffenland, in dem das Prinzip gilt: Was nicht passt, wird passend gemacht.
Nichts verdeutlicht das mehr als der Schulden-Deal zwischen Deutschland und der EU-Kommission. Um das deutsche Schuldenpaket mit den europäischen Schuldenregeln irgendwie kompatibel zu machen, stellen beide Seiten einige abenteuerliche Annahmen auf. So wird sich Deutschlands Wachstumskraft über Nacht mal eben nahezu verdoppeln. Und die Ausnahme für Verteidigungsausgaben, die eigentlich Ende 2028 ausläuft, wird bis anno dazumal fortgeschrieben.





Für die Öffentlichkeit aber sind die Regeln eine Katastrophe. Gerade der Deal zwischen Brüssel und Berlin zeigt, wie manipulationsanfällig sie sind. Er zeigt, dass die Regeln für gering verschuldete Staaten nicht passen. Weshalb Finanzminister Klingbeil, einst Büroleiter Gerhard Schröders, in die Fußstapfen seines einstigen Mentors tritt und wie der Kanzler 2005 die Regeln so dehnen muss, dass deren Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht. Es wird anderen EU-Staaten künftig jedenfalls schwer zu erklären sein, warum Brüssel nicht auch mit ihnen nachsichtiger sein sollte.
Auch wenn die neuen Schuldenregeln gerade erst in Kraft getreten sind, gehören sie direkt wieder reformiert. Dabei muss das Prinzip gelten: Weniger ist mehr. Die Regeln können für gering verschuldete Staaten durchaus flexibler sein als früher. Aber vor allem müssen sie für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein. So wie es bei Gründung der Europäischen Währungsunion versprochen und verabredet wurde.
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