Kommentar: Ein schwacher Staat kann unsere Freiheit nicht schützen

Deutschland ist ein sicheres Land – noch. Doch dieser Befund ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis staatlicher Handlungsfähigkeit. Genau diese droht verloren zu gehen, wenn jede sicherheitspolitische Reform reflexhaft im Dickicht aus Bedenken, Prüfaufträgen und Grundsatzdebatten stecken bleibt.
Die von Innenminister Alexander Dobrindt geplante Sicherheitsoffensive ist kein Dammbruch, sondern die notwendige Antwort auf eine veränderte Bedrohungslage.
Angriffe auf kritische Infrastruktur, gezielte Desinformation, Cyberattacken und Sabotage sind längst Teil geopolitischer Auseinandersetzungen, häufig unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Konflikts. Staaten wie Russland testen systematisch die Verwundbarkeit offener Gesellschaften. Wer darauf mit den Instrumenten der 1990er-Jahre antwortet, handelt fahrlässig.
Dennoch verläuft die deutsche Debatte oft nach bekanntem Muster: Erst wird die Gefahr anerkannt, dann folgt der warnende Verweis auf mögliche Risiken staatlichen Handelns, und am Ende bleibt alles beim Alten.
Datenschutz, Grundrechte und Verhältnismäßigkeit sind hohe Güter. Doch sie taugen nicht als pauschales Argument gegen erweiterte Handlungsmöglichkeiten bei besonders bedrohlichen Lagen. Freiheit wird nicht dadurch geschützt, dass der Staat blind und handlungsunfähig bleibt.
Ob Cyber-Dome, verbesserte Cyberabwehr, KI-gestützte Datenanalyse oder die Speicherung von IP-Adressen: Diese Instrumente sind kein Selbstzweck. Sie sollen Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, Gefahren frühzeitig zu erkennen und Anschläge, Sabotage oder schwere Straftaten zu verhindern. Wer erst handeln will, wenn der Schaden eingetreten ist, hat den Kern von Sicherheitspolitik nicht verstanden.
Andere europäische Staaten statten ihre Sicherheitsbehörden längst mit weiter gehenden Befugnissen aus, rechtsstaatlich kontrolliert, parlamentarisch begleitet, aber entschlossen. In Deutschland hingegen wird jede Neuerung so lange zerlegt, bis sie politisch entschärft oder praktisch wirkungslos ist.
Dabei geht es nicht um „Überwachungsstaat“ oder „Freiheitsabbau“, sondern um Schutzfähigkeit. Ein Staat, der seine Bürger nicht vor Terror, Spionage oder Sabotage schützen kann, untergräbt das Vertrauen in die Demokratie mindestens ebenso wie ein Staat, der zu weit geht. Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander.
Dobrindts Pläne setzen hier den richtigen Akzent. Sie verschieben die Debatte von der Frage, ob der Staat handeln darf, hin zu der Frage, wie er wirksam handeln kann. Und zwar kontrolliert, rechtssicher und zeitgemäß. Deutschland täte deshalb gut daran, das ewige Bedenkenträgertum zu überwinden.