Kommentar Erdogan beschreitet für den nächsten Wahlgewinn einen Irrweg

Erdogan will Niedrigzinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Lebensmittel- und Energiepreise bleiben aber hoch.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan möchte niedrigere Zinsen, und sein Notenbankchef könnte ihm diesen Wunsch bald erfüllen. Vor den Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft erklärte Zentralbankgouverneur Sahap Kavcioglu, er wolle künftig nur noch die Kerninflation bekämpfen. Die Preise für Lebensmittel und Energie sind da ausgenommen.
Was er verschweigt: Gerade diese beiden Produktgruppen sind die größten Preistreiber im Alltagsleben von Millionen Menschen in dem Land. Und gerade die finanziell Schwächeren – Erdogans Zielgruppe – wären davon besonders betroffen, weil sie prozentual gesehen einen größeren Anteil des Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben.
Der türkische Präsident will die Wirtschaft ankurbeln, um damit die nächste Wahl zu gewinnen. Doch mit dieser Strategie schadet er sich womöglich nur.
Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach den Corona-Lockdowns hat die Inflation im Land drastisch zugelegt. 19,25 Prozent beträgt sie inzwischen, während die Wirtschaft im zweiten Quartal um 21,7 Prozent anstieg.
Ein Traumwert, möchte man meinen. Doch das Wachstum ist teuer bezahlt, im wahrsten Sinne des Wortes. Erdogans Wirtschafts- und Geldpolitik bringt zwar Jobs und Aufträge. Aber davon profitieren vor allem Firmeninhaber, Investoren und Reiche. Zu seinen Stammwählern gehören aber neben der Wirtschaft auch sozial Benachteiligte, die ärmere Landbevölkerung der Türkei sowie eine neu entstandene Mittelschicht.
Ehemals treue Wähler könnten Erdogan abstrafen
Sie alle registrieren genau, wenn ihr Alltag immer teurer wird. In nicht allzu langer Zeit, so fürchten sie, könnte das Leben für sie unbezahlbar werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Erdogan von seinen einst treuen Wählern dafür mehr als nur einen Denkzettel verpasst bekommt: die Abwahl.
Schon jetzt sind seine Umfragewerte so niedrig wie seit drei Jahren nicht mehr.
Die von ihm seit Langem geforderte Zinssenkung ist daher ein gefährliches Spiel. Wenn die Notenbank einlenkt und die Zinsen senkt, steigt das Risiko einer nicht endenden Inflation. Erdogan riskiert damit gleich dreierlei: das Ansehen der Zentralbank als unabhängiges Institut; den langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung; schließlich seine politische Glaubwürdigkeit.
Besser wäre es, wenn er die Zentralbank ihre Arbeit machen ließe. Dann würde die Inflation irgendwann abebben. Und einem Aufschwung mit niedrigeren Leitzinsen stünde dann auch nichts mehr im Wege.
Mehr: Bei Inflationsrate von über 19 Prozent: Türkische Notenbank deutet Zinssenkung an
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