Kommentar: Erpressung siegt – Europas Nato-Partner kuscheln mit Trump


Kann eine Beziehung auf Erpressung basieren und dennoch funktionieren? Im Privatleben würde man diese Frage wohl klar verneinen. Es sei denn, der erpresste Partner ist vom Erpresser abhängig. So wie im Falle der Nato.
Derzeit versuchen die Europäer alles, um die transatlantische Beziehung zu retten. Sie geben dem Druck aus Washington nach und wollen ihre Verteidigungsausgaben perspektivisch auf die astronomische Summe von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung anheben. Der Erpresser im Weißen Haus bekommt, was er will. Und die Erpressten haben keine Wahl, weil sie immer noch unfähig sind, allein für ihre Sicherheit zu sorgen. Und das auch über Jahre noch sein werden.
Deshalb ist der Nato-Gipfel am Dienstag und Mittwoch ganz darauf ausgerichtet, den leicht reizbaren US-Präsidenten bei Laune zu halten. Das Bekenntnis zum Fünf-Prozent-Ziel, die extra kurze Arbeitssitzung und die weitgehende Umschiffung des Ukraine-Themas dienen alle dazu, Donald Trumps Geduld nicht zu überstrapazieren. Denn ohne den starken Partner USA – das weiß man in Berlin, Paris, London und den anderen europäischen Hauptstädten – wäre das Bündnis faktisch so hirntot, wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron es schon 2019 sah.
Ein Bruch der Allianz ist immer noch nicht vollends ausgeschlossen
Mit dem überraschenden Angriff auf Irans Atomprogramm ohne vorherige Konsultation hat Trump erneut gezeigt, wie egal ihm die europäischen Verbündeten im Zweifel sind und wie wenig er von ihnen hält. Und das zweifelhafte Lob von Kanzler Friedrich Merz, die Bomber Israels – und jetzt auch der USA – erledigten im Iran die Drecksarbeit für den gesamten Westen, sind eine schöne Bestätigung für seine Einschätzung, dass die Europäer ohne die USA ohnehin nichts auf die Reihe bekommen.
Darum ist ein Bruch der transatlantischen Ehe im 76. Jahr ihres Bestehens noch immer nicht gänzlich ausgeschlossen. Es geht schon lange nicht mehr um eine Liebesbeziehung, sondern um eine Zweckgemeinschaft, die nur so lange bestehen wird, wie sie Trump nützlich erscheint. Und solange die Forderungen des Amerikaners erfüllt werden.
Gut zehn Jahre hat es gedauert, bis die Alliierten die 2014 postulierte Zielmarke von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung erreicht haben. Es ist fraglich, ob Trump bei der finanziellen Lastenteilung des Bündnisses noch einmal so viel Geduld aufbringt. Oder ob er nicht sehr rasch konkrete Summen und Taten der Europäer sehen will.

Selbst wenn die Nato auch diesen Gipfel ohne Eklat überstehen sollte, kann es danach nicht so weitergehen wie zuvor. Eine stärkere sicherheitspolitische Emanzipation der Europäer ist unumgänglich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Amerikaner ihr Engagement in Europa verringern und sich dem indopazifischen Schauplatz und ihrem Systemrivalen China stärker zuwenden.
Bei zentralen Fähigkeiten wie Satellitenaufklärung und weitreichenden Raketen oder den Kommandostrukturen geht aber bisher in der Allianz ohne die USA nichts. Hier müssen die europäischen Verbündeten rasch die Lücken schließen.






Vielleicht gelingt es den Europäern in Den Haag aber ja auch, den US-Präsidenten davon zu überzeugen, dass die Nato eine Win-Win-Beziehung ist. Denn selbst wenn Trump mit der westlichen Wertegemeinschaft offensichtlich nicht mehr viel anzufangen weiß und Kreml-Diktator Wladimir Putin oft nähersteht als den Europäern, so bleibt er doch ein Dealmaker, der an Geschäften interessiert ist.
Je mehr sich die Konfrontation mit China zuspitzt, desto stärker wird die „Make America Great Again“-Bewegung auf Europa sein – und sei es nur als Absatzmarkt für US-Produkte. Allein aus diesem Grund müsste der Chef im Weißen Haus ein Interesse an einem sicheren und stabilen Europa haben. Dafür ist die Nato die beste Lebensversicherung.
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