Kommentar: Europa im Dornröschenschlaf – Investoren verlieren die Geduld

Die Euphorie ist verflogen, der Realitätssinn zurückgekehrt. Im Oktober warb Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) am Rande der IWF-Tagung um Investoren für Deutschland – als vermeintlich verlässliche Alternative zu den von Donald Trump geprägten USA. Zuvor hatte Klingbeil selbstbewusst verkündet, internationale Geldgeber zeigten großes Interesse. Doch das Vertrauen des Kapitals ist brüchig – und die Geduld der Investoren schwindet.
Aus dem Ausland mehren sich inzwischen kritische Stimmen. Internationale Anleger zeigen sich enttäuscht über das zögerliche Tempo Europas, das im Dornröschenschlaf zu liegen scheint. Frankreich gilt derzeit als Hochrisikozone: In Paris wechseln die Regierungen fast so schnell wie einst in Italien.
Vorbei die Zeiten, in denen Deutschland mit einem Hauch Neid auf die glanzvolle Investorenkonferenz im Schloss Versailles blickte, in dem Emmanuel Macron als ehemaliger Investmentbanker souverän die Geldgeber umschmeichelte.
In Berlin dagegen herrschte lange Stillstand. Olaf Scholz tat als Kanzler wenig, um Investoren aktiv ins Land zu holen – und auch seine Vorgängerin Angela Merkel hatte den Blick eher nach China als nach Frankfurt oder London gerichtet. Erst mit Friedrich Merz kam Bewegung auf. Er lud angelsächsische Investoren und deutsche Konzernchefs nach Berlin ein, setzte mit Martin Blessing erstmals einen Chief Investment Officer ein und schnürte zwei milliardenschwere Programme.
Die beiden Sondervermögen – jeweils 500 Milliarden Euro schwer – sollen die Verteidigung stärken und Zukunftsinvestitionen anstoßen. Bei der Rüstung gilt: Die Mittel steigen mit der Bedrohungslage. Das sind starke Signale.
Doch die Investoren knüpften ihr Engagement an klare Bedingungen: weniger Bürokratie, günstigere Energiepreise, wettbewerbsfähige Arbeitskosten – und vor allem eine Regierung, die an einem Strang zieht. Von alledem ist bislang wenig zu spüren. Die Bürgergeld-Reform hat kaum Arbeitsanreize geschaffen, von den einst angekündigten zehn Milliarden Euro Steuersenkungen ist keine Rede mehr.
Am Mittwoch tagt das sogenannte Entlastungskabinett – ursprünglich gedacht, um den Bürokratieabbau entscheidend voranzubringen. Doch inzwischen wird befürchtet, dass statt entschlossener Strukturreformen nur ein paar halbherzige Digitalisierungsprojekte und Prüfaufträge beschlossen werden.
Die Wirtschaft trägt eine Mitschuld
Auch die Wirtschaft selbst trägt ihren Teil zur Misere bei. Die drohenden Produktionsausfälle bei den großen Autoherstellern gehen weniger auf die Politik zurück als auf eine gefährliche Abhängigkeit von China. Von echter Diversifizierung keine Spur.
Investment Officer Blessing ist da fast sinnbildlich für die Lage: bemüht, aber ausgebremst. Seine Rolle bleibt bisher unklar. Offenbar hemmt die Kanzleramts- und Ministerialbürokratie einmal mehr eine gute Idee von Merz. Die Investoren registrieren das genau – und fragen sich, ob Deutschland seinen Anspruch als Wirtschaftsstandort noch einlösen kann.
Noch ist nicht alles verloren. Aber Berlin muss endlich aus dem Verwaltungs- in den Gestaltungsmodus wechseln. Wenn die Koalition nicht bald handelt, droht der Weckruf der Investoren ungehört zu verhallen.