Kommentar: Europas Versagen im Cloud-Markt rächt sich jetzt besonders


Amazon, Microsoft und Google haben weltweit Rechenzentren aufgebaut und beanspruchen mehr als zwei Drittel des europäischen Cloud-Marktes für sich.
Es ist leider eher die Regel als die Ausnahme, dass Europa in wichtigen technologischen Bereichen das Nachsehen hat – gegenüber den USA, aber auch gegenüber einigen asiatischen Staaten. Besonders dramatisch wird die Lage gerade bei Cloud-Diensten.
Selten war die Cloud so wichtig wie heute. Sie macht die modernsten und leistungsfähigsten Systeme für Künstliche Intelligenz (KI) erst möglich. Große Cloud-Rechenzentren treiben bereits seit Längerem die moderne Wirtschaft und Gesellschaft an. Komplizierte Ansätze löst kaum noch ein Unternehmen mit eigenen Computern auf dem Firmengelände.
Diese Aufgaben werden fast immer ausgelagert. Europäische Unternehmen zögerten allzu lange, selbst in das Geschäft einzusteigen – und überließen vor allem Amazon, Microsoft und Google aus den USA sowie Alibaba und Baidu aus China das Geschäft.
Die bewusste Entscheidung zur Vorsicht – oder präziser: zur Langsamkeit – wird jetzt zum großen Problem. Schon aus strategischer Sicht ist es fatal, dass Europa sich bei einer so wichtigen Schlüsseltechnologie zurückzieht. Denn die europäische Wirtschaft ist komplett abhängig.
Mehr als zwei Drittel des europäischen Cloud-Marktes entfallen auf Amazon, Microsoft und Google. Fast jeder der Dax-Konzerne hat seine Daten heute bei einem der drei dominanten Spieler aus den USA.
Die Künstliche Intelligenz macht völlig neue Anwendungen möglich
Jetzt steht der globale Cloud-Markt auch noch vor seiner zweiten Revolution. Denn die Künstliche Intelligenz macht völlig neue Anwendungen möglich. Das gilt seit dem Erfolg des Textroboters ChatGPT vor allem für die zugrunde liegenden Technologien großer Sprachmodelle. Die Hauptrolle spielen in diesem Bereich einmal mehr die großen Cloud-Anbieter. Denn sie kontrollieren die Infrastruktur, auf der das Training und der Einsatz der KI-Systeme erst im Großeinsatz möglich wird.
Damit erreicht die Abhängigkeit europäischer Unternehmen von den großen US-Cloud-Anbietern eine völlig neue Dimension. Denn KI wird eine Schlüsseltechnologie quer durch alle Branchen werden.
Google hat in der vergangenen Woche erstmals einen Gewinn für seine Cloud-Sparte ausgewiesen. Obwohl der Aufbau eines globalen Netzes von Hochleistungsrechenzentren Milliardensummen verschlungen hat, ist ein profitables Geschäft entstanden. Dabei steht Google noch ganz am Anfang, seine Systeme gewinnbringend zu nutzen.
Abstand zu Amazon, Microsoft und Google ist kaum noch einzuholen
Die politische Antwort der Europäer sollte das Gaia-X-Projekt sein. Bislang hat das besonders von Deutschland und Frankreich forcierte Projekt auch Jahre nach der öffentlichen Vorstellung 2019 kaum nennenswerte Ergebnisse geliefert. Statt dem Start zu einer europäischen Aufholjagd ist und bleibt Gaia-X eine Randnotiz.
Das Problem ist fehlender Mut der europäischen Firmen – wieder einmal. Kein Unternehmen ist bereit, die Milliardensummen für ein globales Netz aufzubringen. Die Infrastruktur-Angebote der Dax-Konzerne SAP und Telekom blieben ein Nischenprodukt.
Mit Ionos hat Deutschland zwar mittlerweile eine Cloud-Firma mit Milliardenbewertung. Sie ist aber für den globalen Wettbewerb viel zu klein. Auch OVH aus Frankreich kann im globalen Wettbewerb nicht mithalten.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Lidl-Mutterkonzern Schwarz das ambitionierteste Cloud-Projekt in Deutschland gestartet hat. Das Familienunternehmen bietet unter dem Namen Stackit eine praktikable Lösung für den Mittelstand in Deutschland und Europa an, während Giganten wie SAP und Telekom ihre Cloud-Sparten zusammenstreichen.






Fest steht: Europas Abstand zu Amazon, Microsoft und Google ist kaum noch einzuholen. Europas Unternehmen haben sich mit ihrem Hadern eines Zukunftsmarktes beraubt. Die langfristigen ökonomischen Folgen der Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft sind kaum zu unterschätzen.





