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KommentarFrankreichs Niederlage im Kampf gegen Corona

Mehr Corona-Tote, weniger Tests – der wenig schmeichelhafte Vergleich mit Deutschland wird in Frankreich zur nationalen Schmach aufgeblasen. Macrons Ansehen leidet darunter noch weiter.Thomas Hanke 12.06.2020 - 09:46 Uhr

Am vergangenen Freitag dokumentierten die Wirtschaftsforscher vom Institut OFCE, dass Frankreich nicht mit Deutschland, sondern mit Italien und Spanien in einer Liga spielt

Foto: AP

Paris. Emmanuel Macron hadert mit seinem Schicksal. Sein ganzes politisches Kapital hat der junge Staatspräsident eingesetzt, um Frankreich zu modernisieren und wieder auf eine Höhe mit der Bundesrepublik zu kommen.

Trotz Streiks, trotz Gelbwesten ist ihm vieles gelungen: Die Industrie baute 2019 erstmals seit Jahrzehnten wieder Jobs auf; 2019 zog Frankreich so viele Auslandsinvestitionen an wie kein anderes EU-Land. Die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück.

Die Coronakrise hat fast alles vernichtet. Wie eine fürchterliche Zeitmaschine schleudert sie das Land samt seinem Präsidenten um Jahre zurück. Am vergangenen Freitag dokumentierten die Wirtschaftsforscher vom Institut OFCE, dass Frankreich nicht mit Deutschland, sondern mit Italien und Spanien in einer Liga spielt. So hart wie in den beiden südeuropäischen Ländern war der Lockdown, so schwer wie dort bricht die Wirtschaft ein, um elf Prozent oder mehr.

Es ist ein schreckliches Déjà-vu: Wie nach der Krise 2008 wird Frankreich viele Jahre brauchen, um wieder auf den Stand vor der Rezession zurückzukommen. Hilflos muss der französische Sisyphus zusehen, wie der Fels erneut den Berg hinunterrollt.

Was Macron zusätzlich zur Weißglut treibt, ist die Anerkennung seiner Landsleute für die Bundesrepublik, die zur Kritik an seiner Regierung wird: Warum gibt es in Deutschland so viel weniger Corona-Tote? Warum so viel mehr Beatmungsgeräte, Masken, Tests?

Was ein heilsames Benchmarking sein könnte, wird in einer maßlosen Übertreibung zur nationalen Katastrophe überhöht. „Frankreich wurde vom Sockel gestoßen“, schreibt einer der führenden Demoskopen. Ein schmachvolles Versagen machen Politiker der Opposition und Intellektuelle aus, „das ist nur vergleichbar mit der Niederlage 1940 gegen Deutschland.“

Untersuchungsausschuss zu Fehlern der Regierung

Die Coronakrise soll vergleichbar sein mit dem Blitzkrieg der Nazis gegen Frankreich? Wenn solche Vergleiche gewagt werden, läuft in der politischen Debatte offensichtlich einiges ganz fürchterlich schief.    

Macron gleitet die Angelegenheit aus den Händen. Zum anerkannten Führer eines durch die Krise geeinten Landes wollte er werden. Doch heute findet er sich auf der Anklagebank wieder.

Ein Untersuchungsausschuss des Parlaments will herausfinden, welche Fehler die Regierung vor und während der Coronakrise gemacht hat. Könnte es auch daran liegen, dass der ganze zentralistische Staat sich überlebt hat? Die Frage findet wenig Interesse.

Wie von der Tarantel gestochen reagieren Macrons engste Mitarbeiter inzwischen, wenn die Sprache auf Deutschland kommt. Sie können es nicht mehr hören, wenn wieder einmal die Gesundheitssysteme oder die Größe der Konjunkturpakete verglichen werden und der östliche Nachbar klar besser abschneidet.

Von einem notorischen Minderwertigkeitskomplex mancher Franzosen spricht ein enger Macron-Mitarbeiter. „Wir sollten aufhören zu denken, Deutschland sei in allem besser als Frankreich,“ fordert er die Kritiker auf. Und empfiehlt als Heilmittel ein Buch aus den 60er-Jahren darüber, wie Frankreich nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen 1871 in einem Trauma der Minderwertigkeit versackte.

Konsens bei EU-Wiederaufbau hilft nicht

Was zeigt, dass die Opposition nicht das Monopol auf abstruse Vergleiche hat. Zum Teil kann man den Zorn der Macron-Leute verstehen. Denn viele derer, die heute flugs das „deutsche Modell“ loben, haben es noch vor kurzem in Grund und Boden verdammt.

Ganze Doppelseiten schrieben Le Monde und andere Blätter voll über „Die Schwächen des deutschen Modells“, über „Die Hölle im Herzen des deutschen Wunders“. Nur einem ausgebeuteten Prekariat verdanke die deutsche Wirtschaft ihre Exporterfolge.

Wenn dieselben Leute nun die Bundesrepublik loben, ist das kein Ausdruck eines Erkenntnisgewinns. Es geht darum, Macron zu schaden. Ziemlich ruchlos versuchen die Kritiker, Macron noch aus jedem Bettlaken einer deutschen Corona-Station einen Strick zu drehen.

Der Präsident wirkt verblüffend desorientiert. Soll er nach links, nach rechts, in der Mitte bleiben? Mit einer großen Rede will er sich an die Nation wenden, aber was soll die beinhalten und bewirken? Der Konsens mit Deutschland beim Fonds für den EU-Wiederaufbau hilft ihm innenpolitisch überhaupt nicht.

Die bevorstehende harte Rezession macht die Wiederaufnahme der suspendierten Reformen schwierig. Die Proteste der Jugendlichen wegen exzessiver Polizeigewalt vor allem gegen Schwarze haben das Potenzial, die Vorstädte zu erschüttern – um die sich der Präsident viel zu wenig gekümmert hat.

Gelingt es der vereinten linken und rechten Opposition, seine Corona-Politik als eine Wiederholung der Katastrophe von 1940 zu brandmarken, sieht es schlecht aus für Macrons Möglichkeiten, neue Handlungsfähigkeit aufzubauen.  

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