Kommentar Impfgipfel: Der Weg in die Freiheit muss schneller und reibungsloser gelingen

Im Kampf gegen das Virus ist Impfen besonders wichtig. Doch in Deutschland kommt das immer noch nur langsam voran.
Man kann Geimpften nicht dauerhaft ihre Rechte wegnehmen. Auf dem Impfgipfel an diesem Montag geht es deshalb zu Recht um die Frage, ob Geimpfte und Genesene ihre alten Freiheiten zurückerhalten sollen – und ob für sie Ausnahmen von den in der „Bundes-Notbremse“ festgeschriebenen Regeln gelten.
Das weckt Hoffnungen auf Sommer, Biergarten, Kino und Theater – auf das normale Leben vor der Pandemie. Die Bevölkerung dürstet nicht nur danach, es steht ihr auch zu. Bislang war die Ministerpräsidentenkonferenz allerdings kein Ort für hoffnungsvolle Entscheidungen. Böse Zungen in Berlin sagen sogar, dass es überhaupt kein Ort für Entscheidungen war.
Die Lockdown-Beschlüsse der Konferenzen waren schon überholt, bevor sie die Kanzlerin in den anschließenden Pressekonferenzen vorstellte. Und einige Landesfürsten waren immer schnell darin zu erklären, warum sie zu Hause doch lieber einen anderen Weg einschlagen würden.
Oft entschieden sie zu spät – wie im Herbst, als eine zweite und dritte Welle möglicherweise noch abgewendet hätte werden können. Oder es kamen schwammige Regeln dabei heraus, die wieder kassiert wurden wie die Osterruhe. Die Gipfel waren schlecht vorbereitet und förderten zuletzt nichts mehr zutage.
Bei steigenden Infektions- und Todeszahlen vermittelten die Regierenden des Landes der Bevölkerung das Gefühl von Willkür. Nicht ohne Grund hat der Bund die Macht in der Pandemiebekämpfung mit der „Bundes-Notbremse“ an sich gerissen. Theoretisch braucht er die Länder nicht mehr, um zu entscheiden – auch nicht über Freiheiten für Geimpfte und Genesene. Dies kann die Bundesregierung mithilfe von Verordnungen selbst regeln. Sie will aber die Länder einbeziehen.
Ein Stufenplan ist dringend erforderlich
Es kommt nun darauf an, dass der Weg in die Freiheit schneller und reibungsloser gelingt als der Weg in den Lockdown. Die Fehler der Pandemiebekämpfung dürfen sich nicht wiederholen.
Man stelle sich Modellprojekte wie in Tübingen nur einmal für Geimpfte vor, wo Menschen die Innenstädte stürmten, weil sie nur dort ein Eis auf der Außenterrasse essen oder einkaufen gehen können. Niemandem wäre mehr erklärbar, warum er sein Haus abends nicht mehr verlassen kann, während anderswo Geimpfte schon wieder Gartenpartys veranstalten.
Dass es den Ländern nicht schnell genug gehen kann, zeigte etwa Rheinland-Pfalz, das schon Mitte April mit ersten Ausnahmen für Geimpfte vorpreschte. Wenn dieses eine Jahr der endlosen Ministerpräsidentenkonferenzen, schwammigen Kompromisse und unverständlichen Maßnahmen für irgendetwas gut war, dann hoffentlich dafür, dass der Weg zurück in die Normalität besser läuft: mit klaren, verständlichen und einheitlichen Regeln.
Doch die Fragen, die sich jetzt stellen, sind ungleich schwieriger. Die Corona-Maßnahmen sind mit drastischen Grundrechtseinschränkungen verbunden. Wenn von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, müssen nach Überzeugung von vielen Staatsrechtlern diese Einschränkungen zurückgenommen werden.
Wenn in den kommenden Monaten mehr und mehr Menschen das Vakzin erhalten, rüttelt dies auch an der Grundlage der Einschränkung. Doch ab welcher Impfquote sollen die Einschränkungen für Geimpfte zurückgenommen werden? Sofort? In einigen Monaten?
Noch keine Gastronomieöffnungen für Geimpfte
Bislang haben nur rund zwanzig Prozent eine Erst- und sieben Prozent eine Zweitimpfung erhalten, während Millionen Menschen auf einen Impftermin warten. Für Kinder gibt es darüber hinaus derzeit keine Möglichkeit, auch Schwangere sollen sich nicht impfen lassen. Warum sollten Menschen ohne eigenes Verschulden ausgegrenzt werden?

Der freie Zugang zu Konzerten, ins Kino und ins Restaurant sollte Geimpften noch nicht gewährt werden, meint der Autor.
Es dürfte den Unmut in der Bevölkerung nur vergrößern, wenn andere sichtbar mehr Freiheiten erhalten als man selbst. Und was wird wohl in den Arztpraxen und Impfzentren los sein, wenn die Impfstoffe der Schlüssel zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben werden?
Andere führen an, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht ausreichen, die Beschränkungen für Geimpfte aufzuheben. Das Risiko, das Virus trotz vollem Impfschutz zu übertragen, ist laut Robert Koch-Institut gering, aber eben nicht gleich null. All diese Fragen sind komplex, am Montag sind deswegen keine schnellen Antworten zu erwarten.
Es wäre der richtige Anfang, wenn Geimpfte und Genesene zunächst jenen Menschen gleichgestellt würden, die einen tagesaktuellen negativen Test vorweisen können. Dies lässt sich auch medizinisch begründen – das Risiko, das Virus weiterzutragen, ist für die Gruppen vergleichbar hoch. Und es grenzt niemanden aus – jeder hat Zugang zu einem tagesaktuellen Schnelltest.
Auch bei den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sollten Geimpfte mehr Freiheiten erhalten. Der freie Zugang zu Konzerten, ins Kino und ins Restaurant sollte ihnen jedoch erst gewährt werden, sobald jeder in Deutschland ein Impfangebot bekommen hat.
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