Kommentar: Josef Ackermann und der Fluch der Zahl 25

Wolfgang Reuter ist beim Handelsblatt Ressortleiter Unternehmen und Märkte.
Wenn große Männer die Bühne verlassen, wird ihr Lebenswerk von der (Nach-)Welt meist auf eine einzige Botschaft reduziert. Mehr scheint das kollektive Gedächtnis einer Nation oder auch der ganzen Welt nicht aufnehmen zu können.
Bei Willy Brandt war es die Ostpolitik, die auf Verständigung mit den Staaten des Sowjetblocks setzte. Ex-Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger steht wie kein anderer für Geldwertstabilität als oberstes Primat der Notenbankpolitik. Und der einstige Daimler-Boss Jürgen Schrempp war, ist und bleibt "Mr. Shareholder Value", der oberste Verfechter einer einzig auf Aktionärsinteressen ausgerichteten Unternehmensführung.
Was von Josef Ackermann bleiben wird, ist kein Begriff. Es ist die Zahl 25.
Die zwei Ziffern sind mehr als eine mathematische Größe. Sie sind ein Politikum. Denn Ackermann hatte der Deutschen Bank 2003 eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent verordnet, was im Vergleich mit anderen deutschen Instituten extrem hoch ist. Vor allem aber hat er dieses Ziel immer wieder verteidigt, teilweise in einem Atemzug mit der Streichung von Tausenden von Jobs.
So ist die 25 zum Symbol für rücksichtsloses Renditestreben und eiskaltes Finanzgebaren geworden - und Ackermann ist in der öffentlichen Wahrnehmung zum Sinnbild des kaltherzigen Kapitalisten mutiert.
Der Deutsche-Bank-Chef konnte dabei nur verlieren: Solange Ackermann sein Ziel erreichte, war er der Buhmann aller Kritiker unseres Wirtschaftssystems. Und jetzt, da er es nicht mehr erreicht, wird ihm das Verfehlen angelastet.
Auch der Aktienkurs der Bank hat bestenfalls zeitweise von dem konsequent umgesetzten Renditeziel profitiert. Jedenfalls waren die Anteilsscheine der Deutschen Bank bei Ackermanns Amtsantritt mehr als doppelt so viel wert wie heute. Rückblickend hätte sich Ackermann viel erspart, wenn er sich nicht so sehr auf diese eine Zahl kapriziert hätte.
Aber auch andere hecheln unsinnigen Maßzahlen hinterher. Ständig wiederholt VW-Chef Martin Winterkorn, dass sein Konzern, gemessen an den produzierten Stückzahlen, bis 2018 der weltgrößte Autobauer sein soll. In Wahrheit interessiert es weder Investoren noch Mitarbeiter und am wenigsten die Kunden, ob der Konzern 8,2 Millionen Autos im Jahr verkauft oder 9,1 und damit weniger oder mehr als General Motors.
Andere, wie Paul Bulcke, der Chef von Nestlé, haben ihren Konzernen Wachstumsziele verordnet. Bei Nestlé sind es fünf bis sechs Prozent, deutlich mehr als der Branchenschnitt. Ein Unternehmen, das nicht mehr wachse, beginne zu sterben, meint Bulcke. Manche Firmen sind aber nur durch radikales "Gesundschrumpfen" zu retten.
Es ist wohl ihre Eitelkeit, die Chefs zu numerischen Zielen verleitet. Sie bestimmen damit die Regeln - und lassen sich dann für deren Einhaltung feiern. Davon beeindrucken lassen sollte sich allerdings niemand.






Aussagekräftiger sind die Leitlinien der Unternehmen. Theoretisch zumindest - und wenn sie sich mit den Aussagen des Chefs decken. Bei der Deutschen Bank heißt es: "Wir wollen der führende globale Anbieter von Finanzlösungen sein und einen anhaltenden Wert schaffen für unsere Kunden, Aktionäre und für die Menschen in den Gesellschaften, in denen wir tätig sind." Wie das mit dem Renditeziel von 25 Prozent möglich sein soll - dazu sagt die Bank aber nichts.
Übrigens: Dass Unternehmen ohne numerische Ziele erfolgreich sein können, hat Microsoft bewiesen. Der Gründer, Bill Gates, prägte den Satz: "Wenn ich eine Ziellinie vor Augen hätte, glauben Sie nicht, dass ich sie schon vor Jahren erreicht hätte?"
Der Autor leitet das Unternehmensressort.





