Kommentar: Kehrt das Heldentum auch zu uns zurück?


Der Krieg, das war einmal. Alte Männer haben davon erzählt. Wir haben in der Schule viel darüber gelernt, vielleicht auch aus Büchern oder Filmen. Aber er war weit weg. Ja, irgendwo im Nahen Osten oder in Afrika gab es ihn noch. Ja, wir hatten den Kalten Krieg zwischen Ost und West, aber der ist zum Glück kalt geblieben; gerade der atomare Schirm schien zu garantieren, dass die ganz großen Waffengänge Geschichte sein würden, weil sie zu nahe an den Untergang der Menschheit geführt hätten.
Und wir haben den Untergang der Sowjetunion begrüßt: Die große Feindschaft zwischen Ost und West schien beendet. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama verkündete das Ende der Geschichte. Der ehemalige US-Präsident Richard Nixon war realistischer: Er warnte, dass der Untergang des Kommunismus nicht gleichzeitig das Ende des russischen Imperialismus bedeuten müsse. Doch das interessierte niemanden. Die Welt schien weitgehend befriedet.
Das alles war, wie die Wiedervereinigung Deutschlands, auch eine Folge der Friedenspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Das Ende der Sowjetunion bestätigte: Diese Politik war richtig, die heftige Kritik der Konservativen daran falsch. „Kein Geld für Rüstung“ war die Parole vieler Linker, die im Geschäft mit Gewehren und Panzern nur kapitalistische Profitmacherei sahen.
Überhaupt: Bundeswehr, Soldatentum, war das nicht überholt? Das postheroische Zeitalter schien angebrochen, in dem Heldentum, die Bereitschaft, für sein Land zu sterben, nichts mehr galt.
Und jetzt ist alles anders.
Vor drei Jahren ist Russland in die Ukraine einmarschiert. Das Entsetzen war groß. Die Vorstellung eines riesigen Russlands, das weder von Napoleon noch von Hitler besiegt worden war, suggerierte vielen, dass Präsident Wladimir Putin das Nachbarland schnell besiegen würde. Das hat er nicht.
In der Ukraine gab es plötzlich wieder Helden
Die Ukrainer wussten, was ihnen drohte; auch der Holodomor, das Aushungern der Landbevölkerung unter Stalin mit Millionen von Toten, war nicht vergessen.
Tausende junge Männer und Frauen – wer die Fotos sieht, dem kommen die Tränen – meldeten sich freiwillig, gingen an die Front, kämpften, riskierten und verloren oft ihr Leben. Ein relativ junger Präsident, Wolodymyr Selenskyj, lehnte Rettungsangebote für sich persönlich mit den Worten ab: „Ich brauche Waffen, keine Mitfahrgelegenheit.“
Plötzlich gab es wieder Helden. Die meisten waren jung. Sie scheuten keine Gefahr und kämpften für ihr Land, für ihre Mitmenschen, für eine gerechte Sache. Das Heldentum war nicht mehr nur in den Geschichtsbüchern zu Hause, nicht mehr nur eine Vokabel für Ewiggestrige. Das Heldentum kehrte zurück, aber es blieb uns vorerst fern.
Die Ukraine liegt weit im Osten Europas, aber doch in Europa. Der Krieg rückte näher, war beängstigend. Aber gleichzeitig war er noch weit weg, fand für uns vor allem in den Medien statt. Und doch gab es eine spürbare Veränderung. Männer, die einst aus Überzeugung den Wehrdienst verweigert hatten, stellten diese Entscheidung rückblickend infrage. Andere, die ihn lustlos aus Pflichtgefühl abgeleistet hatten, fühlten sich bestätigt, dass das nicht ganz falsch war.
Ein Politiker wie Anton Hofreiter, mit seinen langen Haaren das perfekte Klischee eines Altlinken, Mitglied der Grünen, die als Partei auch aus dem Pazifismus heraus entstanden waren, konnte plötzlich wie ein alter Soldat über Waffengattungen referieren.
Die Diskussionen begannen: in den Parteien, zwischen den Parteien, aber auch im Freundeskreis. Die Unterstützung der Ukraine wurde als Kriegstreiberei gebrandmarkt. Der Glaube, dass Willy Brandts Politik richtig war, verführte manche zu der Überzeugung, dass Friedenspolitik auch heute noch so möglich sei.
Gerade im linken Milieu schüttelten Menschen verständnislos die Köpfe: „Du, ein Kriegstreiber?“ Oder: „Du meinst, wir sollten die Ukrainer den russischen Raketen überlassen?“ Ganz im Hintergrund, vor allem bei den verantwortlichen Politikern, spielte auch die Sorge eine Rolle, in einen großen, vielleicht sogar atomaren Krieg hineingezogen zu werden.
Wer kann jetzt noch auf Trumps Hilfe zählen?
Doch damit nicht genug. Der nächste Schritt ist der faktische militärische Rückzug der USA aus Europa. Ein US-Präsident, der das Opfer eines Angriffskriegs beschimpft und ausbeuten will, der jedes strategische Interesse an Europa mit der Bemerkung zurückweist, ein großer Ozean schütze ihn: Wer kann da noch auf seine Hilfe zählen?
Und dann ist alles wieder anders. Der Krieg ist noch weit weg, aber die Bedrohung ist jetzt ganz nah. Kehrt das Heldentum auch zu uns zurück? Das ist die Frage, die sich jetzt stellt.




Und es ist eine furchtbare Frage. Wer ist bereit, für sein Land, für seine Mitmenschen zu sterben? Oder noch schlimmer: Wer ist bereit, seinen Sohn oder seine Tochter in die Gefahr eines Krieges zu schicken? Das sind die Fragen. Diese Fragen müssen wir noch nicht beantworten. Und die wirkliche Antwort für sich selbst wird jeder erst wissen, wenn es darauf ankommt. Aber dieser Fall scheint nicht mehr so fern, so undenkbar wie noch vor wenigen Jahren.
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