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KommentarRaubtierkapitalismus oder rheinischer Kapitalismus – was wird aus dem Fußball?

Der Lieblingssport der Deutschen ist wie das Land im Krisenmodus und erlebt eine multiple Existenzkrise: moralisch, strategisch, finanziell. Nur mit Reformen gelingt der Wiederaufstieg.Hans-Jürgen Jakobs 08.12.2022 - 14:31 Uhr Artikel anhören

Das frühe Aus für die DFB-Elf markiert nicht nur sportlich ein Tief.

Foto: IMAGO/Ulmer/Teamfoto

Noch immer reden mehr Leute über Fußball als über das Bürgergeld. Aber die Feierstimmung der Jahre 2006 bis 2016, als sich die Nationalelf bei großen Turnieren stets mindestens ins Halbfinale siegte, ist einer veritablen Trauerarbeit gewichen. Allen wurde klar, dass die Republik auch im liebsten Volkssport Krisenland ist.

Zuletzt blamierte sich Deutschlands Auswahl bei der Weltmeisterschaft in Katar – sportlich mit dem Aus in der Vorrunde, moralisch mit einer irrlichternden Menschenrechtskampagne, finanziell mit entgangenen Erlösen. Die TV-Quoten waren so schlecht wie noch nie bei einer WM. Fußball ist keine Ersatzreligion mehr, kein „Opium fürs Volk“.

Das alles ist kein Randthema, weil ja schon in 18 Monaten die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land beste Standortwerbung treiben soll – so wie beim „Sommermärchen“ 2006, jener unvergessenen WM in Schwarz-Rot-Gold, als man auch noch an die Kraft einer Angela Merkel glaubte.

„Wo immer man hinschaut: Unter der Grasnarbe lugt der Acker hervor“

Die Realität: ein permanenter Krisenmechanismus. Herausgefordert von einer verschärften, von „Big Money“ getragenen Konkurrenz auf anderen Fußballmärkten, schockiert von einer schwindenden emotionalen Bindung der Fans, belastet durch interne Kämpfe ums Geld, sucht der deutsche Fußball nach einer zukunftsträchtigen Strategie. Wo ist der richtige Platz zwischen jenem Raubtierkapitalismus der Milliardäre und Scheichs, die in England, Frankreich und anderswo auf Gewinn und Geltung spekulieren, und andererseits einem breiten Vereinswesen, auf das der Deutsche Fußball-Bund (DFB) so stolz ist?

Der DFB ist zwar weltgrößter Sportfachverband, macht allerdings so viel Verlust, dass man jetzt Reserven auflösen muss, was an hohen Rückstellungen für Steuerverfahren und Zusatzkosten für einen groß dimensionierten „Campus“ liegt. Wo immer man hinschaut: Unter der Grasnarbe lugt der Acker hervor.

>> Lesen Sie hier: Oliver Bierhoff verlässt DFB – Der Mann, der den Fußball verkaufte

Die Ad-hoc-Lösungen, die die Spitzenfunktionäre der Ballbranche am Mittwoch in etlichen Krisenrunden fanden, sind alles andere als eine Antwort auf massive Strukturprobleme. Der erfolglose Nationaltrainer Hans-Dieter Flick darf weitermachen, anders als sein Freund Oliver Bierhoff, der sich vor lauter „Über-Marketing“ ins Aus dribbelte.

Ihre Wege trennen sich nach nicht einmal einem Jahr wieder.

Foto: dpa

Und als Chefin der Deutschen Fußball-Liga (DFL), der Vereinigung der besten Profiklubs, muss die Digitalexpertin Donata Hopfen nach nur einem Jahr wieder gehen – eine Folge von Eigenmächtigkeiten, fehlender Kommunikation und gravierender Organisationsmängel. Angesichts der Fülle von Problemen könnte der nun als oberster Krisenmanager auftretende Dortmunder Manager Hans-Joachim Watzke auch bald überfordert sein.

Unternehmerisch betrachtet ist die DFL ein dilettantisch bewirtschaftetes Monopol, das die Medienrechte der Klubs zentral vermarkten darf, weil so auch die Amateure des DFB davon am meisten hätten, also dem Gemeinwohl am besten gedient würde. Deshalb müssen die DFL-Lenker derzeit dem Bundeskartellamt erklären, warum sie einerseits eine „50+1“-Regel propagieren, die den Mitgliedern der Vereine das letzte Wort überlässt, andererseits aber Ausnahmeregelungen für den Bayer-Konzern (Leverkusen), Volkswagen (VfL Wolfsburg) und SAP-Mitgründer Dietmar Hopp (TSG Hoffenheim) existieren, im Grunde auch für Red Bull (RB Leipzig).

Diese Sache mit „50+1“ ist so etwas wie die Mitbestimmung in der Wirtschaft – Vorkehrung, um die „Soziale Marktwirtschaft“ und einen „rheinischen Kapitalismus“ zu sichern, der auf Sozialpartnerschaft setzt. Das kontrastiert mit dem neokapitalistischen Modell, das sich auch im Fußball – und hier in besonders brutaler Form – ausgebreitet hat. Deutschland befindet sich, global betrachtet, also in einer Sonderrolle. Das wird zum Problem, wenn die mit Investorengeld vollgepumpten oder zu Monsterschulden neigenden ausländischen Klubs die besten Spieler einfach vom Markt wegkaufen. Anders als etwa der Bankenmarkt entzieht sich der internationale Fußball einer Regulierung, noch nicht einmal einer Selbstregulierung.

„Gesellschaftlich gesehen ist Fußball ein teures Gut – allerdings ökonomisch nicht ganz so kostbar“

„50+1“ könnte unter diesen Umständen ein Qualitätssiegel sein, eine Gewähr für vernünftiges Handeln unter verantwortlicher Einbindung von Investoren. Der in Serie erfolgreiche FC Bayern München, wo Adidas, Audi und Allianz Minderheitsanteile halten, zeigt, dass Mitgliedermehrheiten kein unüberwindbares Hindernis sind - obwohl gerade der FCB-Ehrenpräsident Uli Hoeneß die Abschaffung von „50+1“ fordert. Nur so könnten die anderen deutschen Klubs international mit Rivalen mithalten, die vorzugsweise amerikanisches und arabisches Kapital anziehen, glaubt er.

Es wird wohl eher darauf ankommen, ob in den Nachwuchszentren der deutschen Spitzenvereine genügend Talente heranreifen, die es mit der Konkurrenz aufnehmen können und das Publikum begeistern. Nicht Spekulationsgeld, sondern Fans sind das wahre Kapital der Vereine.

Gesellschaftlich gesehen ist Fußball ein teures Gut – allerdings ökonomisch nicht ganz so kostbar, wie die Akteure selbst glauben. Das sieht man an den Verlusten, die TV-Plattformen mit teuer erworbenen Übertragungsrechten der Bundesliga machen. Sky Deutschland zahlte so viel drauf, dass der Eigentümer, der US-Kabelkonzern Comcast, die problematische Liegenschaft abstoßen will.

>> Lesen Sie hier: Die Versäumnisse des Hansi Flick – Das frühe WM-Aus und seine Gründe

Es wird wohl sehr schwer werden für die DFL, bei der 2023 wieder mal anlaufenden Auktion der Medienrechte wie in der Vergangenheit jährlich 1,1 Milliarden Euro und mehr zu erzielen. Und doch, eine Alternative gibt es nicht. Der zuletzt ventilierte Plan, en bloc 20 Prozent der Medienrechte einem Private-Equity-Investor anzudienen, brächte einmalig ein paar Milliarden, die wohl in den Taschen von Spielern und ihren Beratern landen würden.

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Nötig sind vielmehr innere Reformen, die den Betrieb wirtschaftlich stärken und eine bessere Balance der Wettbewerber schaffen. Dazu gehören Gehaltsobergrenzen für Spieler oder eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder, bei der kleinere, „ärmere“ Klubs besser bedient würden. Solche Maßnahmen steigern am Ende die Attraktivität der Bundesliga, die sich im Ausland mittlerweile nur schwer noch verkaufen lässt.

Es ist eben für die ganze Welt langweilig, wenn der Meister immer FC Bayern München heißt. Man könnte andererseits auch sagen: Dieses Problem hätte die Nationalmannschaft derzeit sehr gerne.

Mehr: Alles auf „Aki“ – BVB-Boss Watzke wird zur zentralen Figur des deutschen Fußballs

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