Kommentar: Scholz kann es sich nicht leisten, nur Merkel zu kopieren
Der Kanzler lässt sich bei seinen Entscheidungen viel Zeit.
Foto: Getty ImagesOlaf Scholz stand schon im Wahlkampf in dem Ruf, sich in Stil und Auftritt einiges bei Angela Merkel abgeschaut zu haben. In der Ukrainekrise zeigt sich immer mehr, wie richtig dieser Eindruck ist. Seit Tagen wiederholt der Bundeskanzler mantrahaft die Entschlossenheit Deutschlands, bei einem Angriff Russlands zusammen mit den Nato-Verbündeten entschlossen zu reagieren.
Doch wie der deutsche Beitrag bei den Sanktionen aussehen könnte, dazu gibt es von ihm kaum ein Wort. Scholz als Merkel 2.0.
Einen Unterschied gibt es allerdings schon. Die frühere Kanzlerin hatte sich den Ruf „als letzte Verteidigerin des freien Westens“ hart erarbeitet. Merkel wurde von Russlands Präsident Wladimir Putin als Gesprächspartnerin immerhin respektiert. Auch wenn sie ein ambivalentes Verhältnis zu ihm pflegte.
Die Ereignisse in der Ukraine und die Verhaftung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny waren ihr zuwider. Aber sie hatte einen Zugang zu Putin und konnte sich damit auf eine neue neutrale Rolle als Moderatorin etwa im Normandie-Format zurückziehen, um die Gespräche voranzutreiben.
Scholz dagegen kann das alles nicht vorweisen. Der SPD-Mann steht ganz am Anfang seiner Kanzlerschaft, und die Berliner Strategie, auf Sicht zu fahren, kommt bei den Verbündeten schlecht an – zu Recht.
Nord Stream 2 als Elefant im Raum
Teile der SPD wollen an dem Projekt festhalten. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) versucht, den Konflikt zu ignorieren, und behauptet: „Eine Regierung ist im Prinzip immer einig.“ Der FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner schweigt beredt, was Scholz immerhin nicht als Widerspruch auslegt.
Dabei waren die Grünen aus geopolitischen Gründen schon immer gegen die Pipeline. Im Koalitionsvertrag findet sich kein Wort dazu, damit man nicht gleich am Anfang Krach bekommt.
Die FDP sitzt zwischen allen Stühlen. Am Ende ticken die Liberalen bei der Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte wie die Grünen. Christian Lindner erinnert auf Twitter häufig daran, wie viele Tage Nawalny in Haft sitzt.
Die Ampelkoalitionäre haben darauf gesetzt, dass sich im Laufe der Zeit genug Vertrauen aufbaut, um solchen Krisen gemeinsam zu lösen. Doch mit dem Ukrainekonflikt, den in dieser Dramatik keiner der drei Partner erwartet hatte, ist eine komplett neue Lage entstanden.
Und Scholz steht als führungsschwach da.
Dass Friedrich Merz als Oppositionsführer das kritisiert, ist das eine. Bedenklicher ist, dass viele in der Nato und in der EU über Deutschlands Verhalten auch in der Debatte über die Waffenlieferungen den Kopf schütteln.
Scholz hat noch keine salomonische Lösung gefunden. Er ist getrieben von der eigenen Partei, die traditionell russlandfreundlich agiert. Dann gibt es die restpazifistischen Grünen – und die Liberalen haben schon bei der Ressortzuteilung ihr außenpolitisches Erbe von Hans-Dietrich Genscher nicht angetreten.
Auf der anderen Seite stehen die berechtigten Forderungen der Ukraine. Das Aussitzen, wie es Kanzler gern machen – man denke an Helmut Kohl und Merkel –, hat sich eigentlich nur in der Innenpolitik bewährt.
In der Außenpolitik waren sie auf der Weltbühne respektiert und entschlossen.