Kommentar: Start-up-Mitarbeiter sollten sich keine Intransparenz gefallen lassen
Viele Start-up-Mitarbeiter werden durch Erfolgsbeteiligung am Unternehmen zur Mehrarbeit motiviert. Doch viele Arbeitgeber lassen sie im Unklaren darüber, wie sich der Wert ihrer Firmenanteile entwickelt.
Foto: AFPEigentlich müssten Mitarbeiter deutscher Start-ups reihenweise Reißaus nehmen. Denn die viel zitierte Krise dürfte viele von ihnen stärker treffen als ihre Firmen. Das Schlimmste ist: Darüber wird einfach geschwiegen.
Konkret geht es um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf einen Teil ihres Gehalts verzichten und dafür am Unternehmenserfolg beteiligt werden sollen. Diese Beteiligungsprogramme sind eine feine Sache – solange es gut läuft: für beide Seiten.
Ohne Beteiligungsprogramme hätten Start-ups Fachkräften wenig zu bieten. Mit den Programmen winkt die Chance, eines Tages reich zu werden.
Diese Aussicht motiviert „Backend Engineers“, „Customer Success Managerinnen“ und „Senior Brand Designer“ über Jahre. Jede weitere Zeile Code, jede glückliche Kundin und jede kreative Idee rückt Börsengang und Geldregen näher. In vielen Start-up-Büros gibt es mehr Schlafsäcke als Beschwerden über Überstunden.
Sobald es schlecht läuft, sieht es anders aus: Das ist okay und muss allen Beteiligten klar sein. Mit der Start-up-Idee stirbt der Traum vom Haus am See.
Unfair wird es allerdings, wenn Gründer Mitarbeitende weiter träumen lassen, obwohl sie schon ahnen, dass das Haus ein Luftschloss bleibt. Diese Intransparenz ist untragbar – aber keine Seltenheit.
Gerade jetzt in der Krise werden Finanzierungsdeals geschlossen, bei denen sich Investoren gegen Verluste absichern und Mitarbeitende leer ausgehen können. Jeder Gründer hat das Recht, auf diese Weise seine Firma zu retten. Aber es erscheint grundlegend falsch, dass sie Mitarbeitende nicht umgehend darüber unterrichten müssen.
Lindner sollte die Steuer auf Beteiligungen senken – unter klugen Bedingungen
Das sollte auch die Politik und vor allem Christian Lindner überdenken, der jetzt das Instrument stärken und dazu die Steuern auf die Mitarbeiterbeteiligung massiv senken will.
Gründer und Investoren fordern schon lange, dass Start-up-Beschäftigte auf ihre Anteile statt Einkommensteuer die niedrigere Kapitalertragsteuer zahlen sollen. Sie argumentieren, dass sie ihren Lohn wie eine Investition einsetzen.
Lindners Vorschlag enthält nun tatsächlich einen pauschalen Steuersatz, der der Kapitalertragsteuer entspricht. Von einer Parallele kann jedoch kaum die Rede sein. Bei Aktien und Anleihen kennen Anleger die Wertentwicklung und können entscheiden, ob sie ihr Geld lieber anders einsetzen.
Das wäre allerdings auch für Start-up-Anteile eine sehr gute Idee! Jede börsennotierte Firma muss unverzüglich Informationen offenlegen, die den Wert ihrer Aktie erheblich beeinflussen können. Die Regel soll andere Akteure am Kapitalmarkt davor schützen, schlechtergestellt zu sein als die Insider. Dieser Schutz sollte Start-up-Mitarbeitern auch zustehen.
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Zudem könnte sich Lindner überlegen, wo er sich das verlorene Steuergeld zurückholen kann. Die meisten Start-ups mit Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen geben heute keine echten Anteile, sondern virtuelle Optionen auf Firmenanteile aus. Diese sind dann für das Unternehmen steuerlich abzugsfähig, sobald Gewinne anfallen. Diese Abzugsfähigkeit könnte Lindner streichen.
Deutschland sollte sich in der Tat zum Ziel setzen, weltweit die besten Bedingungen für Start-up-Gründungen zu bieten. Aber es schadet nicht, die erfolgreichen Start-ups daran mehr zu beteiligen. Im Gegenteil: Dadurch könnten die Rahmenbedingungen für internationale Fachkräfte noch viel besser werden.
Kurzfristig jedoch bleibt nur, an den Verstand von Mitarbeitern und Gründern zu appellieren. Wer einen Teil seines Gehalts in Unternehmensanteilen erhält, sollte auch Transparenz über deren Wertentwicklung einfordern. Und wer ein ernsthaftes Interesse am Start-up-Standort Deutschland hat, sollte sich gut überlegen, welches Exempel er jetzt statuiert.