Kommentar : War es das wirklich wert, Herr Sánchez?


Fünf Minuten lang hat Pedro Sánchez am Montag die Anfeindungen beklagt, die seine Familie seit Jahren ertragen müsse. Nun sind sie aber doch nicht so unerträglich, dass er als spanischer Regierungschef zurücktreten wird. Fünf Tage lang hatte Sánchez seine Amtsgeschäfte ruhen lassen, um darüber zu reflektieren, ob sein Job „das wirklich wert“ ist.
Offenbar sind sie es wert. Und der verblüffte Beobachter fragt sich, was der größere Skandal ist: dass ein Regierungschef sich überhaupt eine Auszeit nimmt, um über seinen möglichen Rücktritt zu sinnieren, oder die Tatsache, dass er es trotzdem nicht macht. Alles also nur Staatstheater?
Sánchez beklagt die Hetze der Rechten und rechtsradikalen Parteien sowie der Medien und der Vertreter der Justiz, hetzt selbst aber nicht weniger. Pedro Sánchez ist ein Meister der Stimmungsmache. Unter seiner Regierung hat sich das politische Klima in Spanien deutlich verschärft. Der Graben zwischen rechten und linken Parteien ist tief, und die gegenseitigen Angriffe sind oft persönlich.
Am meisten leiden darunter die Bürgerinnen und Bürger: Selbst in Parlamentsdebatten geht es kaum um Inhalte, sondern vor allem um persönliche Angriffe. Dass Sánchez nun doch nicht zurücktritt, lässt seine Auszeit wie eine politische Inszenierung erscheinen. Als Begründung für seine Entscheidung gibt Sánchez die Demonstrationen vom Wochenende an. Am Samstag waren 12.000 bis 20.000 Menschen unter dem Motto „Pedro, bleib!“ auf der Straße, am Sonntag rund 5000.
Das ist zwar viel, aber keine Massenbewegung gegen die vermeintlich schamlosen Attacken der rechten Parteien. Als Sánchez im vergangenen Jahr eine Amnestie gegen die katalanischen Separatisten angekündigt hatte, um sich ihre Stimmen für seine Regierungsbildung zu sichern, gingen dagegen Hunderttausende Spanier auf die Straße.
Unter kritischer Beobachtung
Das Kalkül des Premiers ist nicht aufgegangen, so viel steht fest. In anderen europäischen Hauptstädten reibt man sich verwundert die Augen. Schließlich ist Sánchez nicht der einzige Politiker, der unter kritischer Beobachtung steht.


Er ist als Premier eine Person des öffentlichen Interesses. Es gibt ein legitimes Interesse daran zu erfahren, welche Beziehung seine Frau zu Unternehmen hatte, die Gelder oder Aufträge von der spanischen Regierung erhalten haben. In jedem anderen EU-Land würden die Medien auch darüber berichten. Dass ein Richter einer Anzeige deswegen nachgeht, ist seine Aufgabe und nicht Teil eines rechten Komplotts.
Ein Land aber fünf Tage in Atem zu halten, um die Rechte in populistischer Manier mit viel Emotion zu dämonisieren und so seine eigene Position zu stärken, ist dreist. Sánchez macht sich damit unglaubwürdig, er vertieft die Spaltung und schadet dem internationalen Ansehen seines Landes.
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