Kommentar: Was Scholz von Starmer lernen kann


Wenn Olaf Scholz dem neuen britischen Premierminister Keir Starmer am Mittwochmorgen die Hand bei dessen Antrittsbesuch in Berlin reicht, dann ist das mehr als eine höfliche Geste. Großbritannien und Deutschland befinden sich in einer ganz ähnlichen Lage: Die Wirtschaft stagniert, die Stimmung ist schlecht, beide Länder brauchen einen Modernisierungsschub.
Die Ausgangsvoraussetzungen für die beiden Sozialdemokraten, diesen Kraftakt zu meistern, könnten jedoch unterschiedlicher kaum sein.
Starmer kommt mit einem überwältigenden Wahlsieg und einer satten absoluten Mehrheit im Rücken nach Berlin. Scholz dagegen versucht, seine heillos zerstrittene Ampelkoalition mit Galgenhumor über die Runden bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr zu retten. Die Befindlichkeit in Deutschland ist nach drei Jahren Ampelkoalition so schlecht wie in Großbritannien nach 14 Jahren konservativer Herrschaft.
Vor seinem Abflug nach Berlin hat der britische Premier versucht, seine Landsleute mit einer „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede auf harte Zeiten einzustellen. Es werde schlechter, bevor es besser werden könne, dämpfte Starmer die Hoffnungen auf eine schnelle Wende.
Zugleich nutzte er jedoch den „Goodwill“ der Briten, der neuen Regierung eine Chance zu geben. Er erinnerte an die britische Tugend, in schwierigen Zeiten zusammenzustehen und das Beste aus der Situation zu machen.
Dass Scholz mit einem ähnlichen Aufruf zum Gemeinsinn das Land aus der Lethargie holt, erscheint angesichts seiner politischen Schwäche kaum mehr vorstellbar. Von innen und außen betrachtet wirkt Deutschland in diesen Tagen wie ein von Selbstzweifeln gelähmter Riese.
Dabei war es Starmer, der in den Jahren zuvor zu den Genossen nach Berlin pilgerte, um sich dort Anregungen für einen erfolgreichen Machtwechsel in London zu holen. Das Buch „Why the Germans do it better“ war eine Pflichtlektüre auf der Insel. Die Geschichte ist manchmal voll bitterer Ironie.
Aufräumarbeiten nach dem Machtwechsel
Können wir Deutsche jetzt umgekehrt etwas von den Briten lernen? Wirtschaftlich gilt das nur bedingt. Starmer hat mit den Aufräumarbeiten nach der von populistischem Chaos geprägten Tory-Ära und den Sommer-Unruhen in vielen Städten ganz eigene Probleme. Dass er den Brexit im Kern nicht antasten will, macht seine Aufgabe nicht leichter.






Abschauen können wir uns von der neuen Labour-Regierung aber einen unideologischen Pragmatismus, wenn es darum geht, für die aktuellen Probleme machbare Lösungen zu finden. Und noch etwas bringt Starmer mit nach Berlin, was hierzulande dringend gebraucht wird: die Überzeugung, dass es nach der Durststrecke besser werden wird.
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