Kommentar: Wir dürfen die Lust am Niedergang nicht zu weit treiben

„Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt.“ Der Hit von Geier Sturzflug aus dem Jahr 1982 war mehr als ein Ohrwurm: Er spiegelte den Geist eines Landes wider, das in einer Rezession steckte, dessen Arbeitslosigkeit über zehn Prozent lag und das intensiv nach Aufbruch suchte. Trotz aller Härten herrschte der Wille anzupacken.
Heute sind die Rahmenbedingungen zwar anders – die Stimmung aber ähnelt der von damals:
- Die deutsche Wirtschaft lahmt,
- Investitionen bleiben aus,
- die Produktivität stagniert.
Geier Sturzflug würde heute keinen Nummer-eins-Hit mehr in den Charts landen: Der Aufbruchswille von damals scheint verloren zu sein. Statt über notwendige Reformen zu sprechen, diskutiert die Öffentlichkeit über Veggie-Burger, Stadtbilder oder linke und rechte TV-Moderatoren.
Regieren in Zeiten permanenter Empörung
Die schwarz-rote Koalition um Kanzler Friedrich Merz steht nach fünf Monaten im Amt bereits unter enormem Druck. Die aktuellen Umfragewerte fallen, die AfD ist stärkste Kraft im Land. Laut einer aktuellen Insa-Umfrage rechnen bereits rund 50 Prozent der Bürger mit einem vorzeitigen Ende der Koalition. Führungsschwäche lautet der Vorwurf, insbesondere gegen Bundeskanzler Friedrich Merz.
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Doch das eigentliche Problem ist weniger die Person an der Spitze, sondern vielmehr eine erschöpfte Gesellschaft: Wer in Zeiten permanenter Empörung regiert, kämpft nicht nur gegen den wirtschaftlichen Niedergang. Wir konzentrieren uns so auf die falschen Themen und verpulvern unsere Kräfte. Die Stadtbilddebatte mag gesellschaftspolitisch wichtig sein, für das Wirtschaftswachstum bringt sie herzlich wenig.
Die Diagnose ist klar: Sozialstaat, Mittelstand, Leistungskultur – alles muss reformiert, entlastet, modernisiert werden. Die Einsicht ist vorhanden, der Mut, Verantwortung zu übernehmen, fehlt.
Reformen dürfen nicht nur diskutiert werden. Am Ende muss auch jemand den Preis etwa für den Umbau des Sozialstaats zahlen. Alles nur mit neuem Geld zuzuschütten, verlagert die Probleme in die Zukunft und verdeckt, wie schlecht es uns wirklich geht. Merz steht somit vor einer paradoxen Aufgabe: Er soll das Land erneuern, ohne dass es jemandem wehtut.
Ein vorzeitiges Aus der Regierung wäre brandgefährlich. Jene, die einfache Antworten verkaufen, werden keine bessere Wirtschaftspolitik machen – sie würden sie zerstören. Eine AfD-geführte Regierung würde den Sozialstaat nicht reformieren, sondern sprengen.
Wenn aber ein guter Teil der Bevölkerung permanent jammert oder meckert, kann es kaum besser werden. Vielleicht wäre das der Moment, in dem Deutschland erkennt, dass es seine Lust am Niedergang zu weit getrieben hat.
Oder um es mit Geier Sturzflug zu sagen: „Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt.“ Nur so lässt sich das Bruttosozialprodukt – und das Vertrauen in die Zukunft – wieder steigern.
Erstpublikation: 26.10.2025, 09:52 Uhr.