Kommentar: Wirtschaft braucht Moral: Das Vertrauenskapital schmilzt


Zuletzt wurden wieder mehr Skandale in den Chefetagen öffentlich.
Wenn den Mächtigen der Wirtschaft überhaupt noch etwas Furcht einjagen kann, dann ist es der realdemokratische Rechtsstaat. Der urteilt und bestraft im Namen des Volkes. Hanno Berger kam allerdings mit dem Schrecken davon.
Der einstige Staranwalt und Mastermind der Cum-Ex-Geschäfte ist zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Das ist nicht wenig. Doch die Strafe blieb deutlich unter der möglichen Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis. Berger traf also nicht die ganze Härte eines Rechtsstaats, er fand einen milden Richter.
Das Urteil dürfte die alte Volksweisheit bestätigen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Mit einem Top-Verteidiger an der Seite lässt sich eben das Schlimmste verhindern. Was aus individueller Sicht der Angeklagten opportun erscheinen mag, ist für das Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger fatal.

Der Steueranwalt war eine der zentralen Figuren in Deutschlands größtem Steuerhinterziehungsskandal.
Ohnehin ist in den letzten Tagen viel passiert, was das Vertrauen in die wirtschaftliche und politische Elite untergräbt. Im größten deutschen Wirtschaftsskandal sitzt der ehemalige Wirecard-Chef auf der Anklagebank.
Der Verteidiger von Markus Braun erklärt, dass sein Mandant nichts gewusst habe. Die Polizei hat den Gründer der insolventen Kryptobörse FTX, Sam Bankman-Fried, verhaftet. Das Landgericht Darmstadt sprach den Ex-Chef des Goldhändlers Pim wegen Betrugs und Geldwäsche schuldig.
>> Lesen Sie hier: Sam Bankman-Fried gibt sich selbst die Schuld
Eva Kaili, die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, sitzt wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft. Wer Säcke voller Schmiergeld bei sich zu Hause aufbewahrt, hat offenbar das Gefühl, über dem Gesetz zu stehen. Unterm Strich ist das alles ganz schön viel in dieser kurzen Zeit.
Nur: Sind Wirtschaftsvertreter und Politiker in den vergangenen Jahren krimineller oder unmoralischer geworden? Dafür spricht nichts. In den letzten Jahren gab es zwar viel Verdruss, was die „Beletage“ deutscher Unternehmen betrifft. Der Dieselskandal beim Autokonzern Volkswagen ist noch allgegenwärtig. Und das ist nur das prominenteste Beispiel unter vielen.
Ludwig Erhard schien das alles zu ahnen, als er in „Wohlstand für alle“ mahnte: „Ich verlange in letzter Konsequenz gerade von den verantwortlichen Unternehmen, die über den Produktions- und Verteilungsapparat der Volkswirtschaft verfügen, die größten Opfer, die höchste Einsicht und Verantwortung.“
„Alle suchen den nächsten Skandal“
Im Grunde genommen ist es mit der Moral bei der Führungselite nicht viel anders als im Rest der Gesellschaft. Allerdings mit einem großen Unterschied: Anders als früher stehen Korruptionsskandale und Wirtschaftskriminalität seit rund 15 Jahren immer stärker im Fokus der Öffentlichkeit.
TV-Sender, soziale Netzwerke und Medienhäuser, die rund um die Uhr digital senden, neigen sicherlich auch zur Zuspitzung. Hinzu kommt: Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln hartnäckiger und effizienter.
Kein Wunder, dass die aktuelle Ballung der Negativ-Schlagzeilen das Vertrauenskapital der Bürgerinnen und Bürger dahinschmelzen lässt. Die Menschen blicken in angespannten Zeiten noch genauer hin, wie Regierende und Wirtschaftsführer sich verhalten.
Der Wunsch nach mehr Verantwortung der Wirtschaft schlägt dann in eine Kritik der Wirtschaftsordnung insgesamt um. Bei der Sozialen Marktwirtschaft wird da schnell das Adjektiv gestrichen.
Noch eine Gefahr droht. Je größer die Vertrauenslücke zwischen den informierten Eliten und dem Rest der Bevölkerung wird, desto weniger Zukunftsoptimismus herrscht in einem Land. Dabei haben Bosse und Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer immer Hand in Hand unseren Wohlstand über die vergangenen Jahrzehnte aufgebaut und sich gegenseitig vertraut.



Mit Verlässlichkeit, Tatkraft und Wahrhaftigkeit. Tugenden, die wir heute mehr denn je brauchen.
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