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LeserdebatteWo der Bürokratieabbau am nötigsten ist

Handelsblatt-Leserinnen und -Leser debattieren über die Probleme der deutschen Bürokratie und berichten von teils absurden Fällen von überbordendem Verwaltungsaufwand. 09.11.2023 - 14:27 Uhr Artikel anhören

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Wirtschaft bei der Bürokratie entlasten.

Foto: dpa

Das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck hat 140 Maßnahmen zum Bürokratieabbau identifiziert. So sollen unter anderem einige Berichtspflichten in Unternehmen wegfallen oder vereinfacht werden. Angesichts dessen haben wir die Handelsblatt-Leserschaft gefragt, wo der Bürokratieabbau ihrer Meinung nach am nötigsten ist und mit welchen bürokratischen Hürden sie schon zu kämpfen hatten.

Die Einsendungen zeichnen ein deutliches Meinungsbild der deutschen Bürokratie: Sie ist überbordend, träge, völlig unverständlich.

Beispielsweise müssen Bürgerinnen und Bürger oft unverhältnismäßig lang auf Rückmeldung vom Staat warten. Ein Leser nennt als Beispiel die Wartezeit von „mehreren Monaten“ für eine Baugenehmigung, eine Leserin erzählt von „bis zu fünf Monaten“ für die Genehmigung einer Haushaltshilfe im Pflegefall. Gleichzeitig werde mit hohen Bußgeldern gedroht, wenn man umfangreiche Statistikdaten nicht innerhalb einer Frist an die staatlichen Statistikämter einsende.

Auch seien die bürokratischen Prozesse nicht effizient. Statt „intelligente Software“ zu verwenden, wie ein Leser vorschlägt, oder staatliche Stellen zum Datenaustausch untereinander zu bevollmächtigen, würden wichtige Dokumente „über mehrere Monate“ auf den Ämtern „von einem Schreibtisch zum anderen bewegt, und das in drei- bis vierfacher Ausführung auf Papier“, schreibt ein Leser.

Welcher Aufwand für simple Tätigkeiten wie beispielsweise Laubentsorgung betrieben werden muss, erzählt ein Leser: In seiner Gemeinde muss „mit ausreichendem Vorlauf „ ein schriftlicher Sondergenehmigungsantrag für das „Aufstellen eines Laubsackes“ eingereicht werden. Es sei „eigentlich zum Kaputtlachen, wenn es nicht so traurig wäre“.

Ein Leser kann aber auch von einem Erfolgserlebnis berichten. Sein Unternehmen sei zu „13 verschiedenen regelmäßigen Berichten an verschiedene Statistikämter verpflichtet“ gewesen. Grund war die Zugehörigkeit zu einer speziellen Branchengruppe, in der die Statistiklast immer weiter zunahm. Erst über das Verwaltungsgericht als letzte Instanz konnte das Unternehmen den „überbordenden Berichtspflichten“ Einhalt gebieten, indem die Branchenzugehörigkeit weiter gefasst wurde.

Für die aktuelle Ausgabe unseres Leserforums haben wir aus den unterschiedlichen Zuschriften eine Auswahl für Sie zusammengestellt.

Laubentsorgung schwer gemacht

„Die baumreiche Gemeinde Glienicke/Nordbahn im Norden von Berlin verlangt auch bei eintägigem Aufstellen eines Laubsacks einen schriftlich einzureichenden Antrag zur Sondergenehmigung für die Entsorgung des gemeindeeigenen Laubes durch die Anwohner.

Der Antrag ist mit ausreichendem Vorlauf einzureichen – nicht ganz einfach mit dem Wetter im Herbst und dem Entsorgungsunternehmen zu koordinieren. Die Gebühr für die Sondernutzung beträgt einen Euro, die Ausfertigung des Bescheids kostet noch einmal das 15-Fache. Dafür bekommt man dann allerdings per Post einen mehrseitigen Bescheid. Bei Verstößen gibt es einen Strafbefehl mit happigen 150 Euro. Eigentlich zum Kaputtlachen, wenn es nicht so traurig wäre.“
André-Thomas Bräuer

Warum nicht einfach per Vollmacht?

„Bei der Beantragung von Genehmigungen beziehungsweise deren Verlängerungen sind immer wieder Auskünfte, Belege von staatlichen Stellen (Finanzämtern, Bundesamt für Justiz) notwendig.

Es wäre doch viel einfacher, bei Beantragung der jeweiligen Behörde eine Vollmacht zur Einholung der Auskünfte (zum Beispiel Führungszeugnis) bei den entsprechenden Stellen zu erteilen.“
Rolf Augustin

>> Lesen Sie auch: Mit 140 Maßnahmen will Habeck die Unternehmen entlasten

Deutschland trägt die rote Laterne

„Ich bin als Unternehmer über 30 Jahre in Deutschland tätig. Mich persönlich nerven am meisten die zahlreichen Anfragen der statistischen Landesämter, die allerlei Daten und Informationen in regelmäßigen Abständen einfordern.

Sollte man seinen Verpflichtungen zeitlich nicht nachkommen, so wird schnell mit Bußgeld gedroht. Mittlerweile ist es ja bereits möglich, die Daten online anzugeben, aber die Daten müssen erst mal zusammengestellt werden. Hier in Deutschland freuen wir uns alle, wenn wir schnell sind. Ich erinnere mich noch daran, als Michael Schumacher als Rennfahrer den ein oder anderen Weltmeistertitel gewonnen hat. Und wir haben alle gejubelt! Wenn ich die Schnelligkeit in Bezug auf Baugenehmigungen und Bauanträgen sehe, komme ich mir jedoch vor, als ob wir jedes Mal die rote Laterne tragen. Warum werden wir nicht Weltmeister in der Erstellung beziehungsweise Genehmigung von Bauanträgen?

Zum Teil liegen diese über mehrere Monate auf den Ämtern und werden von einem Schreibtisch zum anderen bewegt, und das in drei- bis vierfacher Ausführung auf Papier.

Ich wünsche mir einen Bürokratieabbau einhergehend mit einem höheren Grad der Digitalisierung. Dies wird auch zu einem entspannteren Verhältnis zwischen Behörde und Antragsteller beitragen auf der Grundlage gegenseitiger Entlastung. Ganz nebenbei freut sich auch die Wirtschaft. Und damit meine ich nicht die Kneipe um die Ecke.“
Sven Burgwedel

Eigentlich Aufgabe des Staates

„Die Einziehung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge sind an sich Aufgaben des Staates, die Firmen auf eigene Kosten dem Staat abnehmen.

Würden alle Meldungen und Zahlungen nur an eine Stelle erfolgen, verringerte sich der Aufwand enorm. Mithilfe von intelligenter Software wäre die sekundenschnelle Weiterleitung an die zuständige Krankenkasse und das Finanzamt auch ein Leichtes.“
Reinhold Schmidt

Kleine kosmetische Anpassungen bringen nichts

„Wie entsteht Bürokratie? Durch immer mehr Gesetze und Verordnungen. Wir müssen als Deutsche mal überlegen: Was wollen wir beziehungsweise auf was wollen wir verzichten? Dann erst kann man das Bürokratiemonster zurückdrängen!

Die kleinen kosmetischen Anpassungen, wie derzeit angedacht, packen das Übel nicht an der Wurzel!“
Matthias Louis Fischer

Ich weiß nicht, was damit gemeint ist

„Geholfen wäre uns schon, wenn ab sofort keine neuen Berichtspflichten eingeführt würden. Oberster Kandidat hierfür wären die im Wachstumschancengesetz vorgesehenen sinnbefreiten Meldepflichten innerstaatlicher Steuergestaltungen.

Oder wissen Sie, was man zum Beispiel unter der ‚Umwandlung von Einkommen in Vermögen‘ zu verstehen hat? Wortwörtlich verstanden wäre damit über jeden Geschäftsvorfall in Deutschland zu berichten: Denn jeder verdiente Euro ist bekanntermaßen eine logische Sekunde später Vermögen …

PS Ich habe bereits drei verschiedene Staatssekretäre beim Bundesfinanzministerium darauf angesprochen, eine sinnstiftende Antwort vermochte man mir da nicht zu geben“
Markus Deupmann

Und zwar pünktlich, sonst ...!

„Wir hatten einmal einen Prozess gegen überbordende Berichtspflichten gewonnen!

Unser Unternehmen war zu 13 verschiedenen regelmäßigen Berichten an verschiedene Statistikämter verpflichtet. Der Grund war, dass wir in einer Branchengruppe registriert waren, in der es über die Jahre und Jahrzehnte immer weniger aktive Betriebe, aber immer mehr Statistiken gab, die sich somit konzentrierten.

Diese Statistiken waren auch überhaupt nicht trivial, in der Regel mussten dafür jeweils eigene EDV-Prozesse entwickelt und gepflegt werden, und dann musste deren Ergebnis auf Formulare abgeschrieben und per Post an die verschiedenen Ämter abgeschickt werden. Und zwar pünktlich, sonst ...!

Als unser Betrieb dann schließlich auch kriselte, habe ich mich zuerst an die Statistikämter und zuletzt an die Politik gewandt – ohne Erfolg.

Erst das Verwaltungsgericht hatte ein Einsehen. Die ‚Lösung‘ war, dass unser Betrieb in eine sehr viel größere Branche umgruppiert wurde, ‚allgemeiner Maschinenbau‘, in der sich die – weiterhin gleich hohe – Befragungslast zumindest auf mehr Betriebe besser verteilte. 

Jedes Bundesland hat ein eigenes Statistisches Landesamt, und der Bund hat sein eigenes. Allen gemeinsam ist – und bleibt –, dass ihr ‚Produkt‘ Statistiken sind, und es sind große Behörden, die gern weiter wachsen wollen, wie alle Konzerne.

In den USA gibt es nach meiner Erinnerung eine Vorschrift, nach der alle herausgebenden Stellen von Befragungen und Formularen jeweils selbst den Aufwand schätzen und begründen müssen, der mit den Befragungen bei den Befragten verursacht wird. 

In Deutschland nicht nötig – hier haben wir die Berichtspflicht. Widerstand ist zwecklos.“
Claus Riepe

Das ist deutsche Bürokratie

„Folgender Fall: Für ein großes Grundstück gibt es eine Baugenehmigung. Auf dem hinteren Teil soll ein Einfamilienhaus gebaut werden, auf dem vorderen Teil ein Doppelhaus. Alle drei Häuser sind genehmigt und von der Baugenehmigung erfasst.

Nun wird das Grundstück real geteilt, sodass jedes Haus sein eigenes Grundstück hat. Mit der Teilung ist die Baugenehmigung erloschen! Für alle drei Häuser muss eine neue Baugenehmigung beantragt werden, obwohl sich die Situation auf dem Grundstück realiter nicht geändert hat.

Und die Kosten für die Baugenehmigung sind nochmals zu zahlen. Das ist deutsche Bürokratie!“
Bernd Christian Haager

>> Lesen Sie auch: Die Verwaltung ist am Limit

Welches Datum zählt?

„Die Zahlung der Pflegestufe 1 von 125 Euro im Monat wurde während der Coronazeit direkt für eine angegebene Haushaltshilfe ausgezahlt. Ab 1. Mai 2023 galt das nicht mehr. Für die Haushaltshilfe brauchte man eine Genehmigung der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, deren Erlangung bis zu fünf Monate dauerte.

Jetzt ist unsicher, ob sich die Zahlung rückwirkend auch auf die Monate Mai 2023 bis Oktober oder November 2023, den Termin der Zusage, erstreckt. Wenn nicht, wäre das ein Skandal, denn die Pflegestufe lag vor.“
Irene Rohles

Der Führerschein-Wahnsinn

„Führerscheinprüfungen sind Ländersache. Es ist nicht möglich in Brandenburg eine Fahrschule zu besuchen und den Führerschein zu machen, wenn man in Berlin direkt an der Stadtgrenze wohnt.

Verwandte Themen Deutschland Robert Habeck Berlin Instagram

Völlig unverständlich, zumal in allen Bundesländern die gleichen Verkehrsvorschriften gelten.“
Hans-Wolfram Thumm

Facharztausbildung anerkennen lassen

„Ich habe in Deutschland Medizin studiert, dann aber neun Jahre im europäischen (!) Ausland gearbeitet. Seit vier Monaten versuche ich verzweifelt meine abgeschlossene Facharztausbildung in Deutschland anerkennen zu lassen. Mit der Anerkennung einer Röntgenermächtigung und einer Notarztausbildung bin ich bereits gescheitert.“
Eike P.

Wenn auch Sie sich im Forum zu Wort melden möchten, schreiben Sie uns per E-Mail an forum@handelsblatt.com oder auf Instagram unter @handelsblatt.

Mehr: Ob der Westen seinen Zenit überschritten hat, darüber debattierte die Handelsblatt-Leserschaft in der vergangenen Woche.

Johanna Müller
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