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Pro und ContraBraucht die deutsche Wirtschaft die Lieferkettenrichtlinie?

Die Ampel streitet sich über die Frage, ob sie der EU-Lieferkettenrichtlinie zustimmen soll. Auch unsere Autoren sind unterschiedlicher Meinung.Thomas Sigmund, Olga Scheer 04.02.2024 - 16:30 Uhr aktualisiert
Die EU-Lieferkettenrichtlinie würde deutsche Firmen verpflichten, Zulieferer auch in der Textilindustrie mehr zu kontrollieren. Foto: IMAGO/Joerg Boethling

Contra: Die bürokratische Belastung ist zu hoch

Von Thomas Sigmund, Büroleiter Berlin

Die größte Bedrohung der deutschen Wirtschaft ist die Bürokratie. Trotz aller Sonntagsreden der Politiker aus Brüssel und Berlin wuchert sie ungehemmt vor sich hin. Der aktuellste Versuch, unsere Volkswirtschaft lahmzulegen, ist das EU-Lieferkettengesetz. Bisher reichte schon das nationale Lieferkettengesetz, um vor allem den Mittelstand und die Handwerker an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Doch wie nicht anders zu erwarten war: In den Brüsseler Amtsstuben hat man wie gewohnt nochmals beim EU-Lieferkettengesetz oben draufgesattelt.

Ohnehin verbringen die Unternehmerinnen und Unternehmer inzwischen mehr Zeit damit, meist schwammig formulierte Vorschriften zur Arbeitszeit, IT-Sicherheit oder zu Verpackungsvorschriften zu lesen, als sich ums Geschäft zu kümmern. Allein in Deutschland beliefen sich 2023 die Kosten durch die Bürokratie, die Bürger, Firmen und Verwaltung umsetzen müssen, auf rund 27 Milliarden Euro. Ein Jahr davor waren es noch knapp zehn Milliarden Euro. Da sind Regelungen zum Datenschutz, zum Ökodesign oder zum geplanten Lieferkettengesetz noch gar nicht mit drin.

Rechtsunsichere Grauzone

Bei Letzterem wären vom Brüsseler Gestaltungseifer noch mehr deutsche Unternehmen betroffen als von der nationalen Regelung. Es gäbe neue Haftungsregeln und die Unternehmen müssten sich künftig gegen Schadenersatzansprüche wehren. Wer sich unter Praktikern umhört, der versteht schnell: Kinderarbeit in der Lieferkette auszuschließen, das ist nicht das Problem. Doch dann beginnt eine große rechtsunsichere Grauzone.

Unternehmen

EU-Lieferketten-Richtlinie: Minister Heil will FDP-Veto nicht akzeptieren

Reiche und arme Länder haben völlig unterschiedlich Standards, welche Arbeit gegen Menschenrechte verstößt. Wer da nicht nach den EU-Haftungsregeln vor den Kadi gezogen werden will, muss Mitarbeiter für die Überwachung der Vorschriften einstellen. Die Großen können sich das leisten. Die Kleinen, an die auch noch die Umsetzung von ihren Auftraggebern delegiert wird, schauen in die Röhre und lassen lieber gleich die Finger davon.

Deutschland befindet sich mitten im Abschwung. Alle Kräfte, nicht nur die FDP mit Bundesfinanzminister Christian Lindner, müssten sich nun darauf konzentrieren, der Wirtschaft das Leben so einfach wie möglich zu machen. Forderte ein Politiker vor ein paar Jahren die Einführung einer „One in, one out“-Regel, löste das unter Wirtschaftsvertretern noch Erheiterung aus.

Heute gibt es eine richtige Wut über dieses leere Versprechen. Wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Unternehmer schon zu „Standortpatriotismus“ auffordert, dann sollte er auch alles dafür tun, das EU-Lieferkettengesetz zu stoppen.

Pro: Die europäische Lieferkettenrichtlinie bietet eine einmalige Chance

Von Olga Scheer, Brüssel-Korrespondentin

Ob Kinderarbeit im Kongo oder Zwangsarbeit in Xinjiang – das europäische Lieferkettengesetz will Unternehmen in die Pflicht nehmen, wenn elementare Standards nicht nur im eigenen Betrieb, sondern auch bei ihren Lieferanten und Geschäftspartnern im Ausland nicht eingehalten werden.

Immer mehr Verbraucher in der EU erwarten, dass diese Standards gelten. Auch Konzernchefs lehnen die Verantwortung nicht grundsätzlich ab. Der Frust über das Lieferkettengesetz fußt auf einem Missverständnis: Denn dieser richtet sich gar nicht gegen die europäische Richtlinie, sondern gegen das deutsche Lieferkettengesetz.

Das deutsche Lieferkettengesetz setzt auf das Prinzip der sogenannten Berichtspflichten. Es verdonnert Unternehmen dazu, teils Hunderte Seiten an Formularen auszufüllen – teilweise völlig sinnbefreit. Kein Wunder, dass die deutschen Unternehmer ächzen.

Faire Produktion

Fünf Mythen und Fakten zur EU-Lieferkettenrichtlinie

Das europäische Lieferkettengesetz hingegen setzt auf einen anderen Mechanismus: den der Haftung. Es schafft einen einheitlichen Rechtsrahmen und gibt Geschädigten die Möglichkeit zu klagen. Und zwar dann, wenn ein Schaden entstanden und nachweisbar ist, dass über die ganze Kette der Lieferverhältnisse hinweg ein europäisches Unternehmen Schuld oder Mitschuld daran trägt. Es zwingt die Unternehmen also dazu, genauer hinzuschauen, und zwar dort, wo es nötig ist.

Das europäische Lieferkettengesetz ist nicht zuletzt ein Tribut an die Opfer von Rana Plaza. Bei dem Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch, in der Kleidungsstücke für Modeketten aus Europa und den USA gefertigt wurden, waren vor zehn Jahren 1134 Menschen gestorben. Es gab den Impuls dafür, westliche Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.

Ob Formulare das Unglück verhindert hätten, ist zu bezweifeln. Es wäre also eine gute Gelegenheit für die deutsche Bundesregierung, Unternehmen von der Bürokratielast zu befreien und sich von dem deutschen Lieferkettengesetz zu verabschieden und es stattdessen durch die europäische Richtlinie zu ersetzen – ohne ihr Gesicht zu verlieren.

Das Scheitern der EU-Richtlinie würde für die deutschen Unternehmen hingegen nichts besser machen. Die deutschen Verpflichtungen wären sie dennoch nicht los. Hinzu kommt, dass das deutsche Lieferkettengesetz ihnen im EU-Binnenmarkt einen Wettbewerbsnachteil verschafft. Andere EU-Mitgliedsländer haben nämlich noch kein nationales Lieferkettengesetz und sähen vermutlich auch keinen Grund darin, nach dem Scheitern der EU-Richtlinie noch eines einzuführen.

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Die EU-Richtlinie setzt an der richtigen Stelle und auf der richtigen Ebene an. Eigentlich weiß das auch die Ampelkoalition inklusive der FDP. Schließlich hat sie die europäische Richtlinie mitverhandelt. Sich nun von dem Vorhaben abzuwenden wäre ein Fehler. Nicht nur weil es zu einem erneuten Reputationsverlust in Brüssel führt. Sondern auch weil dies den deutschen Unternehmen nach all den Belastungen der vergangenen Monate eine weitere Bürde auferlegen würde.

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