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  4. Impf-Debatte: Den Westen zu erst zu impfen ist ökonomische Vernunft

Pro und ContraSollte der Westen zuerst gegen Corona geimpft werden?

Sollte in Europa und den USA zuerst geimpft werden, weil das Virus dort besonders starke Auswirkungen hat? Oder kann nur eine faire Verteilung die Pandemie besiegen?Torsten Riecke und Mathias Brüggmann 07.12.2020 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Foto: Burkhard Mohr für Handelsblatt

Pro: Kühlen Kopf bewahren

Von Mathias Brüggmann

Pandemien erfordern globale Antworten. Und niemand ist sicher, bis alle sicher sind. So lauten derzeit die geflügelten Worte für die Forderung, überall auf der Welt gleichzeitig mit dem Impfen anzufangen. Wer das infrage stellt, der gilt als Teil der sogenannten Impf-Apartheid, der wolle die „reichen, weißen“ Staaten bevorzugen.

Dabei hat sich in der Pandemie herausgestellt, dass einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht hektisch loszulegen die Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen das Virus ist. So ist es jetzt auch beim Impfen.

Wenn nun überall auf der Welt ein bisschen geimpft wird, bringt dies niemanden weiter. Der Impfstoff ist ein knappes Gut – deshalb sollte er zunächst vor allem dort eingesetzt werden, wo er am dringendsten gebraucht wird. So wird es in den nationalen Impfstrategien geplant, und so sollte es auch international sein.

Die Pandemie hat in Europa und den USA am verheerendsten zugeschlagen, hier sind die Infizierten- und Todeszahlen am höchsten. Hier durch massenhaftes Impfen auch eine breite Immunität gegen das Virus herzustellen sollte daher Priorität haben.

Hinzu kommt: Europa und die USA sind – neben China und Japan – auch die größten Volkswirtschaften. Es wird eine große wirtschaftliche Kraft brauchen, die Folgen von Covid-19 zu bewältigen. Dabei sind die Staaten des Westens in besonderer Weise gefragt – vor allem mit Blick auf die Finanzierung der Impfstoffe für die ärmsten Staaten und den Erlass von Schulden dort, wo es wegen Corona zu ökonomischen Verwerfungen kommt.

Ein armer Westen ist kaum zu großer Hilfe fähig. Niemandem nützt es, wenn Europa oder die USA wegen verzögerter Impfungen in einen neuen Shutdown müssen oder immer härtere Schutzvorgaben die Gesellschaften spalten. Dieses Risiko besteht zwar auch für die Schwellenländer. Aber ein Blick auf die Corona-Statistik der Johns-Hopkins-Universität zeigt deutlich, dass – von Indien und Brasilien abgesehen – die meisten Schwellenländer die Corona-Pandemie bisher besser gemeistert haben als die Industriestaaten. Dies ist eine Leistung vor allem in Afrika und Asien, die wenig gewürdigt wird.

Es hat aber nichts mit Egoismus oder Diskriminierung zu tun, jetzt – wo es noch nicht unbegrenzt Impfdosen gibt – erst in Europa und den USA Immunität anzustreben. Und dann sofort in den anderen Ländern nachzuziehen – mit von uns subventionierten Vakzinen. Die jetzt verfügbaren, bei minus 70 Grad zu kühlenden Impfstoffe sind zudem schon in Europa und den USA nur schwer nutzbar. Es in Indien oder Uganda zu versuchen erscheint aussichtslos. Wir dürfen uns impfen lassen. Ohne schlechtes Gewissen.

Contra: Keine Impfstoff-Apartheid

Von Torsten Riecke

Schon Mitte November forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Deutschen auf, den Impfstoff gegen das Coronavirus mit ärmeren Ländern zu teilen. Offenbar macht jedoch der Nationalismus des „Ich zuerst“ auch vor der Corona-Pandemie nicht halt.

Die Forderung „Impft die reichen Länder zuerst“ scheint kurz vor dem Fest der Nächstenliebe wie aus der Adventszeit gefallen. Für eine global faire Verteilung der Impfstoffe sprechen aber nicht nur moralische Gründe. Auch gesundheitspolitisch und wirtschaftlich liegt es im ureigenen Interesse der reichen Länder, dass die ärmeren Nationen nicht ganz hinten in der Impf-Schlange warten müssen.

Die Eurasia Group hat gerade ausgerechnet, dass eine weltweit gleichmäßige Verteilung der Corona-Impfstoffe bis Ende 2021 einen wirtschaftlichen Nutzen von mindestens 153 Milliarden Dollar stiften würde. Die Profiteure sind demnach zehn reiche Länder, darunter auch Deutschland. Bis Ende 2025 könnte sich der ökonomische Vorteil sogar auf 466 Milliarden Dollar summieren. Schon die wirtschaftliche Vernunft gebietet also eine faire Verteilung der Impfstoffe.

Das Virus kennt keine Grenzen und unterscheidet nicht zwischen Arm und Reich. Auch wenn die Armen in allen Ländern viel härter davon betroffen sind, weil sie sich weniger davor schützen können. Dass sich Covid-19 aus der tiefsten chinesischen Provinz in Windeseile rund um den Globus ausbreiten konnte, ist eine Warnung: Sollte das Virus in ärmeren Ländern zu einer neuen Gefahr mutieren, wäre auch eine bevorzugte Schutzimpfung des reichen Westens für die Katz.

Genau deshalb müssen für die globale Verteilung der verschiedenen Impfstoffe die gleichen Kriterien gelten wie hier in Deutschland und in den meisten anderen Ländern auch: Systemwichtige Berufe wie medizinisches Personal und besonders gefährdete Risikogruppen müssen zuerst geschützt werden.

Übertragen auf die Länderebene heißt das: Risikoregionen müssen Vorrang haben. Von dieser Erkenntnis lassen sich auch die WHO und die von ihr unterstützte Impfstoff-Initiative Covax leiten. Wenn in armen Ländern ein erneuter Ausbruch der Pandemie droht, weil das dortige Gesundheitssystem zusammenbricht, ist Gefahr für alle im Verzug und vordringliche Hilfe geboten.

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Das Gebot der Stunde heißt also: den Impfstoff auf alle Länder fair zu verteilen, sodass nicht ihr Reichtum, sondern Not und Risiken über die Reihenfolge entscheiden. Das Horten der Vakzine und ihre Verteilung nach dem Geldbeutel gleichen hingegen einer Impfstoff-Apartheid.

Mehr: Lesen Sie die aktuelle Entwicklung in der Corona-Pandemie im Newsblog.

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