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VerteidigungEine Rückkehr zur Wehrpflicht ist nur die zweitbeste Lösung

Deutschlands Erwerbsbevölkerung altert, es fehlen junge Arbeitskräfte. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer allgemeinen Wehrpflicht wären immens. Es gibt eine bessere Lösung.Bert Rürup 05.09.2025 - 03:49 Uhr Artikel anhören
Mit Blattwerk und Gras getarnte Wehrpflichtige: Volkswirtschaftliche Verluste sind nicht unvermeidbar. Foto: dpa

Düsseldorf. „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Das versprachen CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag. Sie hielten Wort. Keine vier Monate nach Regierungsantritt brachte das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg. Anfang des nächsten Jahres soll das „Wehrdienst-Modernisierungsgesetz“ in Kraft treten.

Geplant ist, mit 15.000 neuen Wehrdienstleistenden zu beginnen und ab 2026 eine verpflichtende Musterung einzuführen. Zur Wehrerfassung müssen junge Männer in einem Fragebogen Auskunft geben, ob sie zum Wehrdienst bereit und fähig sind. Frauen soll dies freigestellt sein.

Das neue Gesetz richtet sich an die 18- bis 25-Jährigen – also jene Altersgruppe, die ökonomisch betrachtet gerade in Deutschland ein besonders knappes Gut ist. Denn bis auf Weiteres fehlen rund 400.000 junge Arbeitskräfte, um jene Lücken in Produktion, Verkauf und Verwaltung zu schließen, die die von Mitte der 1950er- bis Ende der 1960er-Jahre zur Welt gekommenen Babyboomer beim Eintritt in den Ruhestand hinterlassen.

Ungeachtet des aktuellen konjunkturell bedingten Anstiegs der Arbeitslosenzahl ist Personalknappheit eine echte Wachstumsbremse. Nach Berechnungen des Sachverständigenrats verringert der Arbeitskräftemangel bereits jetzt das gesamtwirtschaftliche Trendwachstum um etwa 0,3 Prozentpunkte pro Jahr – Tendenz steigend.

In der Diskussion ist, dass die neuen Wehrdienstleistenden gut 2000 Euro netto monatlich verdienen sollen – und damit geringfügig mehr als jene Beschäftigten, die 40 Stunden pro Woche zum gesetzlichen Mindestlohn arbeiten. Das wäre zwar deutlich mehr als der Sold für Grundwehrdienstleistende, dürfte aber nur für wenige junge Erwerbstätige ein relevanter monetärer Anreiz sein. Teile von CDU/CSU setzen daher eher auf eine Wehrpflicht statt auf Freiwilligkeit.

Gesamtwirtschaftliche Kosten nicht berücksichtigt

Bemerkenswert ist, dass die in diesem Zusammenhang viel wichtigeren Fragen kaum diskutiert werden: Wie sollte eine moderne Armee der Zukunft aussehen, und werden dazu Wehrpflichtige oder qualifizierte Berufssoldaten benötigt? Man darf davon ausgehen, dass es in den großen demokratischen Militärmächten wie etwa den USA, Frankreich oder Großbritannien gute Gründe gab und gibt, die militärischen Belange in die Hände von Berufssoldaten und Berufssoldatinnen zu legen.

195.000
zusätzliche Soldaten
könnte eine Wiedereinführung der Wehrpflicht bringen.

Berechnungen des Ifo-Instituts zeigen zudem, dass eine Wehrpflicht allenfalls auf den ersten Blick die kostengünstigere Variante wäre, nämlich nur dann, wenn man die damit verbundenen gesamtwirtschaftlichen Kosten unberücksichtigt lässt – wie es die Bundesregierung offenbar tut. Im Gesetzentwurf heißt es lapidar: „Weitere Kosten sind nicht zu erwarten.“

Laut Ifo könnte eine Wiedereinführung der Wehrpflicht die Anzahl der aktiven Soldaten um 195.000 erhöhen, sofern ein Viertel der jungen Menschen eines Jahrgangs eingezogen würde. Dies verursache Staatsausgaben in Höhe von etwa 3,2 Milliarden Euro pro Jahr – und volkswirtschaftliche Kosten von 17,1 Milliarden Euro. Bei Gehältern von Wehrdienstleistenden auf privatwirtschaftlichem Niveau wären die Staatsausgaben mit 7,7 Milliarden Euro deutlich höher, die volkswirtschaftlichen Kosten mit 9,4 Milliarden Euro aber deutlich geringer.

Der Grund: Bei einer Einführung der Wehrpflicht stünde ein relevanter Teil junger Menschen erst später dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Dadurch können sie erst später beginnen, Humankapital und Vermögen aufzubauen, was volkswirtschaftliche Verluste nach sich zieht. Die zusätzlichen Staatsausgaben ergeben sich aus dem monatlichen Nettogehalt der Wehrpflichtigen, die Ifo mit 1000 Euro auf zwölf Monate veranschlagt. Dies entspreche „in etwa 42 Prozent des marktüblichen Gehalts“.

Neue Waffensysteme erfordern neue Qualifikation

Überdies wären die Kosten einer Wehrpflicht mit einer niedrigeren Besoldung ungleich verteilt. Vor allem die eingezogenen Wehrpflichtigen – also die jungen Generationen – müssten die wirtschaftlichen Lasten tragen. Die Ifo-Ökonomen machen das nicht zuletzt an dem über die gesamte Lebenszeit gebildeten Vermögen fest. Das Vermögen eines Wehrpflichtigen sei im Durchschnitt etwa zwölf Prozent geringer als das von Menschen, die nicht eingezogen werden. Bei einer Berufsarmee würden hingegen die gesamten Kosten über höhere Steuern auf die Gesellschaft verteilt.

Gleichwohl stellt sich die Frage, wie eine moderne Verteidigungsarmee aussehen sollte und welche Qualifikationen die künftigen Soldaten besitzen sollten. Nach einem Rechnungshofbericht waren im Februar 2025 etwa 5000 Militärangehörige in Dienststellen der Bundeswehrverwaltung sowie weitere 1000 im Verteidigungsministerium beschäftigt.

Zum Vergleich: Vor 15 Jahren waren lediglich 100 Soldaten außerhalb der Streitkräfte eingesetzt. „Über 50 Prozent der Soldaten arbeiten nicht im Kernauftrag, sondern in Stäben, Ämtern und Behörden“, mahnt daher der Wehrbeauftragte des Bundestags Henning Otte (CDU). Hier besteht also Umschichtungspotenzial. Gut möglich, dass der Bedarf an zusätzlichem Personal für die Truppe geringer ist als gedacht.

Hinzu kommt, dass der Einsatz moderner Waffensysteme oftmals Qualifikationen erfordert, die weit über die in einer Grundausbildung erworbenen Fähigkeiten hinausgehen. Für viele militärische Aufgaben sind inzwischen Fachkräfte und Spezialisten gefragt.

Bundeswehr

Vom Schreibtisch zum Truppenübungsplatz

Nun befindet sich Deutschland nicht im Kriegszustand, sodass zum Glück eine eilige Generalmobilisierung nicht erforderlich ist. Damit bestünde die Möglichkeit, in größeren und neuen Strukturen zu denken, anstatt in die Denkweise des Kalten Krieges zurückzufallen. Und der Ukrainekrieg zeigt eindrucksvoll, dass die Truppenstärke allein nicht kriegsentscheidend ist.

Europäische Armee als Zielsetzung

(West-)Europa ist ein Staatenbund, in dem seit nunmehr fast 80 Jahren einstige Erzfeinde als Nachbarn und Freunde friedlich miteinander leben. Die Mitglieder dieses Bundes haben nicht nur viele Kompetenzen an die EU abgetreten, sie haben sogar ihre nationalen Währungen dem gemeinsamen Gedanken geopfert.

Die Kernländer dieser Gemeinschaft sollten daher auch in der Lage sein, die nationale Befehlsgewalt über ihr Militär schrittweise aufzugeben. Eine gemeinsame europäische Armee mit einer gemeinsamen Beschaffung für vereinheitlichte und moderne Waffensysteme könnte zu einem der stärksten Verteidigungsbündnisse der Welt werden.

» Lesen Sie auch: Europas Aufrüstung wird zum Riesengeschäft

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Sicher, dies ist nicht von heute auf morgen möglich. Allerdings stehen nahezu alle EU-Staaten derzeit vor der Herausforderung, ihre Armeen neu aufstellen und ausrüsten zu müssen, sodass jetzt wichtige Weichen gestellt werden. Die Synergieeffekte durch vereinheitlichte Waffensysteme, gemeinsame Beschaffung und Verzicht auf nationale Besonderheiten wären immens. Die kostspieligen Fehler der Vergangenheit sollten nicht wiederholt werden.

Nur wenn der EU solch ein Turnaround gelingt und wenn sie politisch weiter zusammenrückt, hat das Bündnis eine Chance, geopolitisch gehört und beachtet zu werden. Aus der Perspektive der übrigen Welt mag die EU ein großer, interessanter Markt sein – doch geopolitisch sind die meisten Mitgliedstaaten Zwerge.

Mehr: Kommt jetzt die Wehrpflicht zurück? Das soll im Gesetz zum neuen Wehrdienst stehen

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