Morning Briefing: Mehr Industriepolitik, weniger Bürokratie – wie geht das denn?

Kalte Schulter: EU-Außenminister gehen nicht auf Putin-Angebot ein
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
das indirekte Angebot von Wladimir Putin, Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Ukraine aufzunehmen, ist beim Treffen der EU-Außenminister am Montag ohne Resonanz geblieben. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bekräftigte die Haltung der EU: „Wir wollen den Frieden. Und um den Frieden sichern zu können, braucht es die volle Unterstützung der Ukraine.“
Putin, so heißt es in Brüssel, sei nicht ernsthaft an Verhandlungen interessiert, sondern teste eine neue Möglichkeit aus, Europa zu spalten. Nach mehr als zwei Jahren Krieg setze Russland darauf, dass die Kriegsmüdigkeit im Westen wachse – und dass die internationale Unterstützung für die Ukraine abnehme.
Jacob Kirkegaard vom Thinktank German Marshall Fund sieht ebenfalls keine Anzeichen, dass der Kreml ernsthaft an Frieden interessiert sei: „Putin hat die russische Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt und einen Ökonomen zum Verteidigungsminister gemacht. Das zeigt, dass er noch lange Krieg führen will.“
Kirkegaard hält es weiterhin für möglich, dass die Ukraine alle russisch besetzten Gebiete zurückbekommen könnte: „1916 hätte man auch nicht erwartet, dass Frankreich das Elsass zurückerhält. Aber genau das ist am Ende passiert.“

Eine Anspielung auf den Ersten Weltkrieg und das deutsche Friedensangebot an die Alliierten vom Dezember 1916, das in der Tat gewisse Ähnlichkeiten mit dem jetzigen Putin-Vorstoß aufweist. Auch das Deutsche Reich glaubte damals, aus einer Position der Stärke zu verhandeln und wollte keine ernsthaften Zugeständnisse machen. Kein Wunder, dass die Alliierten das deutsche Verhandlungsangebot ähnlich schnell zurückwiesen wie jetzt die EU-Außenminister das russische.
Allerdings: Die Wende im Ersten Weltkrieg gelang den Alliierten auch deshalb, weil 1917 die USA gegen Deutschland in den Krieg eintraten. Momentan besteht eher das Risiko, dass sich die USA nach einem Wahlsieg Donald Trumps aus der Koalition der Ukraine-Unterstützer verabschieden.
Hoffentlich behält Kirkegaard mit seiner Elsass-Analogie Recht. Dass es tatsächlich so kommt, halte ich für alles andere als ausgemacht.
Um sich weiterhin zur Wehr zu setzen, braucht die Ukraine dringend neue Soldaten. Mitte Mai unterschrieb Selenski ein Gesetz, das die Rekrutierung von Häftlingen zulässt. Am Mittwoch wurden die ersten beiden Gefangenen nach der neuen Regelung auf Bewährung freigelassen. Statt ihre Reststrafe abzusitzen, meldeten die verurteilten Diebe sich freiwillig für die Armee.
Der Einsatz von Häftlingen in der Armee erinnert unweigerlich an Jewgeni Prigoschin. Der inzwischen tote Chef der russischen Wagner-Paramilitärs tourte 2022 durch die Haftanstalten und köderte Zehntausende mit dem Angebot, sie würden nach sechs Monaten an der Front begnadigt. Selbst Massenmörder waren willkommen.
Anders als bei Wagner kommen in der Ukraine aber nicht alle Gefangenen infrage. Ausgeschlossen sind mehrfacher Mord, Vergewaltigung, Pädophilie und schwere Korruptionsvergehen. Eine einzelne Tötung verbaut den Weg in die Armee hingegen nicht. Freiwillige dürfen zum Zeitpunkt ihres Antrags aber höchstens eine dreijährige Reststrafe verbüßen.

Gemeinsame Gastbeiträge in renommierten Tageszeitungen sind für Politiker eine feine Art, öffentlich Verbundenheit zu demonstrieren, ohne deswegen gleich öffentlich in Fischbrötchen beißen zu müssen. Olaf Scholz und Emmanuel Macron haben jetzt den Weg über die „Financial Times“ gewählt, um zu zeigen: Wir können doch ganz gut miteinander. In ihrem gemeinsamen Beitrag fordern sie:
Wer bis hierhin wachgeblieben ist, könnte einwenden: Die Forderungen nach Industriepolitik und Bürokratieabbau stehen erfahrungsgemäß in einem gewissen Spannungsverhältnis. Denn Industriepolitik bedeutet mehr staatliche Wirtschafts- und Innnovationslenkung und damit im Normalfall auch mehr Bürokratie. Aber das soll den Zauber dieses wechselseitigen publizistischen Augenaufschlags über den Rhein hinweg nicht schmälern. Zumal es gestern auch beim zweiten Tag von Macrons Staatsbesuch in Deutschland so schön traut zuging – mein Kollege Gregor Waschinski hat die Details für sie.
Die zunehmenden Spannungen um Taiwan entwickeln sich zu einer Gefahr für das globale Geschäft mit Künstlicher Intelligenz (KI). Denn die Hochleistungsprozessoren des Chipherstellers Nvidia – die Hardware-Basis für den aktuellen KI-Boom – stammen zu 100 Prozent aus taiwanesischen Fabriken. Der US-Konzern bezieht all seine Halbleiter von der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), dem weltweit führenden Auftragsfertiger der Chipindustrie. Jürgen Matthes, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), warnt: „Der globale KI-Boom steht auf einem fragilen Fundament, solange die Welt so stark auf Nvidia und TSMC baut.“
China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz. Erst vor ein paar Tagen trainierte die Volksarmee eine Blockade der Insel, um Taiwan für vermeintliche „Unabhängigkeitsbestrebungen“ zu bestrafen. Eine Entspannung ist nicht in Sicht.
Und nicht nur Nvidia hängt an Taiwan: „40 Prozent aller Halbleiter weltweit durchlaufen irgendwann eine TSMC-Fabrik“, warnt Gunther Kegel, Präsident des deutschen Branchenverbands ZVEI. Der Finanzinformationsdienst Bloomberg schätzt, dass die weltweite Wirtschaftskraft um fünf Prozent sinken würde, sollte China Taiwan vollständig abriegeln.
Die Anleger blenden das Taiwan-Risiko bisher aus: Nvidias Aktienkurs stieg vergangene Woche erstmals auf mehr als 1000 Dollar. Allein im Mai ist der Kurs um gut ein Fünftel in die Höhe geschossen.
Ein Nebeneffekt des KI-Booms ist ein steigender Bedarf an Rechenzentren, um all die dabei anfallenden Daten zu speichern und zu verarbeiten.Vielversprechende KI-Aktien wie die von Nvidia sind oft bereits relativ teuer. Können Anleger womöglich von Investments in die dahinter liegenden Rechenzentren profitieren? Unser Geldanlage-Team hat sich die Aktien von zwei auf diese Infrastruktur spezialisierten Unternehmen angesehen. Und dann noch einen Indexfonds, der die Branche der Rechenzentren-Betreiber abbildet. Was von den drei Wertpapieren zu halten ist, lesen Sie hier...
Ein Mann aus Deutschland ist unter den Siegern des diesjährigen Käserennens in der englischen Grafschaft Gloucestershire. Mehrere Menschen stürzen sich dabei einen Hügel hinunter, um einem rollenden Käselaib nachzujagen. „Ich bin absolut begeistert“, sagte Tom Kopke (22) aus München der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge am Montag, nachdem er eines der Rennen gewonnen hatte. Leider könne er sich an nicht viel erinnern. Ihm sei gesagt worden, die beste Strategie sei, sich den Berg runterzurollen, aber er sei einfach gerutscht, sagte Kopke auf Englisch. Und dann müsse man schnell auf die Füße kommen, um zum Ende rennen zu können.
Frei nach Gary Lineker halten wir fest: Ein Käserennen ist ein einfaches Spiel. Viele Menschen jagen einen Hügel herunter und am Ende gewinnt ein Deutscher.




Ich wünsche Ihnen einen runden Tag.
Herzliche Grüße
Ihr
Christian Rickens
Textchef Handelsblatt





