Morning Briefing: Vergessen in München: Was wird aus den Argo-Entwicklern?
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
Softwareexperten sind die seltenen Erden des modernen Arbeitsmarktes. Wer sie hat, gibt sie so schnell nicht mehr her – sollte man meinen. Erst recht nicht in der Automobilindustrie, wo nahezu alle Innovationsherausforderungen um Bits und Bytes kreisen: autonomes Fahren, Lademanagement für Batteriesysteme, ruckelfreies Infotainment.
Umso befremdlicher, was Handelsblatt-US-Korrespondent Felix Holtermann berichtet: Ende Oktober hatten die Automobilkonzerne Volkswagen und Ford das Aus von Argo AI besiegelt. Das Unternehmen entwickelte Soft- und Hardware für vollautonome Fahrzeuge. Doch zuletzt waren Zweifel gewachsen, ob Argo rasche Erfolge erzielen kann.
Allein am Standort München beschäftigte Argo mehr als 280 Mitarbeiter, darunter viele begehrte Informatiker. Nur folgerichtig also, was Volkswagen den deutschen Argo-Mitarbeitern nach dem „Aus“ in einem Memo mitteilte: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Beschäftigungsverhältnis nicht unterbrochen wird.“
Doch seitdem ist seltsam wenig passiert. VW-Manager ließen sich selten blicken, klagen Mitarbeiter. Arbeit gebe es kaum. Eine zweistellige Zahl an Talenten habe bereits gekündigt. Ein Entwickler klagt: „Wir sitzen herum.“
Derweil füllen sich die Postfächer mit Jobangeboten. Er habe Anfragen von Apple, Nvidia, Tesla, Cruise und Daimler erhalten, sagt ein Argo-Mitarbeiter. Die meisten Kollegen, die er kenne, seien in Bewerbungsverfahren, so ein anderer.
Ford macht es offenbar besser. Der Konzern soll sich laut Argo-Kreisen bereits 500 der ehemaligen Mitarbeiter in den USA gesichert haben. Ford-CEO Jim Farley kam dazu persönlich am Argo-Standort Pittsburgh vorbei.
Vorschlag: Vielleicht sollte VW-Chef Oliver Blume zügig eine Dienstreise nach München planen, um bei Argo die Moral zu stärken? Im VW ID.3 ist die Strecke von Wolfsburg mit zwei Ladestopps gut zu schaffen.
Apple bereitet sich offenbar darauf vor, in der Europäischen Union auch alternative App Stores auf seinen iPhones und iPads zuzulassen. Das meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg gestern Abend unter Berufung auf Insider. Als Teil der Änderungen könnten Kunden Software von Drittanbietern auf ihre Geräte herunterladen, ohne Apples Online-Laden zu nutzen.

Hintergrund seien neue Vorschriften der EU-Kommission, die Mitte 2024 in Kraft treten dürften. Bislang können digitale Produkte nur über den Apple-eigenen App Store heruntergeladen werden. Der Konzern erhebt dabei eine Provision von 30 Prozent – ein hochlukratives Geschäft. Diese Einnahmen sind gefährdet, wenn etwa Konzerne wie Microsoft, Meta oder Amazon mit eigenen App-Stores auf Apple-Produkten präsent sein dürfen.
Allerdings geht der Aktienanalyst Angelo Zino vom Analysehaus CFRA davon aus, dass höchstens 0,2 Prozent des Apple-Gesamtumsatzes durch direkte Konkurrenz in den App Stores in Europa betroffen sein dürften: „Am Ende werden die Auswirkungen minimal sein, denn die meisten Verbraucher sind Gewohnheitstiere.“
An solche Zahlen hat man sich schon viel zu sehr gewöhnt: Der Frauenanteil in den Vorstandsgremien der 50 größten börsennotierten Banken in Europa betrug Ende 2021 gerade einmal 22 Prozent. Im Vorjahr waren es sogar noch drei Prozentpunkte weniger. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Spannend wird es bei einem genaueren Blick in die Daten. Studienautorin und BCG-Partnerin Claudia Rasper: „Männer werden sehr viel häufiger Vorstandschef oder Vorstand für Finanzen oder für IT. Frauen sind dafür häufiger in weniger gut dotierten Ressorts wie etwa Personal, Marketing oder Kommunikation zu finden.“
Der Analyse zufolge liegt das Personalressort in Banken zu 48 Prozent in Frauenhand, der Marketing-Bereich zu 39 Prozent. Beim Finanzressort sind es gerade einmal neun Prozent. Diese Unwucht trägt dazu bei, dass Bank-Vorständinnen im Durchschnitt 22 Prozent weniger verdienen als Vorstände. Denn CEOs, IT-Chefs und Finanz-Chefs verdienen in Banken am besten, Personaler und Marketing-Verantwortliche am schlechtesten.
Meine Vermutung: In anderen Branchen sieht es ganz ähnlich aus.
In den USA scheint die Inflation ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Das nährt Spekulationen auf kleinere Zinsschritte der US-Notenbank Fed. Die US-Regierung meldete gestern eine Inflationsrate von 7,1 Prozent, einen Monat zuvor hatte die Teuerung noch bei 7,7 Prozent gelegen. Eine große Mehrheit der Investoren rechnet nun damit, dass die Fed heute die Zinsen nur noch um 0,5 Prozentpunkte anheben wird und nicht mehr um 0,75 Prozentpunkte wie bei den letzten vier Malen.
Und dann sind da noch die großen Ballheims, die nach dem Willen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die sportliche Misere der Nationalmannschaft aufarbeiten sollen. Zum Expertenrat zählen die ergrauten Fußball-Legenden Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler, Oliver Kahn und Matthias Sammer. Dazu kommen Red-Bull-Manager Oliver Mintzlaff sowie Hans-Joachim Watzke, DFB-Vizepräsident und Chef von Borussia Dortmund.
Wir wünschen den Herren viel Erfolg und noch lange Jahre bei rüstiger Gesundheit!

Was mich eigentlich begeistert hat: Auf die naheliegende Journalistenfrage, warum der Expertenrat rein männlich besetzt sei, erwiderte DFB-Präsident Bernd Neuendorf, dass schließlich allein die Nationalmannschaft der Männer Beratungsgegenstand sei. Ein Argument, so clever wie eine Körpertäuschung von Messi. Mit einem einzigen Satz hat Neuendorf den DFB an die Spitze der identitätspolitischen Debatte katapultiert: Na klar, nur Männer sollten das Recht haben, über die Leistungen männlicher Fußballer zu richten.
Die DFB-Zentrale wird fortan zum „Safe Space“ für die vulnerable Minderheit der erfolglosen Nationalspieler. Weibliche Fans, die sich Trikots der Männer-Nationalmannschaft überstreifen, werden beim nächsten Public Viewing freundlich darauf hingewiesen, dass diese Form der kulturellen Aneignung echt nicht okay sei.
Es kann sich nur noch um Wochen handeln, bis die Bundesregierung einen Sonderbeauftragten für den Schutz männlicher Nationalspieler ernennt, selbstverständlich besetzt aus dem Kreis der Opfer.
Ach, was macht eigentlich Lothar Matthäus?
Ich wünsche Ihnen einen Tag, so behütet wie Kahns Tor in seinen besten Zeiten.
Herzliche Grüße
Ihr





Christian Rickens
Textchef Handelsblatt





