Corona-Impfstoff Stiko empfiehlt Impfstopp mit Astra-Zeneca für unter 60-Jährige

Für das Impfen mit Astra-Zeneca könnte es neue Vorgaben geben.
Berlin Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt vorläufig, den Corona-Impfstoff von Astra-Zeneca in Deutschland nur noch bei über 60-Jährigen einzusetzen. Dies teilt das Robert-Koch-Institut (RKI) am Dienstag mit. Zur Zweitimpfung von Menschen, die bereits die erste Dosis Astra-Zeneca erhalten haben, will die Stiko bis Ende April eine Empfehlung abgeben. Nach dem Impfstart mit dem Vakzin Anfang Februar und bei einem empfohlenen Abstand von 12 Wochen zur ersten Impfung seien die ersten Zweitimpfungen Anfang Mai vorgesehen, hieß es weiter.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beraten an diesem Dienstagabend kurzfristig mit den Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit dem Corona-Impfstoff von Astra-Zeneca. Das Bundespresseamt kündigte am Nachmittag für den Abend eine Pressekonferenz an. Eine Sondersitzung der Gesundheitsminister von Bund und Länder hat um 18 Uhr begonnen.
Dann wird auch eine aktuelle Einschätzung des Paul-Ehrlich-Instituts erwartet. Das Institut berichtete am Dienstag, dass in Deutschland bislang 31 Fälle einer Sinusvenenthrombose nach Impfung mit dem Impfstoff von Astra-Zeneca bekannt wurden. In neun Fällen war der Ausgang tödlich.
Mehrere Bundesländer haben die Corona-Impfung mit dem Vakzin des Herstellers Astra-Zeneca für Menschen unter 60 Jahre vorsorglich ausgesetzt. Neben Berlin stoppten Brandenburg, NRW und die Stadt München die Impfungen mit dem Mittel. Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg setzt die Impfungen mit Astra-Zeneca zunächst fort. Dies könnte nun zu einem bundesweiten Impfstopp für Astra-Zeneca in dieser Altersgruppe führen.
Mit Ausnahme von zwei Fällen betrafen laut Paul-Ehrlich-Institut alle Meldungen von Hirnvenenthrombosen Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren. Die beiden Männer waren 36 und 57 Jahre alt. Laut Impfquotenmonitoring des Robert Koch-Instituts wurden bis einschließlich Montag 2,7 Millionen Erstdosen und 767 Zweitdosen von Astra-Zeneca verimpft.
Stiko-Mitglied: „Daten sprechen für einen kausalen Zusammenhang“
Der Erlanger Virologe Klaus Überla, der Mitglied der Ständigen Impfkommission ist, hat die Empfehlung der Ständigen Impfkommission begründet, Astra-Zeneca nicht mehr für Menschen unter 60 Jahre einzusetzen. „Die Entscheidung, Impfungen in dieser Gruppe nicht mehr zu empfehlen, ist richtig. Denn die Daten sprechen für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung von unter 55-jährigen Frauen mit Astra-Zeneca und dem Auftreten von Hirnvenen-Thrombosen bei diesen Frauen – auch wenn das seltene Ereignisse sind“, sagte Überla dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Zugleich müsse man das Risiko dieser Frauen betrachten, schwere COVID19-Erkrankungen durchzumachen. Es sei, wenn sie keine Vorerkrankungen hätten, moderat. „Insgesamt wäre es deshalb besser, diese Gruppe mit anderen COVID19-Impfstoffen zu schützen“, sagte Überla.
Auch bei Männern gebe es Fälle, in denen nach einer Astra-Zeneca-Impfung Hirnvenen-Thrombosen aufgetreten seien; das müsse weiter geprüft werden. Überla betonte: „In der Gruppe der über 60-Jährigen überwiegt das COVID-19-Risiko bei weitem das Risiko der Hirnvenen-Thrombosen. Das belegen auch Daten aus England.“
Keine spürbaren Folgen für Impfstrategie der Bundesregierung
Weil das Mittel vergleichsweise leicht zu transportieren und zu lagern ist, gilt es als besonders gut geeignet für Impfungen in den Hausarztpraxen. Dort sollte das Mittel Ende April zum Einsatz kommen, bis dahin wird es vor allem in den Impfzentren der Ländern gebraucht.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) erwartet dennoch, dass ein mögliches Aussetzen des Impfstoffes für Menschen unter 60 Jahren für die Impfstrategie der Bundesregierung keine spürbaren Folgen haben könnte. „Würde der Impfstoff ausschließlich Personen zwischen 60 und 80 Jahren angeboten, ist aufgrund der Größe dieser Bevölkerungsgruppe davon auszugehen, dass die Impfstoffmenge bis Ende des zweiten Quartals ausreichen würde, um etwa die Hälfte dieser Personengruppe vollständig zu impfen“, sagte ZI-Chef Dominik von Stillfried dem Handelsblatt.
Kritik kommt derweil von der Grünen. „Die Aussetzung der Impfungen sollte nicht von einzelnen Kliniken, sondern in Abstimmung mit den zuständigen Behörden beschlossen werden“, sagte der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen dem Handelsblatt. „Schnellschüsse untergraben das Vertrauen in den Impfstoff. Es ist ein weiterer chaotischer Vorfall im deutschen Krisenmanagement.“
Karl Lauterbach: „Ausschluss ergibt wahrscheinlich Sinn“
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach teilte mit Blick auf die Zahlen auf Twitter mit, dass ein Ausschluss von Menschen unter 55 Jahren „wahrscheinlich Sinn“ mache. Deutschland – und zahlreiche andere Staaten – hatten die Impfung mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff im März vorübergehend ausgesetzt, weil mehrere Fälle mit Thrombosen (Blutgerinnseln) in den Hirnvenen in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung gemeldet wurden.
Mittlerweile wird der Impfstoff wieder verabreicht. Die Europäische Arzneimittel-Agentur Ema hatte die Sicherheit des Vakzins bekräftigt, auch die Ständige Impfkommission in Deutschland hatte sich für einen weiteren Einsatz des Mittels ausgesprochen.
Vor der Entscheidung des Berliner Senats hatten die Universitätsklinik Charité und der ebenfalls landeseigene Klinikbetreiber Vivantes bis auf Weiteres alle Impfungen ihrer Mitarbeiterinnen unter 55 Jahren mit dem Präparat von Astra-Zeneca gestoppt. Nach der Entscheidung des Senats weitete die Klinik die Regelung auf alle Impfungen bei unter 60-Jährigen aus.
In Nordrhein-Westfalen sprachen sich derweil die Leiter von fünf der sechs Uni-Kliniken für einen vorläufigen Stopp von Impfungen jüngerer Frauen mit dem Wirkstoff von Astra-Zeneca aus. Das Risiko von weiteren Todesfällen sei zu hoch, heißt es in einem gemeinsamen Brief an den Bundes- und den Landesgesundheitsminister, über den die Deutschen Presse-Agentur berichtete.
Der Kreis Euskirchen in Nordrhein-Westfalen hatte bereits am Montag die Corona-Schutzimpfung von Frauen unter 55 mit dem Wirkstoff von Astra-Zeneca vorläufig gestoppt. Nachdem eine geimpfte Frau (47) vergangene Woche gestorben war, sei dem Kreis nun der Verdacht auf „eine schwerwiegende Erkrankung“ einer 28-Jährigen nach der Impfung mit Astra-Zeneca gemeldet worden, hieß es.
Beide hatten laut Kreis eine Sinusvenenthrombose erlitten. Die 28-jährige Frau befindet sich nach Angaben des Kreises „in einem stabilen Zustand und wird in einer Spezialklinik versorgt“. Bei einer Sinusvenenthrombose, einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen, handelt es sich um die Verstopfung eines der großen venösen Blutgefäße im Gehirn durch ein Blutgerinnsel.
Mit Agenturmaterial von dpa, Reuters und RND
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