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Interview Justizministerin Lambrecht: „Der Staat steht bereit, sich an Unternehmen ganz zu beteiligen“

Die Bundesjustizministerin spricht über Mietrecht, drohende Firmenpleiten und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zeiten der Coronakrise.
25.03.2020 - 09:27 Uhr 2 Kommentare
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD): „Wie reif unsere Gesellschaft ist, zeigt sich in der gegenwärtigen Situation.“ Quelle: Nils Bröer für Handelsblatt
Christine Lambrecht

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD): „Wie reif unsere Gesellschaft ist, zeigt sich in der gegenwärtigen Situation.“

(Foto: Nils Bröer für Handelsblatt)

Berlin Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat sich vor dem Hintergrund der Coronakrise dafür ausgesprochen, Unternehmen notfalls komplett zu verstaatlichen. „Wir müssen in der Krise unbedingt die Wirtschaftsstruktur unseres Landes schützen und einen Ausverkauf oder eine Zerschlagung von wichtigen Unternehmen verhindern“, sagte Lambrecht dem Handelsblatt. „Der Staat steht bereit, sich hierzu an Unternehmen auch teilweise oder ganz zu beteiligen, wenn dies erforderlich werden sollte.“

Die Ministerin verteidigte in diesem Zusammenhang das Eiltempo, in dem die Politik nun Corona-Notmaßnahmen auf den Weg bringt. „Die gegenwärtige Lage erfordert ein schnelles und entschlossenes Handeln“, sagte die SPD-Politikerin. „Für mich steht momentan die Frage im Mittelpunkt, wie wir in der aktuellen Situation ganz praktisch die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Leben der Menschen abmildern und dauerhafte Schäden verhindern können.“ Mit umfangreichen Hilfen solle zudem „unter allen Umständen“ vermieden werden, „dass ansonsten gesunde Unternehmen wegen der Coronakrise in die Knie gehen und Insolvenz anmelden müssen“.

Damit Unternehmen der Gang zum Insolvenzgericht für den Fall erspart bleibe, dass die staatlichen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen, werde die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. „Die reguläre Drei-Wochen-Frist der Insolvenzordnung ist für die aktuelle Krisensituation zu kurz bemessen“, sagte Lambrecht. „Deshalb wollen wir die Insolvenzantragspflicht für die betroffenen Unternehmen rückwirkend von Anfang März bis Ende September aussetzen.“ Damit gewönnen die betroffenen Unternehmen Zeit, um Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen zu schließen.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Frau Ministerin, zur Bewältigung der Coronakrise verabschiedet die Regierung nie da gewesene Hilfsmaßnahmen. Allein Ihr Ressort ändert das Mietrecht, das Insolvenzrecht, die Strafprozessordnung und das Aktienrecht. Können in der Kürze der Zeit überhaupt gute Gesetze entstehen?
Die gegenwärtige Lage erfordert ein schnelles und entschlossenes Handeln. Für mich steht momentan die Frage im Mittelpunkt, wie wir in der aktuellen Situation ganz praktisch die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Leben der Menschen abmildern und dauerhafte Schäden verhindern können. Das betrifft vor allem die eigene Wohnung und die Versorgung mit Strom, Wasser und Kommunikation. Die gesetzliche Umsetzung in so kurzer Zeit ist nur durch den unglaublich engagierten Einsatz vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meinem Ministerium möglich geworden, denen ich herzlich danke.

Konkret wollen Sie für Unternehmen, die durch die Corona-Pandemie in eine finanzielle Schieflage geraten, die Insolvenzantragspflicht aussetzen. Werden die Probleme damit nicht nur verschoben?
Wir wollen unter allen Umständen vermeiden, dass ansonsten gesunde Unternehmen wegen der Coronakrise in die Knie gehen und Insolvenz anmelden müssen. Die Bundesregierung wird deshalb umfangreiche Hilfen für die betroffenen Unternehmen bereitstellen.

Und die Aussetzung der Antragsfrist?
Wir müssen verhindern, dass Unternehmen nur deshalb zum Insolvenzgericht gehen müssen, weil die von uns beschlossenen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen. Die reguläre Drei-Wochen-Frist der Insolvenzordnung ist für die aktuelle Krisensituation zu kurz bemessen. Deshalb wollen wir die Insolvenzantragspflicht für die betroffenen Unternehmen rückwirkend von Anfang März bis Ende September aussetzen. Für drei Monate ab Inkrafttreten des Gesetzes schließen wir auch die Möglichkeit aus, dass Gläubiger einen Insolvenzantrag erzwingen, wenn der Grund nicht bereits am 1. März 2020 vorgelegen hat. Durch diese Regelungen gewinnen die betroffenen Unternehmen Zeit, um Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen zu schließen.

Die Unternehmen sollen Liquiditätshilfe durch Kredite erhalten. Doch die hohen Belastungen werden die Firmen später absehbar überfordern.
Es ist wichtig, die Hilfen so auszugestalten, dass kein Unternehmen überfordert wird und in Schieflage gerät, wenn die Krise ausgestanden ist. Darauf werden wir achten.

Frankreich ist nach Angaben von Finanzminister Bruno Le Maire bereit, Unternehmen notfalls zu verstaatlichen. Wäre das für Deutschland auch ein gangbarer Weg?
Wir müssen in der Krise unbedingt die Wirtschaftsstruktur unseres Landes schützen und einen Ausverkauf oder eine Zerschlagung von wichtigen Unternehmen verhindern. Der Staat steht bereit, sich hierzu an Unternehmen auch teilweise oder ganz zu beteiligen, wenn dies erforderlich werden sollte. Bundesfinanzminister Scholz und Bundeswirtschaftsminister Altmaier haben das deutlich ausgesprochen.

Mietern Verschnaufpause gewähren

Private und gewerbliche Mieter, die durch das Coronavirus in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und ihre Miete nicht mehr zahlen können, sollen einen stärkeren Kündigungsschutz genießen. Was tun Sie für Vermieter, die ja unter Umständen auch Kredite zurückzahlen müssen?
Sicheres Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Mieter, die von der Coronakrise wirtschaftlich stark betroffen sind, sollen nicht auch noch Gefahr laufen, ihr Zuhause zu verlieren. Ihnen wird eine Verschnaufpause gewährt, wenn sie vorübergehend ihre Mieten nicht fristgerecht bezahlen können. Vermieter werden dadurch nicht übermäßig belastet: Zum einen bleibt die Pflicht der Mieter zur Mietzahlung ja bestehen. Zum anderen erleichtern wir auch die Situation für viele Vermieter durch eine Stundungsregelung bei Verbraucherdarlehen. Wir müssen den Menschen in dieser schwierigen Zeit Sicherheit geben, wo immer es geht. Nur so können wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren, und darauf kommt es jetzt besonders an.

Die Union war für einen „Sicher-Wohnen-Fonds“, durch den Mieter staatliche Hilfe bei der Zahlung ihrer Miete erhalten. Was sprach dagegen?
Ein solcher Fonds ist nach meiner Überzeugung neben den bestehenden Systemen der sozialen Sicherung nicht erforderlich. Wer jetzt infolge der Krise seine Miete nicht mehr zahlen kann, hat in aller Regel Anspruch auf Sozialleistungen wie Grundsicherung oder Wohngeld. Für Selbstständige und kleine Unternehmen stellen wir darüber hinaus Soforthilfen bereit. Hier wird unbürokratisch geholfen werden. Es ist aber denkbar, dass die Hilfen nicht rechtzeitig bei den Betroffenen ankommen und sie deshalb mit ihren Mietzahlungen in Rückstand geraten. Mein Gesetz gibt die Sicherheit, dass es deswegen nicht zu Kündigungen kommt.

Durch Corona kommt es zu einer Schließung von Gerichten und einer längeren Unterbrechung von Strafprozessen. Jetzt rächt sich, dass die Digitalisierung der Justiz über Jahre verschleppt wurde. Braucht es da nicht einen Masterplan für die Zukunft?
Die Bundesländer haben in der Vergangenheit bereits viel dafür getan, ihre Abläufe weiter zu digitalisieren. Viele Richterinnen und Richter sind mit mobilen Arbeitsmöglichkeiten ausgestattet und können daher einen Teil ihrer Arbeit im Homeoffice erledigen. Auch Verhandlungen per Videokonferenz sind in vielen Bereichen zulässig. In der strafrechtlichen Hauptverhandlung ist es allerdings aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich, dass sich Gerichte einen unmittelbaren Eindruck von Angeklagten und Zeugen verschaffen können. Eine Videovernehmung ist hier nur unter besonderen Voraussetzungen möglich. Wir sorgen dafür, dass Strafprozesse nicht von vorne beginnen müssen, wenn sie wegen der Corona-Auswirkungen länger als üblich unterbrochen werden. Unseren Gesetzentwurf dazu hat das Kabinett bereits beschlossen.

Änderungen im Aktienrecht sollen virtuelle Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften möglich machen, die ansonsten wegen Corona nicht stattfinden könnten. Besteht durch die aktuelle Krise auch die Chance auf einen Modernisierungsschub für Deutschland?
Nach der Krise werden wir gründlich und umfassend aufarbeiten müssen, in welchen Bereichen Defizite bestehen und wie wir uns besser für zukünftige Herausforderungen wappnen können. Es zeigt sich gegenwärtig an vielen Stellen, dass die Digitalisierung hierzu einen wichtigen Beitrag leisten kann.

Mit Fakten gegen Fake News und Gerüchte

Ihr Parteikollege, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, sagt, angesichts der Coronakrise könnten Falschinformationen im Netz zu Panik führen oder lebensgefährliches Verhalten fördern. Teilen Sie die Befürchtung?
Wer in dieser herausfordernden Zeit Fake News streut und weiterverbreitet, handelt völlig verantwortungslos und verschlimmert die Situation. Jetzt kommt es auf uns alle an, nur vertrauenswürdige und seriöse Informationen zu teilen und nicht zu Angstmacherei beizutragen.

Jedoch: Die Angst vor dem Coronavirus beflügelt Desinformationen im Internet. Wie kann die GroKo gegensteuern?
Gegen Fake News und Gerüchte helfen am besten Fakten und ein gesundes Misstrauen. Jeder und jede ist aufgefordert, dubiose Nachrichten nicht einfach weiterzuverbreiten, sondern skeptisch zu sein und sie einem Faktencheck zu unterziehen. Hierfür gibt es eine Fülle von zuverlässigen Nachrichtenquellen. Dazu gehören seriöse Nachrichtenportale und Informationsangebote von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Auch auf den Internetseiten der Bundesregierung informieren wir umfassend und zuverlässig.

Müssen Google, Facebook, Twitter und Co. noch stärker in die Pflicht genommen werden? Und: Braucht es harte Strafen für Fake-News-Verbreiter?
In erster Linie müssen die sozialen Netzwerke ihrer Verantwortung gerecht werden: Sie müssen vertrauenswürdige und relevante Informationen klar priorisieren, Fake News schnell erkennen und löschen und Accounts blockieren, die diese verbreiten. Dies haben die Netzwerkbetreiber auch gegenüber der EU-Kommission zugesichert. Falschnachrichten können aber auch strafbar sein, zum Beispiel als Verleumdung oder üble Nachrede, wenn falsche Behauptungen mit einer Person verbunden werden.

Krise als Lackmustest für gesellschaftlichen Zusammenhalt

Was bedeutet der Kampf gegen die Pandemie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hierzulande?
Diese Krise ist ein Lackmustest für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Ich habe den Eindruck, dass die allermeisten Menschen sich solidarisch und verantwortungsvoll verhalten. Das zeigt sich deutlich in der Bereitschaft vieler, selbst aktiv zu werden und anderen zu helfen. Und in der besonderen Wertschätzung für all jene, in der Krise besonders gefordert sind: Krankenschwestern und -pfleger, Ärztinnen und Ärzte, aber auch Kassiererinnen und Kassierer im Supermarkt, um nur einige zu nennen.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fürchtet bei einer zu starken Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bürger, also bei Maßnahmen wie Ausgangssperren, eine Zunahme an häuslicher Gewalt. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Es geht in der aktuellen Situation darum, Menschenleben zu retten. Wir haben deshalb notwendige und verhältnismäßige Kontaktbeschränkungen beschlossen, aber keine Ausgangssperre. Das ist natürlich nur befristet möglich und muss in engen zeitlichen Abständen überprüft werden.

Und die häusliche Gewalt?
Es ist allen bewusst, dass auch diese Beschränkungen nachteilige Folgen haben. In einer Situation mit eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten ist es besonders wichtig, dass Betroffenen von häuslicher Gewalt weiter ausreichend Hilfsangebote zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel Schutzunterkünfte und telefonische Beratungsangebote.

Beim Umgang mit der Krise zeigt sich eine ungewohnte Geschlossenheit über Parteigrenzen hinweg. Nur die AfD zieht nicht mit. Als bekannt wurde, dass sich die Kanzlerin in Quarantäne begeben muss, twitterte ein bayerischer Landtagsabgeordneter: „Gut, hinter Gitter wäre besser.“ Wie beurteilen Sie ein solches Verhalten?
Das richtet sich selbst, dafür fehlen mir wirklich die Worte.

Andere in der AfD machen mit der Virusangst Stimmung gegen Migranten. Glauben Sie, dass so etwas in der breiten Öffentlichkeit verfangen kann?
Wie reif unsere Gesellschaft ist, zeigt sich in der gegenwärtigen Situation. Die Menschen gehen hilfsbereit und solidarisch miteinander um, unterstützen sich gegenseitig und hören nicht auf die dumpfen Parolen von Rassisten und Demokratiefeinden.

Frau Lambrecht, vielen Dank für das Interview.

(Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde, bedingt durch die Coronakrise, schriftlich geführt.)

Mehr: Lesen Sie hier, wie der Staat im Kampf gegen Corona nach immer mehr Macht greift.

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2 Kommentare zu "Interview: Justizministerin Lambrecht: „Der Staat steht bereit, sich an Unternehmen ganz zu beteiligen“"

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  • „Deshalb wollen wir die Insolvenzantragspflicht für die betroffenen Unternehmen rückwirkend von Anfang März bis Ende September aussetzen.“

    Der Unsinn lässt sich augenscheinlich noch steigern!

  • "Der Staat ist bereit sich an Firmen ganz zu beteiligen" Wenn die Justizministerin das
    sagt, dann kann das ja wohl stattfinden!!! Der Kevin wollte ja schon mit BMW anfangen
    noch vor dem Virus. Wer erlaubt es einem Kabinettsmitglied solchen Unsinn zu
    verzapfen? Hier muss die Kanzlerin ein Machtwort sprechen.

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