Koalitionsvertrag „Checks sind zusätzliche Bürokratie” – Ampel-Pläne zur Gesetzgebung sorgen für Kritik

Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne): Neue Checklisten für das Gesetzgebungsverfahren.
Berlin Die künftige Bundesregierung will auf Nummer sicher gehen und ihre Vorhaben auf den Prüfstand stellen, noch bevor die Gesetze beschlossen werden. Gleich drei Checks werden im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP versprochen, wenn künftig neue Vorschriften geschaffen werden:
- Klima-Check: Die neue Ampelkoalition will Klimaschutz zu einer Querschnittsaufgabe machen, „indem das jeweils federführende Ressort seine Gesetzentwürfe auf ihre Klimawirkung und die Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen hin prüft und mit einer entsprechenden Begründung versieht“.
- Digitalisierungs-Check: Im Koalitionsvertrag heißt es: „Kompetenzen in der Bundesregierung werden neu geordnet und gebündelt, ein zentrales zusätzliches Digitalbudget eingeführt und Gesetze einem Digitalisierungscheck unterzogen.“ Damit ist gemeint, dass geplante Regelungen daraufhin überprüft werden, ob sie sich digital umsetzen lassen, Verwaltungsprozesse also automatisiert werden können.
- Gleichstellungs-Check: SPD, Grüne und FDP wollen laut Koalitionsvertrag die Gleichstellung von Frauen und Männern in diesem Jahrzehnt erreichen. Die Parteien versprechen: „Wir werden die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie des Bundes weiterentwickeln, unter anderem mit einem Gleichstellungs-Check künftiger Gesetze und Maßnahmen.“
In den Ministerien dürften die Ankündigungen der neuen Ampelkoalition allerdings für Stirnrunzeln sorgen. Vor allem bei den Legisten, also den für Gesetzentwürfe zuständigen Ministerialbeamten, wird sich die Begeisterung in Grenzen halten. Denn schon jetzt kämpfen die Referenten mit einer Vielzahl von Checklisten.
So beklagte bereits der Nationale Normenkontrollrat (NKR): „Bei ihrer Arbeit sind Legisten angehalten, rund 40 Leitfäden und Arbeitshilfen zu berücksichtigen.“ Diese enthalten demnach Hinweise zum methodischen Vorgehen. So erläutert etwa das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“, wie Gesetzestexte zu formulieren sind.
Daneben gibt es zahlreiche Richtlinien und Empfehlungen, wie Legisten bestimmte wichtige Belange bei der Ausarbeitung neuer Gesetze zu berücksichtigen haben. So muss etwa bei der Arbeitshilfe „Demografie-Check“ überprüft werden, ob eine Norm Auswirkungen auf die demografische Entwicklung haben kann, zum Beispiel auf die Geburtenraten. Oder es müssen die „Erfüllungskosten“ der Vorschriften berechnet werden.
Nachhaltigkeitsprüfung und E-Government-Prüfleitfaden gibt es schon
Tatsächlich muss seit Juni 2009 auf Bundesebene bereits eine Nachhaltigkeitsprüfung von Entwürfen für Gesetze und Verordnungen der Bundesregierung verbindlich durchgeführt werden. Dabei soll überprüft werden, ob und wie das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung von dem jeweiligen Regelungsvorhaben betroffen ist.
Seit dem Jahr 2013 existiert auch schon ein E-Government-Prüfleitfaden, der Anhaltspunkte liefert, wie sich Verwaltungsabläufe digital optimieren lassen. So ganz neu ist die Check-Idee der Ampelkoalition also nicht.
Dafür bleiben die Probleme, die mit der Leitfadenflut verbunden sind. Der Normenkontrollrat kritisierte 2019: „Für Legisten sind jedoch Einschlägigkeit und Verbindlichkeit zahlreicher Anforderungen oftmals unklar, und die Klärung ist mit Aufwand verbunden.“ Die ministerielle Gesetzesvorbereitung sei überfrachtet.
Der NKR forderte, wenn künftig Checks hinzukämen, müssten bestehende Anforderungen „konsolidiert und reduziert“ werden: „Damit Wirksamkeits- und Praxischeck Raum bekommen, muss der bestehende Werkzeugkasten für bessere Rechtsetzung an anderer Stelle aufgeräumt werden.“ Doch nun kommen offensichtlich noch mehr oder sogar doppelte Werkzeuge hinzu.
Ampel-Koalition: Dies sind die grünen Minister
„Checks sind eine zusätzliche Bürokratie“, mahnt der Münchner Verwaltungsrechtler Martin Burgi. Das sei deswegen bemerkenswert, weil der Koalitionsvertrag wiederholt proklamiere, auf der Ebene der Verwaltung Bürokratie zurückfahren zu wollen. „Zugleich wird dann aber neue Gesetzgebungsbürokratie geschaffen oder noch ausgebaut“, sagte Burgi dem Handelsblatt.
Konkret müssten die Ministerialbeamten und mit ihnen ja auch die Parlamentarier in Zukunft einige zusätzliche Stationen absolvieren, bevor sie mit ihrem Gesetz weiterkämen. „Das ist auf jeden Fall kritisch zu sehen“, sagte Burgi. „Es zieht zusätzliche Kontrollebenen in den Vorgang der Gesetzgebung ein, die in der Intensität vorher da nicht waren.“
Der Verwaltungsrechtler weist noch auf eine zusätzliche Befürchtung hin: „Ich sehe ein gewisses Arbeitsfeld für Berater, die dann als Dienstleister die Durchführung des Checks anbieten.“ Dem Ampel-Checks wohne also „eine möglicherweise unterschätzte Privatisierungstendenz“ des Gesetzgebungsverfahrens inne.
Mehr: Wie saubere, wirksame, praxis- und digitaltaugliche Gesetze entstehen.
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