Lobbyreport 2021 Korruptionswächter kritisieren Bundesregierung – sehen aber Fortschritte bei Lobbyregeln

Bei der Lobbyregulierung deutliche Verbesserungen erreicht: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).
Eine gemischte Bilanz zieht der Verein Lobbycontrol nach fast vier Jahren schwarz-roter Bundesregierung. Während die Lobbywächter der Großen Koalition „klare Fortschritte“ bei der Verschärfung von Lobbyregeln attestieren, erheben sie zugleich schwere Vorwürfe gegen die Union.
Das geht aus dem heute vorgestellten Lobbyreport 2021 hervor. Der Bericht bewertet die Politik des Regierungsbündnisses auf fünf Feldern: Transparenz der Interessenvertretung, Transparenz der Gesetzgebung, Seitenwechsel, Parteienfinanzierung, Abgeordnetenregeln und Abgeordnetenbestechung.
Das Ergebnis ist aus Sicht der Lobbywächter durchwachsen: Die Bewertung mittels eines Ampelsystems zeigt keinmal Grün (kein Handlungsbedarf), dafür einmal Grün-Gelb aufgrund von substanziellen Verbesserungen, zweimal Gelb (unzureichende Regelungen, die verbesserungsbedürftig sind) und zweimal Rot (großer Handlungsbedarf, mangelhafte oder keine Regelung).
Es sei gut, dass wichtige und lang anstehende Reformen mit der Einführung des Lobbyregisters und strengeren Regeln für Abgeordnete erfolgt seien. Doch das reiche nicht aus, sagte Timo Lange von Lobbycontrol. „Insbesondere die Union hat weitere notwendige Schritte blockiert.“
Nötig sei eine „Lobby-Fußspur für Gesetze“. Danach müssten Ministerien bei Gesetzentwürfen alle möglichen Einflussnahmen dokumentieren. Außerdem mahnte Lange eine „grundlegende Reform der Parteienfinanzierung“ an.
Korruptionsskandale in der Union im Fokus
In den Wahlprogrammen greifen nur SPD und Grüne das Thema Lobbyismus auf. Union und FDP verlieren dazu kein Wort. Die Sozialdemokraten machen sich, wie von Lobbycontrol gefordert, für einen „legislativen und exekutiven Fußabdruck“ stark, um den Einfluss von Lobbyisten bei Gesetzesentwürfen sichtbar zu machen. Die Grünen wollen dasselbe.
Außerdem plädiert die Ökopartei für striktere Regeln bei Parteispenden und Parteiensponsoring. Wie die SPD wollen die Grünen auch die Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten strengeren Vorschriften unterwerfen.
Nach dem Willen der beiden Parteien sollen künftig Einkünfte aus Nebentätigkeiten auf Euro und Cent veröffentlicht werden müssen. Striktere Regeln soll es auch für Unternehmensbeteiligungen und Aktienoptionen geben. Die SPD will hier eine „Anzeigepflicht“ für Abgeordnete durchsetzen.
Dass sich in Sachen Lobbyregulierung überhaupt etwas in dieser Legislaturperiode bewegt hat, ist auch dem Umstand geschuldet, dass insbesondere CDU und CSU wegen Lobby- und Korruptionsskandalen im Fokus standen. Konkret nennt der Lobbyreport mehrere Fälle von Korruptionsverdacht bei Abgeordneten, die die Unions-Bundestagsfraktion inzwischen verlassen haben.
Es geht um Politiker, die selbst oder über ihre Firmen für die Vermittlung von Corona-Schutzmasken Provisionen erhalten haben oder im Verdacht bezahlter Einflussnahme zugunsten der Kaukasusrepublik Aserbaidschan stehen.
Vor allem die Maskenaffäre und die Aserbaidschanverstrickungen in der Union hätten letztlich den Handlungsdruck so weit erhöht, dass die Große Koalition mit dem Lobbyregister und einer deutlichen Verschärfung der Abgeordnetenregeln „klare Fortschritte“ gemacht habe. „Transparenz und Integrität in der Politik werden durch die neuen Gesetze gestärkt“, heißt es in dem Lobbyreport.
Wo es nach Ansicht der Lobbywächter konkrete Fortschritte gegeben hat und wo es noch Handlungsbedarf gibt, zeigt folgender Überblick:
Abgeordnetenregeln und Abgeordnetenbestechung (Bewertungsampel springt auf Grün-Gelb)
„Erst unter dem Druck schwerwiegender Skandale gab es in dieser Wahlperiode eine umfassende Reform der Regeln für Abgeordnete“, resümiert Lobbycontrol. Damit seien „wichtige Verbesserungen“ erzielt worden.
So verschärfte der Bundestag die Strafen bei Bestechung. Die Annahme von Geldern wurde verboten, und die Pflichten zur Offenlegung von Nebeneinkünften wurden ausgeweitet. Nebeneinkünfte müssen künftig schon ab 3000 Euro im Jahr dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden. Bisher lag die Jahresgrenze bei 10.000 Euro. Zudem werden die Nebeneinkünfte künftig nicht mehr in groben Stufen, sondern auf den Cent genau veröffentlicht.
Insgesamt erzielten Abgeordnete mit Nebeneinkünften in dieser Wahlperiode zwischen 36 und 70 Millionen Euro – genauer lässt es sich wegen des Stufensystems nicht beziffern. Im Mittelwert sind es knapp 53 Millionen Euro, das ist fast eine Verdopplung im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode.
Die Lobbywächter sehen weiteren Handlungsbedarf. So plädieren sie etwa dafür, Abgeordneten zu verbieten, Unternehmen während der Mandatszeit neu zu gründen. Außerdem fordern sie eine unabhängige Kontrolle der Einkünfte. Diese obliegt bisher der Bundestagsverwaltung.
Transparenz der Interessenvertretung (Bewertungsampel springt auf Gelb)
„Über zehn Jahre wurde debattiert, doch jede Initiative scheiterte am Widerstand von CDU und CSU“, heißt es im aktuellen Lobbyreport. Erst in diesem Jahr habe es einen „Durchbruch“ gegeben.
Mit dem Lobbyregistergesetz, das im Frühjahr verabschiedet wurde, soll in Zukunft deutlicher erkennbar werden, wer Einfluss auf politische Entscheidungen und die Gesetzgebung genommen hat. Lobbyisten, die im Bundestag oder bei der Bundesregierung die Interessen bestimmter Gruppen durchsetzen wollen, müssen demnach in dem neuen Register Angaben zu ihren Arbeit- oder Auftraggebern machen sowie zur Anzahl der Beschäftigten und den finanziellen Aufwendungen für die Lobbyarbeit.
Treffen in Ministerien sollen bis hinunter zur Ebene von Unterabteilungsleitern erfasst werden. Das Register wird digital beim Bundestag geführt. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro rechnen.
Transparenz der Gesetzgebung (Bewertungsampel bleibt auf Rot)
Die Lobbywächter bemängeln, dass es nicht gelungen ist, den Einfluss von Lobbyisten auf die Formulierung von Gesetzen mittels einer „legislativen Fußspur“ transparent zu machen. „Das wäre eine wichtige Ergänzung des Lobbyregisters“, betonen sie.
Während die SPD eine „Fußspur“ zusammen mit dem Lobbyregistergesetz beschließen wollte, lehnten CDU/CSU dies ab.
Seitenwechsel von der Regierungsbank zu Unternehmen und Verbänden (Bewertungsampel bleibt auf Gelb)
Seit 2015 gilt: Beim Wechsel in die Wirtschaft ist für Regierungsmitglieder eine Sperrzeit von bis zu 18 Monaten möglich. Wenn Kabinettsmitglieder einen Posten in der Wirtschaft annehmen wollen, müssen sie das laut dem seinerzeit verabschiedeten Gesetz der Bundesregierung schriftlich mitteilen.
Falls eine Prüfung des Falls problematische Überschneidungen mit dem bisherigen Aufgabengebiet des Ministers oder Staatssekretärs ergibt, kann ihm für den Jobwechsel eine Karenzzeit von einem Jahr auferlegt werden. In Ausnahmefällen kann die Sperrzeit sogar 18 Monate dauern.
Lobbycontrol geht die Reform allerdings nicht weit genug. Die Organisation hält die Karenzzeit für zu kurz und bemängelt das Fehlen von Sanktionen bei Gesetzesverstößen. Außerdem fordern die Lobbywächter strengere Regeln für beamtete Staatssekretäre und Abteilungsleiter.
Parteienfinanzierung (Bewertungsampel bleibt auf Rot)
Nach der Maskenaffäre wollten Union und SPD sich schnell auf strengere Regeln verständigen. Diskutiert wurde, den Betrag pro Spender und Jahr auf 100.000 Euro zu begrenzen. Schon bei Zahlungen von 2000 Euro an sollte offengelegt werden, wer gespendet hat. Verdecktes Sponsoring sollte ein Ende haben. Doch daraus wurde nichts. Die Union blockierte letztlich eine Parteispendenreform.
Die Möglichkeiten zur Umgehung der „schwachen Transparenzvorschriften“ sind bekannt, erklärt Lobbycontrol. Es sei davon auszugehen, dass sie künftig noch häufiger und noch stärker ausgenutzt würden. Die nächste Bundesregierung müsse daher „zügig handeln, auch um verloren gegangenes Vertrauen in die Parteiendemokratie wieder zurückzugewinnen“.
Mehr: Die Wahlprogramme der Parteien im Handelsblatt-Wahlcheck
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