Pandemie Sorge vor vierter Welle: Länder pochen weiter auf Corona-Maßnahmen

Wenn jedes Land Corona-Maßnahmen selbst festlegen müsse, führe das zu Verwerfungen, sagte NRW-Ministerpräsident Laschet.
Berlin Die Bundesländer haben vor einem Auslaufen der „epidemischen Lage“ gewarnt, die nach einem Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Ende November nicht mehr verlängert werden soll. Das geht aus einem Beschluss der Konferenz der Ministerpräsidenten (MPK) in Königswinter von Freitag hervor.
Niedrigschwellige Maßnahmen könnten und sollten verhindern, dass es zu einem erneuten Anstieg des Infektionsgeschehens komme, heißt es darin. Andernfalls könnte ein massiver Anstieg der Infektionszahlen wieder „deutlich verschärfte Maßnahmen nötig machen“.
Spahn hatte sich dafür ausgesprochen, die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht über den 25. November hinaus fortzusetzen. Diese Feststellung ist die Grundlage für Verordnungen und zentrale Corona-Maßnahmen in Deutschland.
Zwar haben die Länder auch die Möglichkeit, solche Maßnahmen über Beschlüsse ihrer Landesparlamente aufrechtzuerhalten. Mehrere Ministerpräsidenten warnten aber am Rande der MPK vor einem „Flickenteppich“ und damit verbundener mangelnder Akzeptanz.
„Die Erwartung der Ministerpräsidentenkonferenz ist, dass der Bund sicherstellt, dass es auch nach dem 25. November noch eine Rechtsgrundlage für die Maßnahmen gibt“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Freitag zum Abschluss der Beratungen. Laschet hatte den Vorsitz über das Gremium von dem Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) übernommen.
Sorge um steigende Infektionszahlen
Wenn jedes Land Corona-Maßnahmen selbst festlegen müsse, führe das zu Verwerfungen. Laschet nannte etwa die Maskenpflicht, Abstandhalten und die 2G- und 3G-Regel, mit der nur Genesene, Geimpfte und auch Getestete Zugang zu Innenräumen erhalten. Wochenlang habe es ein stabiles Infektionsgeschehen gegeben, so Laschet. „Nun merken wir bundesweit, dass es einen markanten Anstieg gibt.“
Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland steigt rasch an und liegt derzeit bei 95,1. Die Zahl der Neuinfektionen liegt laut Robert Koch-Institut (RKI) bei 19.572. Vor einer Woche hatte der Wert bei 11.518 Ansteckungen gelegen. Auch der für Maßnahmen entscheidende Wert – die Hospitalisierungsrate – ist deutschlandweit gestiegen.
Sie liegt bei 2,45 und gibt an, wie viele Menschen innerhalb einer Woche auf 100.000 Personen gerechnet mit einer Corona-Erkrankung in Krankenhäuser eingewiesen werden. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit 2020 bei mehr als 15.
Besonders betroffen sind Regionen im Südosten Deutschlands – dort sind wie in Sachsen, Thüringen oder Bayern die Impfquoten deutlich niedriger. So beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz in Thüringen laut RKI jetzt 192,7, in Bayern 153,9 und in Sachsen 142,5. In den Landkreisen Berchtesgadener Land, Traunstein und Mühldorf am Inn liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 400.
Debatte um Booster-Impfung
In Deutschland wurden bis einschließlich Donnerstag nach Angaben der Bundesregierung 69,1 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens einmal gegen Corona geimpft. 66,1 Prozent haben jetzt einen vollständigen Impfschutz. Das RKI hatte aber darauf verwiesen, dass die Impfquote um einige Prozentpunkte höher liegen dürfte, weil etwa nicht alle Betriebsärzte ihre Impfungen gemeldet hätten.
Sorgen bereitet der Fortschritt bei der Auffrischimpfung. Sie wird seit September in Pflegeeinrichtungen angeboten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt sie für Menschen, bei denen die Zweitimpfung mehr als sechs Monate zurückliegt, die mindestens 70 Jahren alt sind oder ein geschwächtes Immunsystem haben.
Laut dem Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) haben bislang 1,5 Millionen Menschen eine solche Auffrischimpfung erhalten. „Mit Blick auf die 4,1 Millionen Personen, die bis zum 31. März zwei Impfungen erhalten haben, ist das deutlich zu wenig“, sagte ZI-Chef Dominik Stillfried dem Handelsblatt.
Derzeit erhielten rund 250.000 Menschen pro Woche die dritte Impfung. „Dieses Tempo sollte dringend gesteigert werden“, sagte Stillfried. Bis in den Dezember seien doppelt so viele Impfungen pro Woche nötig, um der Stiko-Empfehlung zu entsprechen.
„Aktuell steigen die Fallzahlen sehr stark, so dass mit einer weiteren hohen Welle zu rechnen ist, auch weil viele noch gar nicht geimpft sind“, sagte der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz. Umso wichtiger sei es jetzt, den Schutz der Risikogruppen aufzufrischen. „Eine entsprechende Impfkampagne sollte schnellstmöglich gestartet werden“, sagte er.
Spahn: „Normalzustand frühestens im Frühjahr 2022“
Der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann rief die Ministerpräsidenten dazu auf, sich deswegen stärker den Booster-Impfungen und der „unzureichenden Impfquote“ zu widmen. „Ein weiteres Krankheitsdesaster können wir uns nicht erlauben“, sagte Ullmann dem Handelsblatt. „Jetzt müssen niedrigschwellig und mobil alle Risikopatienten geimpft werden.“
Der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, forderte, die Bundesländer müssten für ein flächendeckendes Impfangebot durch die Hausärzte sorgen. „Wo das nicht funktioniert, müssen wieder mobile Impfteams eingesetzt und in die Pflegeeinrichtungen geschickt werden.“
Bei den über 80-Jährigen würden in manchen Landkreisen Inzidenzen weit jenseits der 100 gemeldet. „Deshalb muss jetzt entschiedener gehandelt werden“, sagte er.
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