Staatshilfen Rechnungshof stellt Milliarden-Hilfen für die Bahn infrage
5,5 Milliarden Euro benötigt: Bund will Bahn durch Krise bringen
Berlin, Düsseldorf Pathos wird in diesen Coronatagen in der Bundesregierung großgeschrieben, wo Abstand halten zwar erste Bürgerpflicht, Schulterschluss aber noch wichtiger ist. Im großen Saal seines Ministeriums stehen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Bahn-Chef Richard Lutz und der geschäftsführende Chef der Eisenbahnergewerkschaft EVG, Klaus-Dieter Hommel, in gebührendem Abstand voneinander.
Die Herren schwärmen von ihrem gerade unterzeichneten „Bündnis für unsere Bahn“. Dann stellen sie sich doch noch einmal zusammen – fürs gemeinsame Foto samt Dokument, so als sei ein historischer Staatsvertrag geschlossen worden. „Alle sehen, es sind ein Meter fünfzig“, sagt Scheuer noch in die Kamera, und Lutz fügt an: „Im Weitwinkel.“
Gerade zwei Wochen ist es her, dass der Eigentümer Bund unter maßgeblicher Mitwirkung Scheuers ein milliardenschweres Hilfspaket für die Bahn geschnürt hat. Der Bahn-Vorstand hatte vorgerechnet, dass Corona ein Finanzloch von bis zu 13,5 Milliarden Euro aufreißen wird. Bund und Bahn wollten es je zur Hälfte stopfen.
Noch vor Tagen schockte Hommel mit Mutmaßungen, es könnten bis zu 10.000 Jobs gestrichen werden. Jetzt zeigt der Funktionär sich friedfertig. Die Krise müsse „solidarisch und gemeinsam bewältigt werden“, heißt es versöhnlich in dem Bündnispapier. Doch der Widerstand wächst.
Demonstrativ blieb Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL), der Veranstaltung im Verkehrsministerium fern. Die GdL werde der Bahn keinen „Scheck auf die Zukunft ausstellen, ohne zu wissen, was draufsteht“, wetterte er aus Frankfurt gen Hauptstadt. Der Bahn-Vorstand will auch an den Personalkosten sparen, mehr als zwei Milliarden Euro in vier Jahren.
Schon im Aufsichtsrat der Bahn stellte sich die Frage, wie das Unternehmen das schaffen will, ohne die Tarifverträge anzutasten. Von einer Nullrunde bei den bald anstehenden Tarifverhandlungen war die Rede. Der streitbare Gewerkschaftsführer Weselsky fürchtet dagegen den Eingriff in die Tarifautonomie.
Warum aber, so Weselsky, sollten jetzt Lokführer für das Missmanagement des Bahn-Vorstands und Träume vom Global Player geradestehen? Die GdL lehne eine Absenkung der Löhne oder längere Arbeitszeiten als Beitrag der Arbeitnehmer zur Kosteneinsparung strikt ab.
Bundesrechnungshof zweifelt an Coronakosten
Ärger droht auch von amtlicher Seite. Der Bundesrechnungshof geht in einem kurzfristig vorgelegten Bericht mit dem Hilfspaket der Regierung für die Bahn hart ins Gericht. Der Bericht liegt dem Handelsblatt vor.
Für die Rechnungsprüfer ist weder der milliardenschwere Finanzbedarf der Bahn nachvollziehbar noch die Eile, mit der das Verkehrsministerium die Zahlung einer ersten Tranche von 4,5 Milliarden Euro begründet. Es sei nicht erkennbar, „ob und in welchem Umfang ein kurzfristiger Unterstützungsbedarf bei der DB AG besteht“, heißt es in dem Papier für die Haushälter des Bundestags.
Die Prüfer fragen zudem, ob es keine Alternative gegeben habe. Etwa in Form von Darlehen oder Bürgschaften. Eine Begründung, warum der Bund bis 2024 insgesamt 5,5 Milliarden, im schlechtesten Fall sogar 6,7 Milliarden Euro Eigenkapital zuschießen will, gebe es nicht. Auch stellt der Rechnungshof infrage, ob die Beihilfeprüfung durch die EU-Kommission erfolgreich sein werde. Immerhin würde der Bund 80 Prozent der „angenommenen und verbleibenden Schäden“ in Form einer Eigenkapitalerhöhung übernehmen.
Nach den Unterlagen der Rechnungsprüfer geht es bei den milliardenschweren Hilfen des Bundes offenbar nicht um den Ausgleich von erwarteten Verlusten bei der Staatseisenbahn in diesem und den folgenden drei Jahren. Dieser Eindruck war zunächst entstanden.
Stattdessen reklamiert die Bahn wohl den Ersatz des Umsatzausfalls durch den Corona-bedingten Einbruch im Personen- und Güterverkehr. Der Staatskonzern hat den Umsatzausfall allein für dieses Jahr auf fünf Milliarden Euro berechnet. Zum Vergleich: Die Bahn macht rund 20 Milliarden Gesamtumsatz mit dem Eisenbahn-Inlandsgeschäft.
Über den gesamten Zeitraum ergeben sich 8,2 Milliarden Euro weniger Einnahmen. Sollte es zu einem erneuten Shutdown wegen einer zweiten Infektionswelle kommen, fehlen 10,2 Milliarden Euro bis 2024. Einschließlich der umstrittenen Beteiligungen an der Auslandsverkehrstochter Arriva und dem Logistikkonzern Schenker summiert sich dann laut Bahn der Finanzbedarf auf elf beziehungsweise 13,5 Milliarden Euro.
Dabei schlägt vor allem die britische Arriva zu Buche, die mindestens 2,5 Milliarden Euro braucht. Das Unternehmen hätte längst verkauft werden sollen, was aber zunächst an zu niedrigen Angeboten scheiterte. Nun ist auch der avisierte Börsengang in Amsterdam auf lange Sicht verschoben werden. Die Londoner Auslandstochter sollte mal Milliarden einbringen, jetzt wird sie Milliarden kosten.
Rechnungsprüfer und einige Politiker stellen diese Beteiligung schon lange infrage. Im jüngsten Gutachten heißt es dazu: „Die aktuelle Situation verdeutlicht, dass der Bund nicht nur die Aufgaben finanzieren soll, die seiner Gewährleistungsverantwortung unterliegen. Nunmehr hat er auch noch die sich realisierenden Risiken des DB-AG-Konzerns aus seiner weltweiten Geschäftstätigkeit zu übernehmen.“ Der Arriva-Verkauf sei auf Jahre ungewiss.
Auch die Wettbewerber der Bahn sehen das Rettungspaket kritisch. Scheuer versucht, die Bedenken zu zerstreuen, spricht von „flankierenden Maßnahmen“ und nennt die vor einer Woche schon verkündeten 30 Millionen Euro für ein Forschungsprogramm im Bahnsektor. Doch die private Konkurrenz der Staatsbahn plagen andere Sorgen. Sie befürchtet, dass die Bundesmilliarden zu Wettbewerbsvorteilen der Deutschen Bahn führen werden.
Deshalb mahnt der Rechnungshof, dass „mit den jetzt beabsichtigten Kapitalhilfen des Bundes keine Fehlentwicklungen, Fehlinvestitionen oder sonstigen Verluste finanziert werden, die von der DB AG schon vor Beginn der Corona-Pandemie selbst verursacht wurden“.
Kapitalspritze ohne Alternative?
Die Haushaltspolitiker im Bundestag befürchten genau das. „Die Bahn ist seit Jahrzehnten defizitär, die Corona-Pandemie hat die wirtschaftlichen Aussichten nur noch einmal zusätzlich eingetrübt“, sagte Christoph Meyer (FDP) dem Handelsblatt. Staatshilfen in Milliardenhöhe und höhere Schulden würden die Probleme der Bahn nicht lösen.
„Der Bund fragt indes nicht nach, verlangt etwa auch keine Alternativen zur Eigenkapitalerhöhung, sondern würde durch die gewährten Mittel auch noch die mehr als 700 Bahn-Beteiligungen auf der ganzen Welt mitfinanzieren. Meyer befürchtet, dass neue Milliardenhilfen einfach im Konzern versickern und das Unternehmen mittelfristig um neue Hilfen bitten muss.
Dabei soll die Bahn doch helfen, die Klimaziele zu erreichen. Deshalb zeigte sich der Bund schon vor der Coronakrise äußerst großzügig. Die Zahl der Fahrgäste im Personenverkehr sollte bis 2030 auf jährlich 260 Millionen verdoppelt, der Anteil der Güterverkehrstochter DB Cargo am gesamten Güterverkehr bis 2025 auf ambitionierte 25 Prozent hochgeschraubt werden. Dafür spendierte der Bund über 50 Milliarden Euro zum Ausbau des Schienennetzes. Und weitere elf Milliarden Euro Eigenkapital bis 2030.
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