Getyourguide-Chef Johannes Reck: „Google behindert Innovationen“
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InterviewGetyourguide-Chef Johannes Reck: „Google behindert Innovationen“
Der CEO des Reise-Start-ups spricht im Interview über die Zukunft des Tourismus, die staatliche Ohnmacht bei digitalen Fragen, seine Börsenpläne – und Googles Übermacht.
Herr Reck, Sie haben Biochemie mit dem Schwerpunkt Hirnforschung studiert. Was passiert im Gehirn von Menschen, die um ihre Existenz fürchten? Es gibt eine Ausschüttung von Hormonen an den Synapsen und in der Folge eine starke Reizung des Nervensystems. Die Folge: Unruhige Gedanken, Emotionen, Stress und schlaflose Nächte. All das ist im März 2020 sicher auch bei mir aufgetreten.
Wie haben Sie darauf reagiert? Wir haben die Mitarbeiter entweder in Kurzarbeit geschickt oder ihnen angeboten, ihr Gehalt gegen stark vergünstigte Aktienoptionen zu tauschen.
Wie viele haben das gemacht? Unter anderem unsere Entwicklungsabteilung, das sind über 300 Mitarbeiter. Das war hart, weil es für alle finanzielle Einbußen bedeutet hat. Doch durch das Programm ist auch die Bindung ans Unternehmen gestiegen, weil sich viele nun selbst als Unternehmer gesehen haben. Heute sind 15 Prozent von Getyourguide in der Hand der Mitarbeiter.
Trotzdem haben Sie Ende des Jahres 20 Prozent der Leute entlassen. Irgendwann waren die Maßnahmen ausgereizt.
Wie groß war der Druck der Investoren? Der Risikokapitalgeber Softbank, der Hunderte Millionen Euro in Getyourguide investierte, hatte selbst ein schwieriges Jahr. Im März 2020 gab es heftige Auseinandersetzungen, weil die Investoren härtere Personalmaßnahmen forderten. Dazu war ich nicht bereit. Stattdessen haben wir unsere Kosteneinsparziele durch Programme wie das ‚Aktien-für-Gehalt‘ Programm übererfüllt. Als die Investoren sahen, dass wir es schaffen entstand ein starkes Vertrauen in unser Krisenmanagement.
Wie nah war Getyourguide dem Abgrund? Unsere Existenz war zu keiner Zeit gefährdet. Aus der letzten Finanzierungsrunde war der Großteil des Geldes noch nicht investiert, wir hätten damit zwei Jahre ohne Umsatz überleben können. Zudem war mir klar, dass das Reisegeschäft wieder anspringen wird.
Wie steht Getyourguide heute da? Ich denke, dass wir gegen Ende dieses Jahres in unseren Kernmärkten in die Profitabilität kommen werden. Es herrscht ja jetzt deutlich weniger Wettbewerb als vor der Krise. Beim Umsatz werden wir 2021 irgendwo zwischen 100 und 200 Millionen Euro landen, also ungefähr bei der Hälfte von dem, was wir 2020 ohne Corona geschafft hätten. 2022 wird aller Voraussicht nach ein sehr starkes Jahr, da die Leute unbedingt wieder reisen wollen und viel gespart haben.
Was war der größte Managementfehler in der Pandemie? Dass wir in den USA so viele Kollegen entlassen haben. Heute ist das die Region, die am schnellsten aus der Krise kommt. Dort sind wir beim Umsatz schon wieder auf dem Vorkrisenniveau. So ein Wachstum sehen wir auch in Australien und Neuseeland.
Reisen die Menschen jetzt anders als vor der Pandemie? Ja, das sehen wir sehr deutlich. Die meisten meiden die großen Städte. In den USA sind gerade eher die Nationalparks, Hawaii oder Miami gefragt. Und die Menschen reisen insgesamt nachhaltiger. Ich denke, dass das auch nach der Pandemie bleiben wird.
Ist das vielleicht mehr Wunsch als Wirklichkeit? In den vergangenen Jahren zeigen die Zahlen ein immer größeres Interesse an Fernreisen. Das stimmt nur zum Teil. Wir haben auch vor der Pandemie einen Trend hin zu Urlauben in der eigenen Region gesehen. Viele verstehen mittlerweile: Es muss nicht immer Phuket sein.
Vielleicht ist es auch schlicht die Angst vor Corona, die Menschen in die Natur treibt. Sicher auch. Aber nicht nur. Wir sehen, dass die Jüngeren mehr Wert auf nachhaltige Reisen legen.
Vita
Johannes Reck gründete Getyourguide zusammen mit seinem Studienfreund Tao Tao 2009 in Zürich – später verlegten sie den Hauptsitz nach Berlin.
Getyourguide ist in mehr als 20 Ländern aktiv. 2019 steckten Investoren wie Softbank, Lakestar und der Singapurer Staatsfonds Temasek 484 Millionen US-Dollar in das Unternehmen.
Und die Reisebranche in Europa? Der Trend zur Öffnung ist auch hier zu sehen. Aber auf einem viel niedrigeren Niveau. Es ist paradox, dass die USA so einen Boom erleben, während Europa so schlecht dasteht.
Wie konnte es dazu kommen? Es wurden große strategische Fehler gemacht. Der späte Einkauf und die verpasste Vorproduktion von Impfstoffen sind für mich unerklärlich. Vor allem ist die Pandemiebekämpfung aber ein Symptom der staatlichen Ohmmacht gegenüber der technologischen Neuzeit. Schauen Sie sich nur das Dashboard des Robert Koch-Instituts an. Die Datenqualität und Analyse ist doch grottenschlecht. Das wäre in keiner Abteilung in unserem Unternehmen akzeptabel. Warum gibt es hier nicht Echtzeit-Reporting, KI-Analyse und Tracking? Dass all das nicht stattfindet – und dass auch niemand nachfragt, zeigt doch, dass wir nicht die richtigen Leute an den entscheidenden Stellen haben. In Parlament, Ministerien und Verwaltung fehlen schlicht Menschen mit Digitalkompetenz.
Das sind die üblichen Vorwürfe. Was hätte anders laufen müssen? Wenn ich Bundeskanzler gewesen wäre, hätte ich den Leuten gesagt: Wir tracken jetzt eure Handydaten, um die Infektionsketten besser verfolgen zu können und die Pandemie zu beherrschen.
Dann wären Sie aber nicht mehr lange Bundeskanzler. Vielleicht. Aber man hätte den Menschen auch die Konsequenzen der strategischen Optionen erklären müssen. Ich glaube nicht, dass es sinnvoller ist, Unternehmern acht Monate ihr Geschäft abzusperren, beispielsweise Restaurants oder Attraktionen komplett dichtzumachen. Selbst wenn diese Kleinunternehmer aus der Krise kommen, dann sind sie hochverschuldet und haben ihre finanziellen und emotionalen Reserven aufgebracht. Für diese Kurzsichtigkeit und den Mangel an Strategie zahlen wir jetzt einen sehr hohen Preis.
Was meinen Sie damit konkret? Wir stehen vor einer Spaltung der Gesellschaft, weil viele Menschen viel verloren haben. Das Ausmaß werden wir erst in den nächsten Monaten sehen.
Wie hat sich die deutsche Start-up-Szene in dieser Krise entwickelt? Sie ist stärker geworden, und wir sehen einen Innovationsschub. Es sind tolle neue Unternehmen entstanden. Das hat sicher auch mit der gewaltigen Liquidität zu tun, die vor allem für die Frühphase verfügbar ist. Verglichen mit den USA sind wir aber immer noch klein, das dürfen wir nicht vergessen.
Sie haben – zusammen mit anderen Unternehmern – ein Papier für die digitale Zukunft Deutschlands geschrieben. Davon gibt es so viele. Was wollen Sie damit erreichen? Es geht darin um eine Modernisierung des Bildungssystems, die Immigration von Top-Fachkräften aus dem Ausland, noch bessere Finanzierung von Technologieunternehmen und die digitale Souveränität Europas. Diese Punkte haben wir mit CDU-Chef Armin Laschet bereits diskutiert.
Der gerade noch andere Themen hat. In der Tat. Aber ich denke, dass sich von unseren Vorschlägen einiges im CDU-Wahlprogramm wiederfinden wird. Auch bei den Grünen und bei der FDP sehen wir großes Interesse an diesen Themen. Wir wollen erreichen, dass die nächste Regierung nicht noch einmal vier Jahre Zeit vergeudet.
Sie haben vergangenes Jahr einen heftigen Streit mit Google angefangen. Musste das sein, um von den eigenen Problemen abzulenken? Das war nicht der Punkt. Wir waren in Folge des globalen Corona-Lockdowns in einer akuten Notsituation und mussten Kosten kürzen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Google hatte einen riesigen Hebel, uns zu helfen, indem sie Rechnungen für Kunden gutschreiben oder stunden, deren Zahlungen wir aufgrund der Reiserestriktionen erstatten mussten. Doch darüber wollte der Konzern nicht sprechen. Stattdessen wurde Google selbst immer mehr zu einer echten Bedrohung für uns.
Wie das? Indem Google uns gezwungen hat, unsere Angebote und Daten immer enger mit der Google-Plattform zu verknüpfen. Die Folge wäre gewesen, dass unsere Kunden seltener auf unsere Seite kommen, weil sie alles direkt bei Google buchen können. Dagegen haben wir uns gewehrt. Und das hat gewirkt.
Wie das? Google hat einige Funktionen, die uns geschadet haben, abgeschaltet.
Der Konzern inszeniert sich gern als Partner des digitalen Ökosystems. Tatsächlich ist Google für viele digitale Unternehmen eine schleichende Gefahr. Der Konzern geht in sehr viele für Konsumenten wichtige Bereiche, untergräbt den Wettbewerb und versucht, sie mittelfristig zu dominieren. Im Reisegeschäft haben wir das deutlich gemerkt. Google erpresst viele Partner regelrecht.
Sky Walk am Grand Canyon
Das US-Touristikgeschäft hat sich deutlich erholt.
Das sind schwere Vorwürfe. Das müssen Sie erklären. Der Konzern entwickelt immer neue Produkte und Werbedienstleistungen, die prominent in der Suchmaschine erscheinen. Wenn ich als Partner dabei nicht mitmache und meine Daten nicht mit Google teile, habe ich das Nachsehen gegenüber meiner Konkurrenz. Das empfinde ich als Erpressung.
Was wäre die Lösung? Eine scharfe Regulierung. Die Google- Infrastruktur muss offen für alle sein. Das ist heute nicht der Fall. Und da sehe ich eine große Gefahr, weil es dem Wettbewerb schadet und Innovationen behindert. Suchmaschinen sollten nicht gleichzeitig Reisebüro, Shoppingcenter und Browseranbieter sein dürfen.
Wollen Sie damit sagen, dass Google Innovationen behindert? Definitiv. Wir sehen, dass weniger Kapital in Felder fließt, in denen Google aktiv werden könnte.
Bei Nutzern, darauf beruft sich Google immer wieder, sind die Angebote extrem beliebt. Aber so ein riesiges Monopol führt letztlich zu höheren Preisen und am Ende auch zu einem schlechteren Angebot für die Kunden.
Sie haben kürzlich einen Kredit über 80 Millionen Euro aufgenommen – um Löcher zu stopfen? Nein. Wir wollen eine aktive Rolle bei der Konsolidierung im Reisemarkt spielen. Aber dazu wird es erst Ende des Jahres News geben.
Investoren kalkulieren mit einem Exit nach zehn Jahren. Wie groß ist der Druck Ihrer Geldgeber? Aber selbst die Investoren, die in der Frühphase zu Getyourguide gekommen sind, sind noch sehr positiv, was unsere Entwicklung angeht. Daher gibt es da überhaupt keinen Druck.
Trotzdem bleibt die Frage: Wann kommt der Börsengang? Liquidität für Investoren, Mitarbeiter und die Firma sind ein Thema. Und ein Börsengang ist definitiv das erklärte Ziel von Getyourguide. Ich will das gar nicht hinauszögern. Mir ist klar, dass man so ein Fenster auch verpassen kann. Aber es hat allerhöchste Priorität zunächst wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau zu kommen.
Das heißt Ende 2021? Das ist noch zu früh. Aber wir werden auch nicht mehr ewig warten.
1 Kommentar zu "Interview: Getyourguide-Chef Johannes Reck: „Google behindert Innovationen“"
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Herr_EN Oliver Moser
Wie hier schon gesagt wurde, es fehlen strukturelle Digitalkompetenzen in ganz Deutschland. Seit Jahrzehnten wird von Digitaloffensiven in der Bundesregierung berichtet. Es zeigt sich nur immer wieder, wie handlungsunfähig sämliche Instutitutionen in diesem Land sind, wenn es um Digitalisierung geht. Digitalisierung ist schon lange kein Zukunftsfeld mehr, sondern state of the art mit auserprobten Technologien ohne viel Risiko. Kurzum: Es fehlt nicht am Geld, noch an der Technologie, sondern an der Kompetenz der alten studierten Juristen und Politikwissenschaftler, welche hauptsächlich dieses Land steuern.
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Wie hier schon gesagt wurde, es fehlen strukturelle Digitalkompetenzen in ganz Deutschland. Seit Jahrzehnten wird von Digitaloffensiven in der Bundesregierung berichtet. Es zeigt sich nur immer wieder, wie handlungsunfähig sämliche Instutitutionen in diesem Land sind, wenn es um Digitalisierung geht. Digitalisierung ist schon lange kein Zukunftsfeld mehr, sondern state of the art mit auserprobten Technologien ohne viel Risiko.
Kurzum: Es fehlt nicht am Geld, noch an der Technologie, sondern an der Kompetenz der alten studierten Juristen und Politikwissenschaftler, welche hauptsächlich dieses Land steuern.