Verkehrsmanagement Experten: Städte müssen zwingend für neue Verkehrskonzepte sorgen

Neue Verkehrskonzepte werden nur funktionieren, wenn die Menschen diese Angebote möglichst einfach nutzen können.
Frankfurt Wer an neue Verkehrskonzepte denkt, dem kommen zwangsläufig Namen wie Uber, Lyft oder Alibaba in den Sinn. Es sind die Vorreiter ganz neuer Mobilitätskonzepte, denen man am ehesten zutraut, die zentrale Plattform für die Verkehrswende in den überlasteten Metropolen stemmen zu können, auch in Deutschland. Allenfalls sind dort nach Ansicht vieler noch die Deutsche Bahn und vielleicht einer der großen Autokonzerne im Rennen.
Die Experten der Boston Consulting Group (BCG) indes sehen die großen Plattform-Anbieter in Europa und auch in Deutschland an einer ganz anderen Stelle: den Kommunen. „Viele Kommunen wollen mittlerweile ein solches integriertes Verkehrsmanagement. Wer immer das aber macht, greift zwangsläufig auch tief in die Verkehrssteuerung ein. Da ist der Schritt naheliegend, auch die entsprechende Mobilitäts-Plattform für den Konsumenten zu betreiben“, sagte Nikolaus Lang, Partner BCG, dem Handelsblatt.
Die Situation in Europa sei eine andere als etwa in den USA, wo tatsächlich eher Anbieter wie Uber die Führung übernehmen und zum Amazon der Mobilität würden.
Auf den ersten Blick eine überraschende These. Fehlt es doch vielen Städten an den notwendigen Kapazitäten – sowohl finanziell als auch personell. Gerade die deutsche Verwaltung gilt zudem nicht gerade als sehr agil. Angesichts der drängenden Probleme beim urbanen Verkehr ist die Zeit aber knapp.
BCG-Partner Lang weiß um diese Hürden. Dennoch ist er davon überzeugt, dass die Kommunen beim Thema Plattformen für eine neue Mobilität die Rolle des Treibers übernehmen müssen und auch wollen: „Vielen ist klar, dass man die Herausforderungen einer urbanen Mobilität nur bewältigen kann, wenn man ein ganzheitliches und gesamtwirtschaftliches Konzept hat.“
Aktuell sind die meisten Städte in Europa weit von einem solchen ganzheitlichen Konzept entfernt. Nur in wenigen Metropolen wie Paris, London oder Helsinki gibt es erste integrierte Verkehrsmodelle. Ansonsten herrscht vielerorts mobiles Chaos. „Wir haben bei den Mobilitätsangeboten derzeit noch eine Art Wildwuchs. Es konkurrieren zahlreiche Angebote, teilweise sogar vom gleichen Anbieter“, so Lang.
Man sehe aber, dass sich die Städte zunehmend intensiver damit beschäftigen würden, wie man dieser Situation Herr werden könne. „Es gibt zwei zentrale Hebel, um den Wildwuchs in den Griff zu bekommen. Der erste ist ein integriertes Verkehrsmanagement. Der zweite ist ein persönlicher Verkehrsassistent, also die mobile Plattform für den Konsumenten“, macht Lang deutlich.
Zumindest den persönlichen Verkehrsassistenten haben inzwischen einige Städte als ein wichtiges Thema entdeckt. Berlin etwa arbeitet mit dem litauischen Startup Trafi zusammen. Die gemeinsam mit der Berliner Verkehrsbetrieben BVG entwickelte App „Jelbi“ soll in Zukunft alle Mobilitätsangebote der deutschen Hauptstadt vom E-Scooter bis zur U-Bahn bündeln.
So weit sind andere Kommunen lange nicht. Der Versuch, die 40 deutschen Verkehrsverbünde mit über Hundert Verkehrsbetreibern unter einem Dach zu vereinen, kommt nur mühsam voran. Dabei gibt es bereits eine mit dem Verkehrsverband VDV entwickelte offene Plattform „Mobility Inside“, die zugeschnitten auf die jeweilige Region genutzt werden könnte.
Guter Nahverkehr alleine reicht nicht
Das Verkehrsmanagement sei zentrale Aufgabe der Kommunen, sagen die Experten von der Beratungsfirma BCG. Da sei es naheliegend, dass die sich auch um den zweiten Schritt kümmern würden. Doch es wartet keine einfache Aufgabe: Die Komplexität des Themas ist gewaltig. Vom Auto über den Nahverkehr, E-Scooter und Fahrräder bis hin zu Fußwegen – die Zahl der Verkehrsträger ist zuletzt noch gewachsen.
Und alle müssen so geschickt miteinander vernetzt werden, dass der Verkehr entlastet wird, nicht noch zunimmt. Es nützt zum Beispiel nichts, einen guten Nahverkehr zu entwickeln, wenn der Nutzer auf der letzten Meile etwa ins Büro keine Angebote hat. Dann greift er im Zweifel doch wieder zum Auto.
Hinzu kommt: Neue Verkehrskonzepte werden nur funktionieren, wenn die Menschen diese Angebote möglichst einfach nutzen können. Optimal ist eine App für alle Angebote. Doch die Umsetzung ist heikel. Denn wer so eine Plattform betreibt, ist nicht nur im Besitz zentraler Daten, er besitzt auch eine Art Monopol in der Mobilität.
Das könnte nicht nur eine kartellrechtliche Hürde sein, es erschwert auch den Aufbau der notwendigen Partnerschaften. Anbieter von Mobilitätslösungen scheuen sich, ihre Dienste auf einer fremden Plattform anzubieten, weil sie zum Beispiel fürchten, den direkten Kundenkontakt zu verlieren.
Doch Lang ist überzeugt, dass solche Probleme zu bewältigen sind. „Ich glaube nicht, dass es kartellrechtliche Hürden für eine solche Mobilitätsplattform gibt“, sagt er. Diese sei eher ein Aggregator verschiedener Angebote. „Jedes davon, sei es die Straßenbahn, das Taxi oder der E-Scooter, muss für sich profitabel sein und behält seine Hoheit bei der Preisgestaltung.“
Auch das Thema Datenbesitz und Datenhoheit sei lösbar: „Es kann jedem Konsumenten freigestellt werden, welche Daten er hergibt, um bestimmte Dienstleistungen zu nutzen.“ Bei dem Thema geht es um viel Geld. Die Experten von BCG schätzen, dass der Markt für urbane Mobilitätsplattformen 2035 ein Volumen von 25 Milliarden Dollar erreicht haben wird.
2035 werde jeder Nutzer in den USA, in Europa und in Asien pro Jahr 400 Fahrten über solche Plattformen pro Jahr buchen, heißt es in einer Studie der Beratungsgesellschaft. Bisher hinke Europa beim Thema Mobilitätsplattformen allerdings hinter China und den USA hinterher, so Lang. Und innerhalb von Europa sei wiederum Deutschland nicht besonders weit vorne dabei.
„Wir spüren aber den Willen von Kommunen auch in Deutschland, das Thema integriertes Verkehrsmanagement anzugehen‘, sagt der BCG-Experte und hat einen zentralen Rat parat: „Ich kann nur jeder Stadt empfehlen, sich intensiv umzuschauen, was es bereits an Lösungen auf der IT-Seite gibt, und was in anderen europäischen Städten wie etwa Helsinki, London oder Paris geschieht. Und man sollte ohne Scheu das Gespräch mit Anbietern wie Whim oder Alibaba suchen und schauen, ob es nicht White Label-Lösungen gibt, die sich für verschiedene Städte eignen.“
Mehr: Die hohen staatlichen Hilfen für Elektroautos sind ein Zeichen für dessen fehlende Effizienz, kritisiert eine Studie. So würden falsche Anreize gesetzt.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
So lange die GROKO hart erarbeitetes Steuergeld in Höhe von Millionen (Hunderte.Mill.) Euro weltweit verschenkt, bleibt für die deutsche Infrastrukturverbesserung kein Geld mehr übrig.. Jetzt nicht und auch nicht zukünftig.