Ölindustrie Shell verliert Manager im Streit um Neuausrichtung

Einigen seiner Abteilungsleiter geht der Wechsel von schwarz zu grün wohl nicht schnell genug.
Düsseldorf Nur wenige Wochen vor der offiziellen Verkündung der neuen Strategie kracht es hinter den Kulissen des Ölkonzerns Shell. Gleich vier Abteilungsleiter haben das Unternehmen in den vergangenen Wochen verlassen – weitere sollen folgen.
Einigen von ihnen sei die angekündigte Wende des Öl- und Gasriesen von fossilen zu erneuerbaren Energien nicht radikal genug, munkelt man. „Die Leute fragen sich, ob sich überhaupt etwas ändern wird“, zitiert die „Financial Times“ einen Mitarbeiter des Milliardenkonzerns. Die Lage bei dem britisch-niederländischen Ölmulti bleibt damit angespannt.
Besonders in der New-Energies-Abteilung scheint die Frustration groß zu sein. Zu den Abgängen gehören unter anderem Marc van Gerven, bislang Leiter für das Geschäft mit Solar-, Windenergie an Land und Speichern, Eric Bradley und Katherine Dixon, die sich um die interne Strategie in Sachen Energiewende gekümmert haben, und Dorine Bosman, Shells Vize-Chefin für Offshore-Wind. Laut Medienberichten dürfte diese Liste in den nächsten Wochen noch länger werden.
„Ein Teil der Frustration bei den Mitarbeitern ist, dass sie zwar Potenzial sehen, aber die obere Führungsriege sich allen radikaleren Ideen versperrt“, sagte ein Insider der „Financial Times“. Zwar seien nicht alle Abgänge auf die Unstimmigkeiten über die neue Strategie zurückzuführen, aber es gebe definitiv verschiedene Meinungen über die Geschwindigkeit, in der sich Shell vom Geschäft mit Öl und Gas lösen soll.
Zu früher Ausstieg aus Öl und Gas sei „schlimmer Fehler“
Shell selbst teilt auf Anfrage lediglich mit, dass man sich weiter darauf konzentriere, die Energiewende voranzutreiben. „Wir fangen nicht bei null an, aber wir machen große und bedeutende Schritte, um sicherzustellen, dass wir das richtige Unternehmen sind, um unser Ziel der Klimaneutralität bis 2050 oder früher zu erreichen“, heißt es in einem offiziellen Statement.
Probleme bereiten dürfte dem Weltkonzern tatsächlich, dass die Haupteinnahmen immer noch aus dem Verkauf und der Produktion von fossilen Energien kommen. Shell-CEO Ben van Beurden selbst hatte erst vor wenigen Monaten betont, dass es ein schlimmer Fehler sei, zu früh aus dem Öl- und Gasgeschäft auszusteigen.
Neben der schwierigen Marktsituation mit niedrigen Ölpreisen, massiv gesunkener Nachfrage und immer mehr erneuerbaren Energien steckt Shell mitten im größten Umbau der Unternehmensgeschichte.
Bis 2035 soll Strom neben dem Öl-, Gas- und Chemiegeschäft zur gleichberechtigten vierten Säule des Konzerns werden und 30 Prozent des Umsatzes ausmachen. Damit reagierte Shell auf die globale Wende weg von fossilen, hin zu erneuerbaren Energien, die das Geschäftsmodell der sonst so erfolgsverwöhnten Ölbranche immer stärker gefährdet.
Politik, Umweltaktivisten und klimabewusste Investoren erhöhen seit Jahren den Druck auf die Großkonzerne. Gleichzeitig werden erneuerbare Energien günstiger und wachsen schnell. Der plötzliche Einbruch der Ölnachfrage in der Corona-Pandemie brachte die Branche zusätzlich in Bedrängnis.
Der Ölpreis rutschte zeitweise sogar ins Minus und hat sich erst seit wenigen Tagen leicht erholt. Aktuell liegt der Preis pro Barrel der Nordseesorte Brent bei knapp 49 Dollar im Durchschnitt. Mit einer Rückkehr der Nachfrage auf Vorkrisenniveau rechnet mittlerweile fast niemand mehr. Die Ölkonzerne haben in den vergangenen Monaten Milliardenverluste gemacht.
Anfang Oktober kündigte Shell deswegen einen umfangreichen Sparkurs an. Insgesamt werden in den nächsten beiden Jahren bis zu 9000 Stellen gestrichen. Gleichzeitig sollen in der bislang wichtigsten Sparte, der Förderung und Produktion von Öl und Gas, die Kosten gesenkt werden. Geplant ist, frei werdendes Kapital aus diesem sogenannten Upstream-Bereich in den Ausbau des Geschäfts mit erneuerbaren Energien und Strom zu investieren.
Auch andere europäische Ölgrößen wie BP, Total oder Eni setzen sich Klimaziele, kündigen Milliardeninvestitionen an und geben sich geläutert. Bei Shell scheint mit den geplanten Veränderungen aber bei Weitem nicht jeder einverstanden.
Die fossilen Energieriesen stecken in einem Dilemma: Die üppigen Margen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten im Öl- und Gasbereich gemacht haben, werden sie mit Erneuerbaren niemals erreichen. Gleichzeitig brechen ihnen aber schon heute immer mehr Gewinne weg aufgrund der sinkenden Nachfrage nach fossilen Energien und der immer stärker werdenden Konkurrenz durch erneuerbare Energien.
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